Wie viele Kulturen passen unter einen Pfannendeckel?
Ist für viele Fernostreisende nur ein Zwischenstopp. Doch der Mix aus Tradition, zahlreichen Kulturen und Religionen verdient Streifzüge durch die pulsierende Metropole.
Die Nacht ist heiß und schwül im Großstadtdschungel, die Luft ist zum Schneiden dick. Mopeds knattern über den Asphalt, Autos bahnen sich in der Rushhour den Weg durch den dichten Stadtverkehr, über der Fahrbahn summt die Monorail, deren Trasse mitten durch die Hochhausschluchten führt. Von Weitem funkeln die Petronas Towers, dieses Wunderwerk des Technizismus, auf das die Bewohner der Stadt mindestens so stolz sind wie auf ihren Formel-1-Kurs. Die markanten Zwillingstürme sind das Wahrzeichen von Kuala Lumpur, das Eingang in jeden Souvenirshop gefunden hat.
Doch jenseits dieser touristischen Klischees hat sich die Metropole mit ihren zwei Millionen Einwohnern eine Vielgestaltigkeit bewahrt, die in Asien ihresgleichen sucht. Kuala Lumpur ist ein Schmelztiegel der Kulturen, namentlich der malaiischen, chinesischen und indischen. Der Besucher hat zunächst mit widersprüchlichen Empfindungen zu kämpfen: Man könnte sich genauso gut in Taipeh oder Teheran befinden.
Indisch-sarazenisch
Taoistische Tempel stehen unweit prachtvoller Moscheen, an der Jalan Sultan Hishamuddin liegt die Kuala Lumpur Railway Station, ein weiß getünchter Bau mit kunstvollen Kuppeln, der aussieht, als habe ihn ein indischer Maharadscha errichtet. Die Fassade im indo-sarazenischen Baustil gleicht der Jamek-Moschee, und so hat auch ein profanes Bahnhofsgebäude etwas Sakrales. Die Architektur besteht aus einer ähnlich vielfältigen Melange wie die Leute, die sie erbaut haben: 45,9 Prozent der Bevölkerung sind Malaien, 43 Prozent Chinesen, gut zehn Prozent sind Inder. Die Mehrheit sind Muslime. Der Islam prägt auch in weiten Teilen das Stadtbild: Man sieht viele verschleierte Frauen und islamische Banken, der Muezzin ruft zum Mittagsgebet – ein ungewöhnlicher Umstand in einer asiati- Millionen Menschen leben in der Metropolregion Kuala Lumpur
schen Metropole. In einigen Taxis findet man ein dezentes Verbotsschild, das öffentliche Liebkosungen im Auto untersagt. Küssen verboten, heißt es in den Taxis. Doch die tradierten Moralvorstellungen scheinen nicht mehr in die Welt des Konsums zu passen.
Frauen in Niqab stehen ungeniert vor Dessous-Läden, in der Einkaufspassage von Pavilion, die mit der grellen Leuchtreklame ein wenig an den Times Square in New York erinnert, schlürft die Nouveau Riche teuren Weißwein. In den Luxusboutiquen von Prada und Versace werden Accessoires geshoppt, bis die Kreditkarten glühen. Frauen tragen Taschen, die Männer Sackerln. Ein paar Häuserblöcke weiter rauchen Gäste in einer ShishaBar Wasserpfeife, der „Sahara“-Supermarkt hat bis Mitternacht geöffnet, verschleierte Frauen verkaufen aus den Kofferräumen laufender Autos gefälschte Uhren – Allah ist groß, aber die Aussicht auf ein gutes Geschäft größer. In einem iranischen Cafe´ wird schwarzer Tee serviert, arabischer Hip-Hop dröhnt aus den Lautsprechern, ein Hauch von Orient weht durch die asiatische Metropole. Muslimische Reisende schätzen die Stadt übrigens wegen ihrer Halal-Gerichte.
Kuala Lumpur ist die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten, eine Mischung aus westlicher Libertinage und fernöstlicher Tradition. Man kann hier wirklich alles machen: sich nachts einen Maßanzug bei einem Pakistani schneidern lassen, mit der Achterbahn durch eine Shoppingmall kurven oder in einem Schnellrestaurant Frog Porridge löffeln.
Die Kulturen haben ihre Spuren natürlich auch in den Küchen der Stadt hinterlassen. Malaiische, indische und chinesische Einflüsse mischen sich mit indonesischen und Thai-Elementen. Wenn Liebe durch den Magen geht, muss diese Stadt eine Verführerin sein. Überall duftet es aus Garküchen und Schnellrestaurants – man würde am liebsten seinem Geruchssinn freien Lauf lassen. Auf dem Nachtmarkt in China Town werden exotische Früchte feilgeboten, es dampft aus großen Kesseln, alte Marktweiber rühren in brodelnden Brühen.
Erweckungserlebnisse
Jeder, der sich von seiner olfaktorischen Neugier treiben lässt, kann von gastronomischen Erweckungserlebnissen in diesen Trottoirrestaurants berichten, die aus nichts anderem als einem Eisentopf über glühenden Kohlen und ein paar Plastikschemeln bestehen. Für ein paar Ringgit bekommt man hier eine köstliche Bakso-Suppe, eine indonesische Rindfleischsuppe mit Knödeln und Nudeln oder Clay Pot Chicken Rice. An einem Stand gibt es Shrimps in Szechuan-Pfeffersauce, ein paar Ecken weiter halb nackte Mädchen und andere scharfe Sachen. Das Viertel ist vor allem bei Backpackern beliebt, die hier ihren Heißhunger stillen oder den Kater vom Vortag mit einem kühlen „Tiger“-Bier bekämpfen.
Der chinesischstämmige Reiseleiter Frankie Pong mit der Vorliebe für bunte Hawaii-Hemden kennt die Stadt wie seine Westentasche. Sein Schmerbauch lässt erahnen, dass es ihm in den Garküchen der Stadt gut schmeckt. Frankie führt durch den Thean-HouTempel, der auf einer Anhöhe der Stadt thront. Die finster dreinblickenden Drachen auf den Pagodendächern sollen böse Geister und Dämonen bannen, und die Räucherstäbchen, die die Gläubigen entzünden, eine reinigende Wirkung entfalten.
„Der Tempel vereint Elemente des Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus und ist dem Gott der Gnade gewidmet“, erklärt Frankie. Dem Mann ist die Anmut von Gelassenheit zu eigen. Stoisch wie ein Buddha sitzt er auf einem Mäuerchen und blickt auf das rege Treiben. Frankie schwärmt speziell von Laksa, einer südostasiatischen Suppe mit Kokosmilch, Chili, Tamarindensaft und Krabben. Bis zur nächsten Garküche sind es zum Glück nur ein paar Schritte. Eines ist sicher: Verhungern wird man in Kuala Lumpur nicht.