Beobachten, wie Beton im Zeitraffer altert
In den Labors der Zementindustrie und der TU Wien am Wiener Arsenal steht eine künstliche Klimakammer. Dort schalten die Forscher Sonne oder Regen ein, um Materialien zu testen. Und sie sehen, wie Kohlendioxid Stahlbeton schadet.
Schon die Anreise stimmt auf das Thema ein. Denn die Zufahrtsstraße auf dem Areal des Arsenals im dritten Wiener Gemeindebezirk ist derzeit eine riesige Baustelle. Ein Bagger muss zur Seite fahren, damit der Eingang zur Forschungseinrichtung frei ist. „Smart Minerals“steht auf dem Türschild. Hier befinden sich seit Jahresbeginn die gemeinsamen Labors des Forschungsinstituts der Zementindustrie und der TU Wien.
„Wir überprüfen und verbessern mineralische Baustoffe aller Art“, sagt Forschungsleiter Martin Peyerl. Der Fokus liegt auf Zement und Beton, aber auch Ziegel und Fliesen interessieren die rund 30 Mitarbeiter. Wie fest sind die Ma- terialien? Welchen Belastungen halten sie stand? Wie verändern Hitze, Frost oder starker Regen die Lebensdauer?
Kühlschrank mit zwei Türen
Das alles lässt sich bei Smart Minerals prüfen. Neben einem Chemieund einem Physiklabor gibt es dort auch eine Klimakammer. Was aussieht wie ein riesiger Kühlschrank mit zwei Eingangstüren (es gibt mehrere Versuchskammern), kann den Materialien aber nicht nur einheizen, sondern – das ist einzigartig – sie auch Kohlendioxid (CO ) aussetzen. Das Gas kann dem Baustoff nämlich ordentlich zu schaffen machen, oder eigentlich dem meist mitverbauten, stützenden Stahl.
Denn dieser rostet nicht, weil Beton eigentlich alkalisch ist, also einen hohen pH-Wert hat. „Wenn CO über viele Jahre eindringt, geht die Alkalität verloren“, erklärt Peyerl. Und dann stützt der Stahlbeton möglicherweise nicht mehr so, wie er soll. Ein solcher CO -Versuch läuft gerade, eine Tür der Klimakammer bleibt daher zu. Die Tests dauern mehrere Wochen bis Monate. Das scheint lang, und den- noch: So lassen sich Entwicklungen vieler Jahre vorwegnehmen. „Wir können quasi im Zeitraffer beobachten, wie der Beton altert“, sagt Peyerl.
Ein Sommergewitter im Labor
Um die Auswirkungen von Sommergewittern nachzustellen, bestrahlen die Forscher die Betonproben in der künstlichen Klimakammer zuerst mit UV-Licht. „Wir simulieren, wie die Sonne eine Fassade oder Platte auf dem Boden erwärmt.“Und dann lassen die Wissenschaftler Starkregen auf die Bauteile prasseln. Nach einiger Zeit zeigt sich ein Schaden – und wo man ansetzen muss, um das Material zu verbessern.
Aber weiß man nicht längst alles über Beton? Was ist innovativ an der Mischung aus Zement, Wasser, Gesteinskörnern und ein paar Zusatzstoffen? „ Den Beton gibt es nicht“, entgegnet der Bauinge- nieur. Die Rezeptur variiere je nach Anforderung stark. So gibt es etwa unterschiedliche Zutaten, wenn der Baustoff besonders frostbeständig oder unempfindlich gegenüber Chemikalien sein soll. Viele Bauwerke würden schlanker und müssen dennoch höhere Lasten aufnehmen. Zugleich gehe es immer auch darum, die Produktion der
ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) und der TU Wien im Wiener Arsenal. Dort untersuchen die Wissenschaftler mineralische Baustoffe wie Beton, Zement, aber auch Fliesen oder Ziegel. Der Fokus auf die Praxis ist zentral. Die Einrichtung ist Mitglied der Austrian Cooperative Research (ACR), des Verbunds angewandter Forschungseinrichtungen, der die kooperative Forschung in Österreich fördert. Baustoffe auszureizen: Die Industrie sucht ständig nach günstigeren und zugleich umweltfreundlicheren Prozessen, um einen Baustoff mit breitem Anwendungsspektrum herzustellen. „Beton wird überall da verbaut, wo man extrem hohe Festigkeit braucht: also unter der Erde etwa bei Tunnels, Tiefgaragen oder den Fundamenten riesiger Windräder zur Stromerzeugung. Und über der Erde als Fahrbahn bei großen Kreuzungen, Autobahnen oder Brückentragwerken“, nennt Peyerl einige Beispiele.
Straßen spüren Hitzeinseln
Gemeinsam mit seinem Team untersucht er auch die Auswirkungen städtischer Hitzeinseln auf den Baustoff: Denn nicht nur die Bewohner, auch die Straßen leiden unter den gestiegenen Temperaturen in den Ballungszentren. Diese seien durch Bebauung, Reflexionen und fehlende Parks teilweise ein bis zwei Grad Celsius höher als im Umland, damit sei das Temperaturniveau von Norditalien erreicht, so Peyerl. Die Forscher untersuchen, wie sehr zusätzlich aufgebrachte Betonschichten vor der Sonne schützen.
Möglich wurden die Versuche in der Klimakammer durch eine Infrastrukturförderung aus dem Technologieministerium. „Da sind mehrere Porsche hineinverbaut“, schmunzelt Peyerl und blickt auf das rund drei Meter lange und zweieinhalb Meter hohe Gerät. Seit Anfang 2016 ist dieses im Vollbetrieb. Die darin getesteten Proben kommen teilweise von Unternehmen, teilweise testen die Forscher neue Mischungen.
Das Wochenende bedeutet für Peyerl aber keineswegs eine Betonpause: Dann nutzt er die Zeit, um die Landwirtschaft des Großvaters in Schuss zu halten. Und betoniert da und dort, was lang halten soll.