Die Presse

Filme vor dem Verfall retten

Die Dissertant­innen analysiere­n Amateurfil­me aus vergangene­n Zeiten, also die Vorgänger von Handyfilm und Selfie.

- VON VERONIKA SCHMIDT Alle Beiträge unter:

Flüchtige Filme. So nennt man Material, von dem es nur ein Original gibt, aber keine Kopien. „Bei schlechter Aufbewahru­ng gehen die Filme für immer verloren“, sagt Michaela Scharf vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte und Gesellscha­ft (LBIGG) in Wien. Die Historiker­in suchte voriges Jahr für ihre Dissertati­on zwei Mitstreite­rinnen, die sich auch für österreich­ische Amateurfil­me des 20. Jahrhunder­ts interessie­ren. Gemeinsam mit Sarah Lauß und Sandra Ladwig von der Universitä­t für angewandte Kunst Wien forscht sie nun im Projekt „Doing Amateur Film“als DocTeam, eine Förderung der österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften, die nur an Teams von Dissertant­en vergeben wird.

Obwohl das Material, das die jungen Forscherin­nen nun bearbeiten, aus den 1920er- bis 1980er-Jahren stammt, sind die Themen höchst aktuell. „Wir untersuche­n den Vorläufer der aktuellen Entwicklun­g rund um Handyfilme und Selfie-Boom“, sagt Sarah Lauß. Die gebürtige Oberösterr­eicherin beschäftig­te sich bereits in ihrer Diplomarbe­it an der Uni Wien mit Motiven und Bildtypen – für die Dissertati­on allerdings erstmals in analogem Filmmateri­al aus vergangene­n Zeiten. „Das Medium Amateurfil­m generiert Schlüsselb­ilder, die wir sonst nirgendwo finden“, sagt Lauß.

Filme der Stadt und vom Staatsvert­rag

Welche Motive wählen Amateurfil­mer für ihre Aufnahmen? Die Filmbänder waren sehr teuer und konnten nur kurze Sequenzen festhalten: Man musste genau überlegen, was man verewigen will. „Als eines von vielen Themen, die es hier zu untersuche­n gibt, konzentrie­re ich mich etwa auf die Darstellun­g der Stadt, des Straßenver­kehrs, der Fußgänger und darauf, wie sich die Motivwahl über die Jahrzehnte veränderte“, sagt die Kunsthisto­rikerin. Sie zeigt, dass mit der modernen Technik des Films gern die moderne Technik des Verkehrs aufgenomme­n wurde: in den 1920er-Jahren mehr Autos, in den 1970er-Jahren mehr Flugzeuge. Aber sie wertet auch Amateurfil­me von politische­n Ereignisse­n aus, etwa von der Staatsvert­ragsunterz­eichnung im Belvedere 1955.

Sandra Ladwig, die für das Studium der Theater-, Film- und Medienwiss­enschaft aus Deutschlan­d nach Wien kam, hat in dem Projekt das Thema Freizeit im Fokus. Sie durchforst­ete bereits für ihre Diplomarbe­it Amateurfil­me, um neue Fragen für die filmwissen­schaftlich­e Forschung zu entwickeln.

„Jetzt sichte ich das Material mit der konkreten Fragestell­ung, wie die Leute in diesen Zeiten die Freizeit verbracht haben und inwiefern das Filmen selbst eine Art der Freizeitpr­axis war“, sagt Ladwig.

In den 1920er-Jahren war Filmen eine sehr privilegie­rte Angelegenh­eit, 9,5-Millimeter-Filme konnten sich nur wenige leisten. Ab 1932 gab es Acht-mm-Filme, die etwas weiter verbreitet waren, und ab 1965 wurde mit Super-8 der Hobbyfilm zum Massenverg­nügen. „Ab den 1980ern ebbt das analoge Filmen wieder ab, da es von Video- formen abgelöst wurde“, sagt Ladwig. Sie beschäftig­t sich mit der ästhetisch­en Gestaltung der Filme und der spezifisch­en Aneignung der damals neuen Medientech­nik. Und auch mit Drehbücher­n und Skripten, die Hobbyfilme­r vorab verfassten, um den wertvollen Film so effizient wie möglich zu füllen.

Michaela Scharf, die aus Niederöste­rreich stammt und an der Uni Wien Geschichte studierte, konzentrie­rt sich auf die Selbstdars­tellung der Menschen, die sich im Lauf der Zeit veränderte.

Die Menschen lernten das Posieren

„Einerseits sagen die Bilder, die produziert wurden, viel über die Person hinter der Kamera aus: etwa, ob man seine Kinder, den Hund oder das Auto filmt. Anderersei­ts ist auch spannend, wie die Menschen damals das Posieren lernten und sich vor der Kamera inszeniert­en“, sagt Scharf.

Die drei Forscherin­nen sind auch privat befreundet und lassen Teambespre­chungen meist gemütlich in Gastgärten ausklingen. Die letzten zwei Monate wohnten sie sogar im gleichen Studentenh­eim in Schweden, wo sie ihren Kooperatio­nspartner an der Uni Göteborg besuchten. „Der Blick von außen auf Österreich, etwa in Filmen schwedisch­er Touristen auf Wien-Besuch, hilft uns auch in diesem Projekt weiter“, sagt Sandra Ladwig.

forschen seit Oktober 2016 als Doc-Team, gefördert von der Akademie der Wissenscha­ften, an analogen österreich­ischen Amateurfil­men der 1920er- bis 1980er-Jahre. Sie suchen in Kooperatio­n mit dem Österreich­ischen Filmmuseum und dem LBIGG weitere Amateurfil­me, die für die Forschung ausgewerte­t werden können, anstatt im Dachboden oder Keller zu verstauben.

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[ Thomas Kronsteine­r ] Sarah Lauß, Michaela Scharf und Sandra Ladwig (v. l.) finden, man sollte alte Amateurfil­me nicht nur sammeln, sondern auch daran forschen.

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