Phantomstaus und Urlauberkolonnen
Nicht ärgern. Nicht wundern. Ganz bestimmt waren Staus noch nie so unberechenbar wie in diesem Sommer. Mit Gelassenheit und gezielter Vorbereitung kommt man aber trotzdem gut an den Strand.
Eigentlich ist er ja ein alter Bekannter, der uns seit vielen Jahren begleitet, selten im Stich lässt und dabei immer wieder für meist unerfreuliche Überraschungen gut ist. Wahrscheinlich liegt das daran, dass wir uns zu wenig mit ihm beschäftigen. Auf den ersten Blick wirkt er wie eine komplexe Persönlichkeit, die zu spontanen, wenig vorher- sehbaren Handlungen neigt. Stimmt nicht, sagen die Wissenschaftler. Es liegt vor allem an uns. Der Stau, meinen sie, tut eigentlich nur das, was wir ihm mehr oder weniger unbewusst auftragen.
Da ist zum Beispiel der klassische Stau aus dem Nichts, auch bekannt als Phantomstau. Plötzlich ist er da, scheinbar ohne besonderen Anlass. Experten nennen das den Schmetterlingseffekt. Eine Art Kettenreaktion. Autobahnen haben eine begrenzte Kapazität. Man spricht von 1500 bis 2500 Fahrzeugen, die pro Stunde mit etwa 80 bis 100 km/h unterwegs sein können. Ist der Durchfluss nah an der Kapazitätsgrenze, genügt oft ein Bremsmanöver, das sich wie eine Kettenreaktion auf Hunderte nachfolgender Autos auswirkt. Und dann stehen irgendwann alle. 50 Prozent aller Staus, so lauten offizielle Schätzungen, entstehen auf die Weise.
Ähnlich funktioniert es übrigens, wenn Autos bei Stauauflösung losfahren. Dass alle gleichzeitig fahren können, ist eine sehr theoretische Wunschvorstellung. Bei jedem Fahrzeug gibt es eine Verzögerung von mehreren Sekunden. Und das summiert sich dann.
Stauursache Grenzkontrollen
Natürlich gibt es auch Staus, deren Ursachen sehr konkret sind: bei Baustellen, Unfällen oder bei den Grenzkontrollen der bayerischen Nachbarn bei Salzburg oder Kufstein. Die meisten dieser Staus ha- ben den nicht unwesentlichen Vorteil, dass man sich auf sie einstellen kann. Im Fall der Grenzkontrollen lässt sich das bequem auf benachbarten Nebenstraßen umgehen, die – warum auch immer – kaum kontrolliert werden. Damit kommen wir zum wichtigsten Punkt in Sachen Staus. Die meisten Menschen interessiert es sehr wenig, wie sie entstehen. Sie wollen wissen, wie sie sich Staus vom Leibe halten können. Wobei das Wissen um das eine positiven Einfluss auf das andere haben könnte. Aber das ist nur ungeliebte Theorie.
Wie hält man sich den Stau vom Leibe? Indem man im Kolonnenverkehr Bremsmanöver nach Möglichkeit vermeidet, raten Verkehrsexperten. Die entstehen in der Regel durch zu dichtes Auffahren und abrupte Bremsungen, durch zu schnelles Aufschließen und vor allem durch das einerseits häufig praktizierte, andererseits wieder wenig produktive Kolonnenspringen. Unter dem Strich bringen die vielen Fahrbahnwechsel rein gar nichts. Im Gegenteil verursachen sie wieder Bremsungen nachfolgender Fahrzeuge und mehr Staurisiko. Ein unverwüstli- ches Phänomen ist auch, dass trotz alljährlicher Warnungen das Gros der Urlauber zur selben Zeit Richtung Ferien startet und dann gemeinsam im Stau steht. Oft sind es nur wenige Stunden, die man mit der Abreise abwartet und die einem wesentlich bessere Verkehrsverhältnisse bescheren.
Lange Wartezeiten lauern auch in diesem Sommer ganz klassisch an den Grenzübergängen nach Ungarn auf der A4 am Grenzübergang Nickelsdorf und auf der B16 bei Klingenbach. Ähnlich ist es Richtung Slowenien auf der A9 bei Spielfeld, auf der A11 am Karawankentunnel. Auf dem Weg nach Italien sind die neuralgischen Strecken die A23 zwischen Villach und Udine und die A22 Brennerautobahn in Richtung Bozen und Modena.
Stautage 27. und 29. Juli
„Heutzutage ist es vor allem wegen der Grenzkontrollen schwer vorhersehbar, wann wo welche Staus und Wartezeiten drohen“, sagt Alfred Obermayr von der ÖAMTCMobilitätsinformation. Wer zwischen Kroatien und Slowenien unterwegs ist, muss zuweilen drei bis vier Stunden im Stau stehen, weil jeder Ausweis penibel kontrolliert wird.
Insgesamt, so Obermayr, nähert man sich einem ganzen Arbeitstag, den man auf der Urlaubsreise im Stau verbringen kann. Und was empfiehlt der Experte, was man unbedingt vermeiden sollte? „Wenn in Bayern und Baden-Württemberg die Ferien beginnen“, sagt Alfred Obermayr, „dann würde ich keinesfalls in den Urlaub fahren.“In Baden-Württemberg starten sie am 27. Juli, in Bayern am 29. Juli.