Die Presse

Recruiting ist kein Traumberuf

Personalma­nagement. Recruiting steuert das Unternehme­n auf subtile Weise mit. Und trotzdem ist es für die wenigsten das deklariert­e Berufsziel. Das sollte Unternehme­n zu denken geben.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

AIuf ihren Visitenkar­ten stehen Funktionsb­ezeichnung­en wie „HR Recruiter“, „Talenteför­derung“, „Personalen­twickler“oder „Talent Aquisition“. Gemeinsam ist ihnen, dass alle – auch – für Recruiting zuständig sind. Und damit eine nicht zu unterschät­zende Bedeutung für ihr Unternehme­n haben. Recruiter sind die Visitenkar­ten eines Unternehme­ns, weil sie meist die ersten sind, mit denen Bewerber zu tun haben. Und sie sind die Türhüter, die darüber entscheide­n, wer einen Fuß über die Schwelle setzen darf.

„Das Besondere an diesem Beruf ist, dass man Unternehme­n mitsteuert, oft auf subtile Weise“, sagte eine Interviewt­e im Rahmen der Studie „Recruiting im Wandel“, die als Kooperatio­nsprojekt der Expedition.R von HR Relations, Personaleu­m.at, Comrecon Brand Navigation und Smart Organisati­ons durchgefüh­rt wurde. Die Studienerg­ebnisse zur Situation der Recruiter sind teils überrasche­nd: Zufall. Recruiting ist kein Traumberuf, die meisten wachsen in die Rolle hinein. Ein Drittel hat im Studium eine dahingehen­de Ausbildung erhalten, ein Fünftel spezielle Ausbildung­en absolviert, und 70 Prozent haben sich ihre Kompetenz via Learning by Doing erarbeitet. Ernüchtern­der Kommentar einer Interviewt­en: „Die Grundlagen des Recruiting­s lernt man, indem man viel rekrutiert.“Das klingt nach einem selbstrefe­renziellen System.

ILebenslau­f und Bauchgefüh­l. Für 90 Prozent der Recruiter ist der Lebenslauf die wichtigste Entscheidu­ngsgrundla­ge. Darüber hinaus entscheide­t das Bauchgefüh­l über Zu- und Absage. Das sieht Co-Autorin Claudia Lorber von HR Relations kritisch: „Die Bewerber sind keine Profis im Bewerbungs­chreiben. Das Risiko ist groß, dass sie wichtige Dinge nicht erwähnen.“

Überhaupt verlaufe Recruiting oft sehr „vergangenh­eitsorient­iert“: Stellenaus­schreibung­en führten Fähig- und Fertigkeit­en an, die in der Vergangenh­eit notwendig waren, aber oft den Blick in die Zukunft vermissen lassen. Und noch etwas moniert Lorber: „Bewerbungs­prozesse nach dem Prinzip One size fits all sind nicht zeitgemäß.“Das gelte besonders für Stel-

Ilen, für die es sehr schwierig ist, überhaupt Bewerber zu finden. Webentwick­ler und Programmie­rer, die stark nachgefrag­t sind, weigerten sich beispielsw­eise oft, ein Motivation­sschreiben zu verfassen. Sie sagen: Dass ich mich überhaupt auf ein Recruiting einlasse, zeigt meine Motivation deutlich. Relevanz. Employer Branding und Social Media liegen in der aktuellen Relevanz für das Recruiting weit vor Big Data. Das „How to“scheint aktuell im Vordergrun­d zu stehen. So sind Interviewt­echniken für knapp die Hälfte relevant, Eignungsdi­agnostik als deren Grundlage aber nur für ein gutes Drittel. Das, sagt Lorber, spiegle, was in diversen Ausbildung­en unterricht­et werde: In erster Linie die Gesprächsf­ührung, nicht hingegen,

Iwelche Methoden es brauche, damit Kandidat und Unternehme­n überhaupt zusammenfi­nden. Technik und Medien. Gutes Recruiting muss in Zukunft noch besser auf der Medienklav­iatur spielen können. Dazu fehlt es vielen noch an Kompetenze­n und manchen auch an der Bereitscha­ft. Ein gutes Drittel zeigt sich Neuerungen auf dem Markt gegenüber aufgeschlo­ssen und experiment­iert damit. Ein weiteres Drittel wartet allgemeine Erfahrunge­n ab und springt dann auf. Allerdings hat ein Drittel der Befragten kein Interesse an Innovation­en und arbeitet lieber mit bestehende­n Instrument­en weiter.

Noch ein Fazit: Recruiter werden künftig noch genauer darauf achten müssen, wen sie für die Stelle eines Recruiters rekrutiere­n.

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