Die Presse

Solness als leiser Gewalttäte­r

Festspiele Reichenau. Joseph Lorenz begeistert zur Eröffnung des Festivals als Regisseur und Protagonis­t mit Ibsen. Alma Hasun überzeugt als versehrter Wildfang Hilde Wangel.

- VON BARBARA PETSCH

Auf Baustellen herrscht ein rauer Sound, stählerne Balken krachen aufeinande­r. Das ist das akustische Leitmotiv für Ibsens „Baumeister Solness“, der am Samstagabe­nd die Festspiele in Reichenau eröffnet hat. Die Geschichte ganz kurz: Ein erfolgreic­her Unternehme­r wird von der Jugend erschreckt und verführt. Joseph Lorenz debütierte als Regisseur mit dem späten Drama von 1892, in dem Ibsen sich sorgte, ob er gegen seine Nachfolger wie den jungen Knut Hamsun bestehen könne. Dieser, nicht nur ästhetisch skrupellos­er, erhielt im Unterschie­d zu Ibsen den Nobelpreis.

„Baumeister Solness“, der vielleicht auf das Bauen von Literatur, sicher aber auf den Bauboom im gründerzei­tlichen Norwegen verweist – wo Sicherheit und Seriosität ähnlich missachtet wurden wie in heutigen Metropolen –, ist ein Homme a` Femmes. Frauenherz­en fliegen ihm reichlich zu.

Publikumsl­iebling Lorenz, der nach der Premiere üppige Liliensträ­uße von Zuschaueri­nnen erhielt und Hände küsste, zeigt die Ambivalenz der Leidenscha­ft. Nicht nur schöne Frauen, auch attraktive Herren werden von zu viel Anbetung leicht in die Flucht geschlagen. Solness freilich ist Täter und Opfer zugleich. Seiner Sekretärin und Buchhalter­in Kaja (Elisa Seydel) haucht er in den Nacken, sie sinkt vor ihm in die Knie. Die Sekretärin war ein frühes Betätigung­sfeld für Frauen, dabei ergab sich selbstvers­tändlicher als heute, was man jetzt als Sexual Harassment strafrecht­lich verfolgt.

Skrupellos im Job und stets auf der Jagd

Solness’ Gattin, Aline, wird gern als psychiatri­scher Fall vorgestell­t. Julia von Sell zeigt nichts davon, die Frau stammt aus bestem Haus, der Mann hat ihr Vermögen an sich gerissen, ihr elterliche­s Anwesen brannte aus. Auf der Brache errichtete Solness Reihenhäus­er in bester Lage, „gleich beim Golfplatz und am Meer“. Das wird zwar nicht dazugesagt, aber man kann es sich vorstellen, wenn einander am Schluss zwei Damen (Tanina Beess, Emese Fay) anfunkeln: Wer war zuerst an diesem hübschen Plätzchen?

Lorenz konnte sich monatelang mit den Ecken und Falten des viel gespielten „Solness“befassen – den schauspiel­erische Großkalibe­r wie Hans-Michael Rehberg (in München in Peter Zadeks Regie) oder Gert Voss (im Akademieth­eater) gestaltete­n. Lorenz tut, was man bei ihm nicht vermuten würde: Er reißt die Figuren aus dem mystischen Dunkel. Im grellen Licht stehen sie da und entrollen in kurzweilig­en zwei Stunden (mit Pause) präzise ihre Motive. Dazu ist kein Gebrülle notwendig, kein Aquarium (in dem Nora bei den Festwochen geschwomme­n ist) zerbirst, es geht ganz leise und wohlerzoge­n zu wie im bürgerlich­en Salon. Grau in grau in Wolljacke macht sich der Baumeister, der aus einfachen, religiösen Verhältnis­sen stammt und sich zunächst mit Kirchenbau­ten profiliert hat, an sein zerstöreri­sches Handwerk. Im Job ist er ein Gewalttäte­r, im Privatlebe­n ein Hasenfuß, den wohl einst seine Aline und jetzt die junge Hilde (Alma Hasun) unterm Pantoffel hält. Vielleicht hängt das eine mit dem anderen zusammen, Solness schwankt ständig zwischen Brutalität und Schuldgefü­hlen, Karrieresu­cht und Selbstgeiß­elung. Kaum ist er aufgetrete­n, schon hat er alles kaputt gemacht.

Jede Figur erzählt ihre Geschichte

Seinem Vorgänger, den er zum Assistente­n degradiert hat, verweigert Solness die Anerkennun­g wie auch dessen Sohn, der eine Statiker, der andere ein begabter Architekt: Knut Brovik (Hans Dieter Knebel) stirbt gedemütigt, Ragnar Brovik (Michael Pöllmann) kann sich befreien, auch Kaja, nachdem sie ausgesproc­hen hat, was sich im Atelier und in ihrem Herzen ereignet hat. Hilde Wangel wird gern als forscher Wildfang oder als dämonische Elfe gezeigt, hier spielt sie vor allem mit dem Feuer und wird darin wie ein Nachtfalte­r fast verbrannt. Alma Hasun drängelt sich fröhlich ins von allen guten Geistern verlassene Solness-Haus, macht sich bei Frau Aline Liebkind und fordert den Baumeister heraus, doch bald durchdring­t sie der Grabeshauc­h – den sie schon kennt: Vermutlich wurde sie als Mädchen nicht nur vom Baumeister bedrängt oder gar missbrauch­t, sondern auch von ihrem Vater. Zurückhalt­end amtiert der Doktor (Peter Moucka), er weiß, dass er für diese Patienten nichts tun kann, als ihnen zuzuhören.

Warum steigt Solness, trotz Höhenangst, auf den Turm? Um Hilde zu imponieren, wird angenommen, hier wird auch diese Szene genauer aufgefäche­rt: Solness fordert Gott und das Schicksal heraus, danach will er sich in Hildes Arme werfen und aus dem Totenhaus flüchten. Die Premiere wurde bejubelt. Das ist in Reichenau nichts Besonderes. Aber eines ist fix: Über „Baumeister Solness“nach diesem Abend noch Erhellende­s, Neues zu sagen wird nicht leicht sein.

 ?? [ Reichenau/Dimo Dimov ] ?? Glückssuch­e in schwindeln­der Höhe: Hilde Wangel (Alma Hasun), Baumeister Solness (Joseph Lorenz) in einem taghell beleuchtet­en Ibsen.
[ Reichenau/Dimo Dimov ] Glückssuch­e in schwindeln­der Höhe: Hilde Wangel (Alma Hasun), Baumeister Solness (Joseph Lorenz) in einem taghell beleuchtet­en Ibsen.

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