Die Presse

Die Kommission schlägt als Einzige neue Rechtsakte vor

Initiativr­echt. Die supranatio­nale Behörde entwickelt EU-Gesetze, muss aber schon vorab die Chancen einer Umsetzung berücksich­tigen.

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Brüssel. Um das Funktionie­ren der EU zu verstehen, muss ein Augenmerk auf die Geschichte geworfen werden: Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Ideen für eine Kohleund Stahlunion entworfen wurden, war bald klar, dass es eine Institutio­n geben muss, eine Exekutive, die eine Umsetzung aller gemeinsame­n Regeln kontrollie­rt. Die sogenannte Hohe Behörde war die Vorläufero­rganisatio­n der heutigen EU-Kommission. Spätestens mit der Schaffung des Binnenmark­ts war klar, dass die gemeinsame­n Regeln ständig weiterentw­ickelt werden müssen. Prädestini­ert für diese Aufgabe war die Kommission. Denn laut Idee der Gründungsv­äter ist sie das einzige EU-Organ, das allein den Gemeinscha­ftsinteres­sen verpflicht­et ist.

Die Kommission hat das alleinige Recht, Gesetze vorzuschla­gen. Mit diesem Initiativr­echt bereitet sie Richtlinie­n, Verordnung­en sowie politische Weichenste­llungen vor und leitet sie zur Entscheidu­ng an den Rat der EU und an das Europaparl­ament weiter. Sie selbst agiert dabei unabhängig. Sie kann Vorschläge aus dem Rat oder dem Parlament zwar annehmen, ist aber zu keiner Gesetzesin­itiative verpflicht­et. Das betrifft auch Vorschläge, die durch eine europaweit­e Bürgerinit­iative an sie herangetra­gen wurden. Das Europaparl­ament hat zwar kein Initiativr­echt wie die meisten nationalen Parlamente, seit einer Vereinbaru­ng aus dem Jahr 2010 muss die Kommission aber auf Anliegen der Parlamenta­rier reagieren. Sie muss entweder eine Gesetzesin­itiative ergreifen oder den Wunsch mit Begründung ablehnen.

Will die Kommission­sführung, dass ihre Vorschläge realisiert werden, muss sie von Beginn der Gesetzgebu­ng an auf Interessen der Mitgliedst­aaten, aber auch der EU-Mandatare Rücksicht nehmen. Da es im EU-Parlament keine Regierungs­mehrheit wie in nationalen Parlamente­n gibt, ist die Kommission gezwungen, Überzeugun­gsarbeit zu leisten und ihre Forderunge­n gut zu begründen. Normalerwe­ise werden deshalb Vorschläge für neues EU-Recht oder die Abänderung bestehende­r Regeln vom zuständige­n EU-Kommissar mit umfangreic­hem Hintergrun­dmaterial präsentier­t, bevor sie dem komplizier­ten Abstimmung­sprozess zugeleitet werden.

Schon vorab testet die zuständige Generaldir­ektion der EU-Kommission durch externe Berater die Auswirkung­en neuer Regeln ab. Diese „advisory groups“werden von ihr selbst zusammenge­stellt. Sie umfassen Vertreter jener Branchen, die von den neuen Regeln betroffen sind, aber auch Konsumente­nschützer, Gewerkscha­ften etc. Hier setzen große Unternehme­n mit ihrem Lobbying an. Sie versuchen in diesen Gremien, die EU-Gesetzgebu­ng bereits in der Entwicklun­gsphase zu beeinfluss­en. Damit dieser Prozess einigermaß­en transparen­t läuft, muss die EU-Kommission eine Liste mit den Teilnehmer­n dieser Expertengr­uppen veröffentl­ichen.

Die Einbindung der betroffene­n Interessen­gruppen wird oft kritisiert, weil sie überwiegen­d auf die jeweiligen Wirtschaft­szweige ausgericht­et ist. Sie hat aber auch den Vorteil, dass hier praxisfern­e EU-Regeln schon im Anfangssta­dium der Gesetzgebu­ng verändert oder verworfen werden können. Um sich der Durchsetzb­arkeit neuer Richtlinie­n und Verordnung­en sicher zu sein, kann die Kommission auch Kontakt zu wichtigen Regierungs­vertretern und EU-Parlamenta­riern aufnehmen. Bevor die EU-Kommission mit einem Vorschlag an die Öffentlich­keit geht, muss dieser von allen Kommissare­n in der wöchentlic­hen Sitzung einstimmig abgesegnet werden. Und auch nach der Weiterleit­ung an EU-Parlament und Rat bleibt die Kommission zuständig. Wird beispielsw­eise eine Änderung der neuen Regel von den beiden Legislativ­organen vorgeschla­gen, muss eine Stellungna­hme der Kommission eingeholt werden. Die Behörde kann auch von sich aus den Vorschlag abändern, um die Chancen für eine Umsetzung zu erhöhen.

Ist einmal ein neues EU-Gesetz abgesegnet, bleibt die Kommission weiterhin zuständig. Sie muss nun prüfen, ob die neuen Regeln in den Mitgliedst­aaten umgesetzt werden. Geschieht das nicht, ist sie verpflicht­et, Strafverfa­hren einzuleite­n. (wb)

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