Ljubljana erinnerte an den „Mozart des Jazz“
Festival. Archie Shepp zelebrierte John Coltranes 50. Todestag. Elektronikjazzer Yussef Dayes und Chansonni`ere Lucia Cadotsch setzten Glanzlichter.
„Sein Vermächtnis ist unermesslich. John Coltrane war der Mozart des Jazz“, stellte der heute 80-jährige Saxofonist Archie Shepp einleitend fest. Im Vorjahr hätte Coltrane seinen 90. Geburtstag gefeiert, heuer jährt sich sein Todestag zum 50. Mal. Schon seltsam, dass hierzulande kein Veranstalter das Thema aufgegriffen hat. Bogdan Benigar und Pedro Costa, die künstlerischen Direktoren des Jazzfestivals Ljubljana, schlugen dafür mit Freuden zu. Nicht zuletzt die edle Besetzung des Hommage-Projekts war für sie ausschlaggebend. Die beiden Veteranen Archie Shepp und Reggie Workman (Bass) machten sich nämlich zeitgenössische Granden wie den Pianisten Jason Moran, den Schlagzeuger Nasheet Waits und den Trompeter Amir ElSaffar zu künstlerischen Komplizen.
Nachgerade ideal transponierte das Quintett Ideen Coltranes ins Heute. Mit dem vertrackten „Syeeda’s Song Flute“hob man im Cankarev Dom an, einem Stück, das Shepp schon 1964 auf seinem Debütalbum „Four For Trane“zelebriert hat. Coltrane hatte ihm damals zu einem Vertrag mit dem renommierten Label Impulse verholfen. Wenn sich die Gelegenheit bot, lud Coltrane Shepp auch zu eigenen Projekten ein. Das passierte etwa 1965 für das Album „Ascension“und davor schon für „A Love Supreme“.
In Ljubljana riss Shepp das Publikum mit seinen herrlich ächzenden Interpretationen von Coltrane-Stücken wie „Naima“und „Cousin Mary“schon früh zu Begeisterungsstürmen hin. Faszinierend, wie er selbst steinerweichende Balladen mit Mehrdeutigkeit auflud. Raue Free-Jazz-Attitüde stand da in permanentem produktiven Konflikt mit melodischer Süße.
Phraseologie der Seufzer
Anders als Coltrane, der die Ewigkeit im Blick hatte, ließ sich Shepp in den Sechzigerjahren politisieren. Mit der durch Luis Bun˜uels gleichnamigen Film inspirierten Komposition „Los Olvidados“sowie mit „Blues For George Jackson“, einem Requiem auf einen im Gefängnis getöteten afroamerikanischen Marxisten, erinnerte Shepp an diese politisch turbulenten Zeiten. Und dann hustete er sich noch mit grandioser Raspelstimme durch ein paar Balladen. Mit der elegischen Zugabe, Monks „Ask Me Now“, durchbrach Shepp kühn die Spirale der Einsamkeit.
Sehr vertraut mit der Phraseologie der Seufzer zeigte sich auch die junge Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch. Nur von Kontra- bass und Saxofon begleitet, interpretierte sie Klassiker der Wehklage von „Don’t Explain“bis „Speak Low“. Besonders delikat war das Medley aus „Gloomy Sunday“und „Ain’t Got No/I Got Love“. Die Route verlief da von der Agonie zur Hoffnung. Spektakulär war die Performance des britischen Schlagzeugers Yussef Dayes. Gemeinsam mit Keyboarder Kamaal Williams hat er im Vorjahr das gefeierte Album „Black Focus“ersonnen, eine krude Mischung aus Space-Funk und Dubstep. Mittlerweile haben sich die beiden leider zerstritten. Dayes trat mit Keyboarder und Bassist an, um „Black Focus“zu präsentieren. Einzigartig, wie dieser Mann, inspiriert durch hitzige Pianoläufe und funky Bassfiguren, komplizierte Maschinenbeats zauberte. Im Nu verwandelte sich der Saal in einen brodelnden Undergroundclub. Schärfere Fusionsounds sind derzeit nicht vorstellbar.