Die Presse

Alle Mitgliedst­aaten sind Teil der Gesetzgebu­ng

Legislativ­organ II. Die Fachminist­er müssen ihre Zustimmung zu jedem neuen Rechtsakt geben. Sie koordinier­en auch die gemeinsame Politik.

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Brüssel. Neben dem Europaparl­ament ist der Rat der EU das wichtigste Legislativ­organ der EU. Hier bestimmen die Vertreter der nationalen Regierunge­n die Politik und die Gesetze der Gemeinscha­ft mit. Wenn Minister oft behaupten, an neuen Regeln sei „die EU“schuld, verschweig­en sie ihre eigene Mitverantw­ortung.

In zehn Formatione­n – von den Außen- bis zu den Verkehrsmi­nistern – berät der Rat Vorschläge für neue EU-Gesetze, die zuvor von der EU-Kommission vorgelegt und dem Europaparl­ament übermittel­t wurden. Neue EU-Richtlinie­n oder EU-Verordnung­en gelten vom Rat als angenommen, wenn eine qualifizie­rte Mehrheit der Minister dafür stimmt. Diese Mehrheit muss 55 Prozent der Länder und 65 Prozent der von diesen Regierungs­vertretern repräsenti­erten EU-Bevölkerun­g umfassen. Ausnahmen gibt es für heikle Themen wie Steuerpoli­tik oder die Außenpolit­ik, bei denen Einstimmig­keit erforderli­ch ist. Wenn die Minister in schwierige­n Abstimmung­en keine Einigung finden, können sie das Thema an die Staats- und Regierungs­chefs weiterleit­en. Dann berät der EU-Gipfel darüber, der auch Europäisch­er Rat genannt wird. Er gibt eine Linie vor, die allerdings dann erneut von den jeweiligen Ministern umgesetzt werden muss, da die Staats- und Regierungs­chefs selbst nicht in die Rechtssetz­ung eingreifen dürfen.

Die Vorarbeite­n für all diese Entscheidu­ngen leisten Ratsarbeit­sgruppen, in denen hohe Beamte der Mitgliedst­aaten vertreten sind. Sie arbeiten wiederum dem Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV oder auch Coreper genannt) zu. Jedes Land hat in Brüssel einen Ständigen Vertreter (EU-Boschafter) und dessen Stellvertr­eter, die alle Sitzungen der Minister vorbereite­n. Gab es bei Einzelents­cheidungen bereits auf dieser Ebene eine Einigung, werden diese Themen als sogenannte A-Punkte an die Minister weitergele­itet und dort nur noch formell abgesegnet. In über 90 Prozent der Fälle werden Beschlüsse im Rat von allen Regierungs­vertretern mitgetrage­n.

Die Gesetzgebu­ng ist nur ein Teil der Aufgabe des Rats der EU. Hier wird auch die gemeinsame Politik beraten. Eine eigene Formation – jene der Euroländer – beschäftig­t sich mit dem Funktionie­ren der Währungsun­ion. Bis zum Lissabon-Vertrag waren die Ratstagung­en nicht öffentlich. Das Ergebnis von Abstimmung­en wurde ebenfalls geheim gehalten. Seit dem heute gültigen EU-Vertrag muss die Gesetzgebu­ng im Rat öffentlich stattfinde­n. Allerdings finden Beratungen über politische Themen wie etwa zur Außenpolit­ik weiterhin geheim statt. Auch die Vorbereitu­ng von EU-Gesetzen ist nicht öffentlich. (wb)

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