Das schönste Filmfestival der Welt
Bologna. Am Sonntag ging die 31. Ausgabe des Il Cinema Ritrovato zu Ende. Die Veranstaltung gilt als schönstes Filmfestival der Welt. Kein Wunder: Schließlich dient ihm die ganze Geschichte des Kinos als Bildreservoir.
Am Sonntag ging die 31. Ausgabe des Il Cinema Ritrovato in der italienischen Stadt Bologna zu Ende.
Wir befinden uns im Jahr 2017 n. Chr. Die ganze Kinowelt ist von Blockbustern besetzt. Die ganze Kinowelt? Nein! Ein von unbeugsamen Cinephilen bevölkertes Festival . . .
Vielleicht ist es vermessen, die legendäre „Asterix“-Einleitung als Beschreibung für das Festival Il Cinema Ritrovato zu verwenden. Schließlich findet es außerhalb des regulären Kinobetriebs statt, steht zu diesem nicht in Konkurrenz. Doch die Metapher des gallischen Dorfes trifft ganz gut, was so mancher Filmliebhaber hier verspürt. Das Gefühl, an einem Ort zu sein, wo das Kino noch in Ordnung ist. Wo man Filmgeschichte feiert, statt sie zu verdrängen. Wo unbekannte Laufbildwerke Neugier wecken, statt auf Desinteresse zu stoßen. Und das alles mitten in der traumhaften Kulturstadt Bologna, die mit ihren Piazze und Palazzi, Terrakottafassaden und Arkadengängen aus der Zeit gefallen scheint.
Klassiker, Restauriertes, Entdecktes
Beim Il Cinema Ritrovato handelt es sich, wie der Name schon sagt, um ein Festival des „wiedergefundenen Kinos“. Gezeigt werden fast ausschließlich historische Werke: Klassiker und Entdeckungen, Fragmente und Restaurierungen, Verlorengeglaubtes und Zusammengeklaubtes. Archive und Kinoinstitutionen aus aller Welt (darunter auch das Österreichische Filmmuseum und das Filmarchiv Austria) öffnen hier ihre Schatzkammern für ein internationales Publikum. Das Angebot ist vollkommen unüberschaubar; doch im Unterschied zu vielen anderen Filmevents kann man kaum danebengreifen.
Ins Leben gerufen wurde das Festival 1986 als Vermittlungsveranstaltung der örtlichen Kinemathek, deren Hauptgebäude nach wie vor als Festivalzentrum fungiert. Damals lief es noch unter anderem Namen und dauerte drei Tage; daraus wurde mittlerweile eine Woche, heuer wurde wieder ein Tag drangehängt, die Zahl der Zuschauer steigt jedes Jahr. Man hat den Eindruck, diese Expansion könnte ewig weitergehen: An Material mangelt es nicht, schließlich kann das Festival aus dem Vollen schöpfen, das ganze Gedächtnis des Weltkinos dient ihm als Bildreservoir.
Eine Sektion heißt „Die Zeitmaschine“: Sie widmet sich dem frühen Kino in all seinen Facetten. Jede Ausgabe liefert einen Querschnitt durch die Filmlandschaft von vor hundert Jahren, diesmal wurden Werke anno 1917 präsentiert: Prärevolutionäre Melodramen aus Russland, weit weg vom Avantgardismus Eisensteins; ein italienischer Trickfilm über eine Spielzeugsoldatenschlacht als Kommentar zum Ersten Weltkrieg. Komplementär dazu verhält sich die „Raummaschinen“-Sparte, die Sternstunden (und blinde Flecken) verschiedener Filmnationen beleuchtet – etwa die goldene Ära des mexikanischen Kinos, Thriller und Noirs aus dem Iran oder japanische Kostümfilme der Dreißiger. In gewisser Hinsicht ist das „Ritrovato“ein Spezialistentreff – doch das Versprechen der siebten Kunst, ein populäres Medium für alle zu sein, wird trotzdem beim Wort genommen. Beleg dafür sind u. a. die FreiluftScreenings auf der Piazza Maggiore. Man versammelt sich jeden Abend unter klarem Sternenhimmel vor der Basilika San Petronio, die Stimmung ist oft ausgelassen: Bei der diesjährigen Vorführung von D. A. Pennebakers Konzertfilm „Monterey Pop“konnte man den Applaus auf der Tonspur irgend- wann nicht mehr vom Applaus der Zuschauerschaft unterscheiden.
All das macht Bologna im Juni zu einem cinephilen Paradies. Doch natürlich ist selbst dieses nicht vor Kritik gefeit. Einige beklagen, dass die Digitalisierungswelle auch vor dem „Ritrovato“nicht haltgemacht hat. Lange Zeit war es eine Bastion des Analogen. Nach wie vor wird viel auf Film gezeigt, zum Teil mit historischen Projektoren. Doch mehr und mehr Restaurierungen laufen digital. Die Frage nach dem Material bleibt ein Zankapfel der Szene: Bei einer Festival-Diskussionsveranstaltung zum Thema kamen die Teilnehmer auf keinen grünen Zweig.
Überdies gäbe es logistischen Verbesserungsbedarf. Die Kehrseite der lockeren Atmosphäre sind Verspätungen, abrupte Unterbrechungen und mangelhafte Projektionen. Das „Ritrovato“ist ein Festival, bei dem man zur Vorführung der französischen Fassung eines italienischen Dramas aus den Fünfzigern geht, nicht hineingelassen wird, weil der Saal voll ist, dann doch durchschlüpfen kann, im Seitengang auf dem Boden zum Sitzen kommt und kurz nach dem verzögerten Filmbeginn mit einer fünfzehnminütigen Zwangspause wegen technischer Probleme beglückt wird. Aber dennoch bleibt. Und es nicht bereut. Denn in Bologna wird einem schnell klar, dass es sich bei Cinephilie um etwas handelt, was sich am besten mit dem Titel eines hier gezeigten Douglas-Sirk-Meisterwerks umschreiben lässt: eine „Magnificent Obsession“.
PREIS ANS FILMMUSEUM
präsentiert das Festival historische Filmschätze aus aller Welt. Jährlich werden auch DVDAwards verliehen, das Österreichische Filmmuseum erhielt heuer einen Hauptpreis für seine Edition von Josef von Sternbergs „The Salvation Hunters“.