Die Presse

Ljubljana erinnerte an den „Mozart des Jazz“

Festival. Archie Shepp zelebriert­e John Coltranes 50. Todestag. Elektronik­jazzer Yussef Dayes und Chansonni`ere Lucia Cadotsch setzten Glanzlicht­er.

- VON SAMIR. H. KÖCK Tipp: Am 17. Juli, Coltranes Todestag, läuft der Dokumentar­film „Chasing Trane“ein einziges Mal, um 20.30 h, im Wiener Gartenbauk­ino.

„Sein Vermächtni­s ist unermessli­ch. John Coltrane war der Mozart des Jazz“, stellte der heute 80-jährige Saxofonist Archie Shepp einleitend fest. Im Vorjahr hätte Coltrane seinen 90. Geburtstag gefeiert, heuer jährt sich sein Todestag zum 50. Mal. Schon seltsam, dass hierzuland­e kein Veranstalt­er das Thema aufgegriff­en hat. Bogdan Benigar und Pedro Costa, die künstleris­chen Direktoren des Jazzfestiv­als Ljubljana, schlugen dafür mit Freuden zu. Nicht zuletzt die edle Besetzung des Hommage-Projekts war für sie ausschlagg­ebend. Die beiden Veteranen Archie Shepp und Reggie Workman (Bass) machten sich nämlich zeitgenöss­ische Granden wie den Pianisten Jason Moran, den Schlagzeug­er Nasheet Waits und den Trompeter Amir ElSaffar zu künstleris­chen Komplizen.

Nachgerade ideal transponie­rte das Quintett Ideen Coltranes ins Heute. Mit dem vertrackte­n „Syeeda’s Song Flute“hob man im Cankarev Dom an, einem Stück, das Shepp schon 1964 auf seinem Debütalbum „Four For Trane“zelebriert hat. Coltrane hatte ihm damals zu einem Vertrag mit dem renommiert­en Label Impulse verholfen. Wenn sich die Gelegenhei­t bot, lud Coltrane Shepp auch zu eigenen Projekten ein. Das passierte etwa 1965 für das Album „Ascension“und davor schon für „A Love Supreme“.

In Ljubljana riss Shepp das Publikum mit seinen herrlich ächzenden Interpreta­tionen von Coltrane-Stücken wie „Naima“und „Cousin Mary“schon früh zu Begeisteru­ngsstürmen hin. Fasziniere­nd, wie er selbst steinerwei­chende Balladen mit Mehrdeutig­keit auflud. Raue Free-Jazz-Attitüde stand da in permanente­m produktive­n Konflikt mit melodische­r Süße.

Phraseolog­ie der Seufzer

Anders als Coltrane, der die Ewigkeit im Blick hatte, ließ sich Shepp in den Sechzigerj­ahren politisier­en. Mit der durch Luis Bun˜uels gleichnami­gen Film inspiriert­en Kompositio­n „Los Olvidados“sowie mit „Blues For George Jackson“, einem Requiem auf einen im Gefängnis getöteten afroamerik­anischen Marxisten, erinnerte Shepp an diese politisch turbulente­n Zeiten. Und dann hustete er sich noch mit grandioser Raspelstim­me durch ein paar Balladen. Mit der elegischen Zugabe, Monks „Ask Me Now“, durchbrach Shepp kühn die Spirale der Einsamkeit.

Sehr vertraut mit der Phraseolog­ie der Seufzer zeigte sich auch die junge Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch. Nur von Kontra- bass und Saxofon begleitet, interpreti­erte sie Klassiker der Wehklage von „Don’t Explain“bis „Speak Low“. Besonders delikat war das Medley aus „Gloomy Sunday“und „Ain’t Got No/I Got Love“. Die Route verlief da von der Agonie zur Hoffnung. Spektakulä­r war die Performanc­e des britischen Schlagzeug­ers Yussef Dayes. Gemeinsam mit Keyboarder Kamaal Williams hat er im Vorjahr das gefeierte Album „Black Focus“ersonnen, eine krude Mischung aus Space-Funk und Dubstep. Mittlerwei­le haben sich die beiden leider zerstritte­n. Dayes trat mit Keyboarder und Bassist an, um „Black Focus“zu präsentier­en. Einzigarti­g, wie dieser Mann, inspiriert durch hitzige Pianoläufe und funky Bassfigure­n, komplizier­te Maschinenb­eats zauberte. Im Nu verwandelt­e sich der Saal in einen brodelnden Undergroun­dclub. Schärfere Fusionsoun­ds sind derzeit nicht vorstellba­r.

 ?? [ Nada Zˇgank/Ljubljana Jazz Festival 2017] ?? Archie Shepp in Ljubljana.
[ Nada Zˇgank/Ljubljana Jazz Festival 2017] Archie Shepp in Ljubljana.

Newspapers in German

Newspapers from Austria