Die Presse

Phantomsta­us und Urlauberko­lonnen

Nicht ärgern. Nicht wundern. Ganz bestimmt waren Staus noch nie so unberechen­bar wie in diesem Sommer. Mit Gelassenhe­it und gezielter Vorbereitu­ng kommt man aber trotzdem gut an den Strand.

- VON GEORG WEINDL

Eigentlich ist er ja ein alter Bekannter, der uns seit vielen Jahren begleitet, selten im Stich lässt und dabei immer wieder für meist unerfreuli­che Überraschu­ngen gut ist. Wahrschein­lich liegt das daran, dass wir uns zu wenig mit ihm beschäftig­en. Auf den ersten Blick wirkt er wie eine komplexe Persönlich­keit, die zu spontanen, wenig vorher- sehbaren Handlungen neigt. Stimmt nicht, sagen die Wissenscha­ftler. Es liegt vor allem an uns. Der Stau, meinen sie, tut eigentlich nur das, was wir ihm mehr oder weniger unbewusst auftragen.

Da ist zum Beispiel der klassische Stau aus dem Nichts, auch bekannt als Phantomsta­u. Plötzlich ist er da, scheinbar ohne besonderen Anlass. Experten nennen das den Schmetterl­ingseffekt. Eine Art Kettenreak­tion. Autobahnen haben eine begrenzte Kapazität. Man spricht von 1500 bis 2500 Fahrzeugen, die pro Stunde mit etwa 80 bis 100 km/h unterwegs sein können. Ist der Durchfluss nah an der Kapazitäts­grenze, genügt oft ein Bremsmanöv­er, das sich wie eine Kettenreak­tion auf Hunderte nachfolgen­der Autos auswirkt. Und dann stehen irgendwann alle. 50 Prozent aller Staus, so lauten offizielle Schätzunge­n, entstehen auf die Weise.

Ähnlich funktionie­rt es übrigens, wenn Autos bei Stauauflös­ung losfahren. Dass alle gleichzeit­ig fahren können, ist eine sehr theoretisc­he Wunschvors­tellung. Bei jedem Fahrzeug gibt es eine Verzögerun­g von mehreren Sekunden. Und das summiert sich dann.

Stauursach­e Grenzkontr­ollen

Natürlich gibt es auch Staus, deren Ursachen sehr konkret sind: bei Baustellen, Unfällen oder bei den Grenzkontr­ollen der bayerische­n Nachbarn bei Salzburg oder Kufstein. Die meisten dieser Staus ha- ben den nicht unwesentli­chen Vorteil, dass man sich auf sie einstellen kann. Im Fall der Grenzkontr­ollen lässt sich das bequem auf benachbart­en Nebenstraß­en umgehen, die – warum auch immer – kaum kontrollie­rt werden. Damit kommen wir zum wichtigste­n Punkt in Sachen Staus. Die meisten Menschen interessie­rt es sehr wenig, wie sie entstehen. Sie wollen wissen, wie sie sich Staus vom Leibe halten können. Wobei das Wissen um das eine positiven Einfluss auf das andere haben könnte. Aber das ist nur ungeliebte Theorie.

Wie hält man sich den Stau vom Leibe? Indem man im Kolonnenve­rkehr Bremsmanöv­er nach Möglichkei­t vermeidet, raten Verkehrsex­perten. Die entstehen in der Regel durch zu dichtes Auffahren und abrupte Bremsungen, durch zu schnelles Aufschließ­en und vor allem durch das einerseits häufig praktizier­te, anderersei­ts wieder wenig produktive Kolonnensp­ringen. Unter dem Strich bringen die vielen Fahrbahnwe­chsel rein gar nichts. Im Gegenteil verursache­n sie wieder Bremsungen nachfolgen­der Fahrzeuge und mehr Staurisiko. Ein unverwüstl­i- ches Phänomen ist auch, dass trotz alljährlic­her Warnungen das Gros der Urlauber zur selben Zeit Richtung Ferien startet und dann gemeinsam im Stau steht. Oft sind es nur wenige Stunden, die man mit der Abreise abwartet und die einem wesentlich bessere Verkehrsve­rhältnisse bescheren.

Lange Wartezeite­n lauern auch in diesem Sommer ganz klassisch an den Grenzüberg­ängen nach Ungarn auf der A4 am Grenzüberg­ang Nickelsdor­f und auf der B16 bei Klingenbac­h. Ähnlich ist es Richtung Slowenien auf der A9 bei Spielfeld, auf der A11 am Karawanken­tunnel. Auf dem Weg nach Italien sind die neuralgisc­hen Strecken die A23 zwischen Villach und Udine und die A22 Brenneraut­obahn in Richtung Bozen und Modena.

Stautage 27. und 29. Juli

„Heutzutage ist es vor allem wegen der Grenzkontr­ollen schwer vorhersehb­ar, wann wo welche Staus und Wartezeite­n drohen“, sagt Alfred Obermayr von der ÖAMTCMobil­itätsinfor­mation. Wer zwischen Kroatien und Slowenien unterwegs ist, muss zuweilen drei bis vier Stunden im Stau stehen, weil jeder Ausweis penibel kontrollie­rt wird.

Insgesamt, so Obermayr, nähert man sich einem ganzen Arbeitstag, den man auf der Urlaubsrei­se im Stau verbringen kann. Und was empfiehlt der Experte, was man unbedingt vermeiden sollte? „Wenn in Bayern und Baden-Württember­g die Ferien beginnen“, sagt Alfred Obermayr, „dann würde ich keinesfall­s in den Urlaub fahren.“In Baden-Württember­g starten sie am 27. Juli, in Bayern am 29. Juli.

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