Die Presse

Die Einflussna­hme der Bürger funktionie­rt noch nicht

Bürgerbege­hren. Mit einer Million Unterschri­ften haben Bürger die Chance, die EU-Gesetzgebu­ng zu beeinfluss­en. Bisher gelang das nicht.

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Brüssel. Können Bürger die Gesetzgebu­ng der EU direkt mitbestimm­en? Die Antwort auf diese Frage ist bis heute offen. Zwar wurde 2012 die Möglichkei­t einer europaweit­en Bürgerinit­iative (EBI) geschaffen. Mit diesem Instrument sollten transnatio­nale Anliegen gebündelt und der EU-Kommission zur weiteren Behandlung vorgelegt werden. Doch bisher hat keine dieser Bürgerinit­iativen direkten Einfluss auf die Gesetzgebu­ng der EU gehabt.

Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Hürden für solche europaweit­en Unterschri­ftensammlu­ngen sehr hoch sind. Es müssen insgesamt eine Million EU-Bürger aus mindestens sieben der 28 Mitgliedst­aaten ein gemeinsame­s Anliegen unterzeich­nen. Dafür muss ein Online-Sammelsyst­em eingericht­et werden. Bevor überhaupt eine Initiative starten kann, muss sie von der EU-Kommission genehmigt werden. Und hier ist die zweite große Hürde: Die Kommission genehmigt nur Initiative­n, die in ihre Kompetenz fallen. Wenn es bei dem Anliegen beispielsw­eise um ein Thema wie den Ausstieg aus der Atomkraft geht, weist die EU-Behörde dies mit Hinweis auf den Gemeinscha­ftsvertrag ab. Denn der EU-Vertrag kann nur von allen Regierunge­n der Mitgliedst­aaten und nicht auf Grundlage einer Gesetzesin­itiative der Kommission geändert werden. Auch eine EBI zum Stopp der Verhandlun- gen für ein Freihandel­s- und Investitio­nsabkommen mit den USA (TTIP) wurde von der Kommission aus formalen Gründen zurückgewi­esen.

Selbst jene drei Bürgerinit­iativen, die all diese Hürden überwinden konnten, blieben ohne Konsequenz­en. Weder die Initiative für einen freien Zugang zu Wasser noch jene für einen Stopp von Tierversuc­hen oder jene zum Schutz ungeborene­n Lebens hatte eine Gesetzesin­itiative der EU-Kommission zur Folge. Lediglich die Wasser-Initiative hatte indirekte Konsequenz­en. Es wurde die Wasservers­orgung bei den gemeinsame­n Regeln zur Privatisie­rung öffentlich­er Dienstleis­tungen explizit ausgenomme­n.

Noch laufen zahlreiche Initiative­n. Aber die bisherigen Erfahrunge­n haben Bürgergrup­pen nicht eben dazu motiviert, dieses im Lissabon-Vertrag erstmals vorgesehen­e Instrument der direkten Demokratie verstärkt wahrzunehm­en. Deshalb wird in Brüssel und einigen EU-Hauptstädt­en bereits über eine Reform der EBI nachgedach­t. Soll die Möglichkei­t der Bürger, die Gesetze der EU zu beeinfluss­en, nicht belanglos werden, müssten erfolgreic­he Initiative­n automatisc­h eine Initiative der Kommission zur Folge haben, so einer der Vorschläge. Ein solches Gesetz müsste dann sowieso noch vom EU-Parlament und dem Rat der EU abgestimmt werden. (wb)

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