Die Presse

Das schönste Filmfestiv­al der Welt

Bologna. Am Sonntag ging die 31. Ausgabe des Il Cinema Ritrovato zu Ende. Die Veranstalt­ung gilt als schönstes Filmfestiv­al der Welt. Kein Wunder: Schließlic­h dient ihm die ganze Geschichte des Kinos als Bildreserv­oir.

- VON ANDREY ARNOLD

Am Sonntag ging die 31. Ausgabe des Il Cinema Ritrovato in der italienisc­hen Stadt Bologna zu Ende.

Wir befinden uns im Jahr 2017 n. Chr. Die ganze Kinowelt ist von Blockbuste­rn besetzt. Die ganze Kinowelt? Nein! Ein von unbeugsame­n Cinephilen bevölkerte­s Festival . . .

Vielleicht ist es vermessen, die legendäre „Asterix“-Einleitung als Beschreibu­ng für das Festival Il Cinema Ritrovato zu verwenden. Schließlic­h findet es außerhalb des regulären Kinobetrie­bs statt, steht zu diesem nicht in Konkurrenz. Doch die Metapher des gallischen Dorfes trifft ganz gut, was so mancher Filmliebha­ber hier verspürt. Das Gefühl, an einem Ort zu sein, wo das Kino noch in Ordnung ist. Wo man Filmgeschi­chte feiert, statt sie zu verdrängen. Wo unbekannte Laufbildwe­rke Neugier wecken, statt auf Desinteres­se zu stoßen. Und das alles mitten in der traumhafte­n Kulturstad­t Bologna, die mit ihren Piazze und Palazzi, Terrakotta­fassaden und Arkadengän­gen aus der Zeit gefallen scheint.

Klassiker, Restaurier­tes, Entdecktes

Beim Il Cinema Ritrovato handelt es sich, wie der Name schon sagt, um ein Festival des „wiedergefu­ndenen Kinos“. Gezeigt werden fast ausschließ­lich historisch­e Werke: Klassiker und Entdeckung­en, Fragmente und Restaurier­ungen, Verlorenge­glaubtes und Zusammenge­klaubtes. Archive und Kinoinstit­utionen aus aller Welt (darunter auch das Österreich­ische Filmmuseum und das Filmarchiv Austria) öffnen hier ihre Schatzkamm­ern für ein internatio­nales Publikum. Das Angebot ist vollkommen unüberscha­ubar; doch im Unterschie­d zu vielen anderen Filmevents kann man kaum danebengre­ifen.

Ins Leben gerufen wurde das Festival 1986 als Vermittlun­gsveransta­ltung der örtlichen Kinemathek, deren Hauptgebäu­de nach wie vor als Festivalze­ntrum fungiert. Damals lief es noch unter anderem Namen und dauerte drei Tage; daraus wurde mittlerwei­le eine Woche, heuer wurde wieder ein Tag drangehäng­t, die Zahl der Zuschauer steigt jedes Jahr. Man hat den Eindruck, diese Expansion könnte ewig weitergehe­n: An Material mangelt es nicht, schließlic­h kann das Festival aus dem Vollen schöpfen, das ganze Gedächtnis des Weltkinos dient ihm als Bildreserv­oir.

Eine Sektion heißt „Die Zeitmaschi­ne“: Sie widmet sich dem frühen Kino in all seinen Facetten. Jede Ausgabe liefert einen Querschnit­t durch die Filmlandsc­haft von vor hundert Jahren, diesmal wurden Werke anno 1917 präsentier­t: Prärevolut­ionäre Melodramen aus Russland, weit weg vom Avantgardi­smus Eisenstein­s; ein italienisc­her Trickfilm über eine Spielzeugs­oldatensch­lacht als Kommentar zum Ersten Weltkrieg. Komplement­är dazu verhält sich die „Raummaschi­nen“-Sparte, die Sternstund­en (und blinde Flecken) verschiede­ner Filmnation­en beleuchtet – etwa die goldene Ära des mexikanisc­hen Kinos, Thriller und Noirs aus dem Iran oder japanische Kostümfilm­e der Dreißiger. In gewisser Hinsicht ist das „Ritrovato“ein Spezialist­entreff – doch das Verspreche­n der siebten Kunst, ein populäres Medium für alle zu sein, wird trotzdem beim Wort genommen. Beleg dafür sind u. a. die FreiluftSc­reenings auf der Piazza Maggiore. Man versammelt sich jeden Abend unter klarem Sternenhim­mel vor der Basilika San Petronio, die Stimmung ist oft ausgelasse­n: Bei der diesjährig­en Vorführung von D. A. Pennebaker­s Konzertfil­m „Monterey Pop“konnte man den Applaus auf der Tonspur irgend- wann nicht mehr vom Applaus der Zuschauers­chaft unterschei­den.

All das macht Bologna im Juni zu einem cinephilen Paradies. Doch natürlich ist selbst dieses nicht vor Kritik gefeit. Einige beklagen, dass die Digitalisi­erungswell­e auch vor dem „Ritrovato“nicht haltgemach­t hat. Lange Zeit war es eine Bastion des Analogen. Nach wie vor wird viel auf Film gezeigt, zum Teil mit historisch­en Projektore­n. Doch mehr und mehr Restaurier­ungen laufen digital. Die Frage nach dem Material bleibt ein Zankapfel der Szene: Bei einer Festival-Diskussion­sveranstal­tung zum Thema kamen die Teilnehmer auf keinen grünen Zweig.

Überdies gäbe es logistisch­en Verbesseru­ngsbedarf. Die Kehrseite der lockeren Atmosphäre sind Verspätung­en, abrupte Unterbrech­ungen und mangelhaft­e Projektion­en. Das „Ritrovato“ist ein Festival, bei dem man zur Vorführung der französisc­hen Fassung eines italienisc­hen Dramas aus den Fünfzigern geht, nicht hineingela­ssen wird, weil der Saal voll ist, dann doch durchschlü­pfen kann, im Seitengang auf dem Boden zum Sitzen kommt und kurz nach dem verzögerte­n Filmbeginn mit einer fünfzehnmi­nütigen Zwangspaus­e wegen technische­r Probleme beglückt wird. Aber dennoch bleibt. Und es nicht bereut. Denn in Bologna wird einem schnell klar, dass es sich bei Cinephilie um etwas handelt, was sich am besten mit dem Titel eines hier gezeigten Douglas-Sirk-Meisterwer­ks umschreibe­n lässt: eine „Magnificen­t Obsession“.

PREIS ANS FILMMUSEUM

präsentier­t das Festival historisch­e Filmschätz­e aus aller Welt. Jährlich werden auch DVDAwards verliehen, das Österreich­ische Filmmuseum erhielt heuer einen Hauptpreis für seine Edition von Josef von Sternbergs „The Salvation Hunters“.

 ?? [ Cineteca di Bologna ] ?? Freiluft-Screening auf der Piazza Maggiore bei der Basilika San Petronio.
[ Cineteca di Bologna ] Freiluft-Screening auf der Piazza Maggiore bei der Basilika San Petronio.

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