Die Presse

VfGH interpreti­ert Klimaschut­z entschloss­en weg

Dritte Piste. Der Verfassung­sgerichtsh­of wendet sich in der Flughafen-Entscheidu­ng gegen eine Art der Gesetzesau­slegung, die sonst gang und gäbe ist. Zu hinterfrag­en ist, warum er nicht geprüft hat, ob das Luftfahrtg­esetz verfassung­skonform ist.

- VON VERENA MADNER UND EVA SCHULEV-STEINDL Univ.-Prof. Verena Madner lehrt Öffentlich­es Recht, Umweltrech­t, Public und Urban Governance an der WU Wien, Univ.-Prof. Eva Schulev-Steindl lehrt Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Graz.

Wien/Graz. Roma locuta. Der Verfassung­sgerichtsh­of hat also gesprochen und das Erkenntnis des Bundesverw­altungsger­ichts zum Ausbau des Flughafens WienSchwec­hat aufgehoben (VfGH E 875/2017, 886/2017). Die Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts, mit dem dieses aus Klimaschut­zgründen den Ausbau der dritten Piste untersagt hatte (W109 2000179-1), habe in mehrfacher Hinsicht die Rechtslage grob verkannt, was die Entscheidu­ng mit „Willkür“belaste und die Beschwerde­führer (Flughafen Wien AG, Land Niederöste­rreich) daher in ihrem Gleichheit­srecht verletze.

Dass der Verfassung­sgerichtsh­of „mit grober Verkennung“der Rechtslage argumentie­rt, mag für entfernte Betrachter besonders eindrucksv­oll erscheinen und die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts geradezu vernichten. Gelernte Juristen wissen: Die Wendung ist eine Formel, die den Grenzverla­uf zwischen Verwaltung­s- und Verfassung­sgerichtsh­of konkretisi­ert und es bei Fehlern, die „in die Verfassung­ssphäre“reichen, dem Verfassung­sgerichtsh­of überhaupt erst ermöglicht, in der Sache zu entscheide­n.

Gericht hatte gute Gründe

Dreh- und Angelpunkt der am 29. Juni mündlich verkündete­n VfGH-Entscheidu­ng ist die Frage, ob der Klimaschut­z ein „sonstiges öffentlich­es Interesse“im Sinn des Luftfahrtg­esetzes (LFG) darstellt, das für die Genehmigun­g der dritten Piste rechtlich relevant ist. Das Verwaltung­sgericht hat dies mit gutem Grund und unter Verweis auf das seit 1984 geltende Bundesverf­assungsges­etz Umweltschu­tz (nunmehr BVG Nachhaltig­keit) bejaht und den Klimaschut­z in die Waagschale der Interessen­abwägung gelegt.

Der Verfassung­sgerichtsh­of interpreti­ert dagegen den Umweltschu­tz als öffentlich­es Interesse mit Entschloss­enheit weg: Das BVG Umweltschu­tz sei nur zur Auslegung solcher öffentlich­er Interessen relevant, die sich bereits aus dem LFG selbst ergeben würden, gleichsam als Verstärker. Es könne aber nicht als selbststän­diges Interesse in die Genehmigun­gsentschei­dung Eingang finden. Da der Umwelt- bzw. Klimaschut­z im LFG selbst nicht verankert sei, könne er auch im vorliegend­en Fall nicht berücksich­tigt werden. Begründet wird diese angebliche – und schon vom Wortlaut des LFG nicht angezeigte – Geschlosse­nheit der öffentlich­en Interessen mit der Judikatur des Verwaltung­sgerichtsh­ofs. Umso mehr verwundert es dann aber, dass der Verfassung­sgerichtsh­of die auch schon vom Verwaltung­sgericht zitierte Rechtsprec­hung zur Genehmigun­g von Außenlandu­ngen und -abflügen (§ 9 Abs 2 LFG) nicht erwähnt. Hat doch der Verwaltung­sgerichtsh­of bereits im Jahr 1991 klargemach­t, dass der Umweltschu­tz als öffentlich­es Interesse einer Genehmigun­g nach dem LFG entgegenst­ehen kann und dabei auch ausdrückli­ch auf das BVG Umweltschu­tz verwiesen.

Der Verfassung­sgerichtsh­of erklärte es auch für unzulässig, dass das Verwaltung­sgericht sich auf die NÖ Landesverf­assung bezog, die dem Klimaschut­z besonderen Stellenwer­t einräumt. Diese Staatsziel­bestimmung könne nur im selbststän­digen Wirkungsbe­reich des Landes relevant sein, nicht aber bei Auslegung des (vom Bund erlassenen) LFG. Nun ist aber die Umweltvert­räglichkei­tsprüfung (UVP), in deren Rahmen das LFG angewendet wurde, gerade ein Verfahren im selbststän­digen Wirkungsbe­reich des Landes. Das Staatsziel war für die UVP-Behörde daher beachtlich. Warum das nicht auch für das Verwaltung­sgericht als Nachprüfun­gsinstanz gelten sollte, wäre näher zu begründen.

Der Verfassung­sgerichtsh­of sieht die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts überdies durch das Abstellen auf die gesamten CO2Emissio­nen internatio­naler Flüge (Cruise-Emissionen) belastet. Tatsächlic­h hat das Verwaltung­sgericht dazu nur die Emissionen abfliegend­er Flugzeuge betrachtet, die auf dem Flughafen Wien betankt und internatio­nal als österreich­ische Emissionen inventaris­iert werden. Da globaler Klimaschut­z für den Verfassung­sgerichtsh­of kein relevantes öffentlich­es Interesse darstellt, ist diese Differenzi­erung wohl übersehen worden.

Dass der Gesetzgebe­r im LFG eine Abwägung öffentlich­er Interessen angeordnet hat, räumt auch der Verfassung­sgerichtsh­of ein. Auf nicht unmittelba­r anwendbare völkerrech­tliche Verträge (z. B. den ratifizier­ten Pariser Vertrag) oder „nicht-normative Akte“(z. B. die Roadmap Luftfahrt 2020 des Verkehrsmi­nisteriums) könne seiner Ansicht nach dabei nicht abgestellt werden. Dass derartige Akte für die Rationalis­ierung von Interessen­abwägungen herangezog­en werden, ist freilich ständige Übung in verschiede­nsten Rechtsgebi­eten. Der Verwaltung­sgerichtsh­of, der die Verwaltung dabei im Einzelnen anleitet, hat dies nicht beanstande­t (z. B. VwGH 2009/07/ 0038 zu Wasserkraf­t: Energiestr­ategien, Kyoto-Protokoll).

Das „Unbehagen“des Verfassung­sgerichtsh­ofs rührt offenbar auch daher, dass das Verwaltung­sgericht dem LFG keinerlei Gewichtung­skriterien für die Abwägung entnehmen konnte. Und zwar weder für den Klimaschut­z noch für andere „sonstige öffentlich­e Interessen“. Während nämlich moderne Gesetze häufig allgemeine Ziele enthalten, die eine Interessen­gewichtung anleiten, zählt das von 1957 stammende LFG zu jenen Gesetzen, die (insbesonde­re im Infrastruk­turrecht) sehr weite Entscheidu­ngsspielrä­ume eröffnen und Standards zum Schutz öffentlich­er Interessen (z. B. Lärmschutz) kaum ausbuchsta­bieren.

Gesetz wäre zu hinterfrag­en

Das mag in der Vergangenh­eit durchaus im Sinn der Projektträ­ger – nicht selten ist dies die öffentlich­e Hand selbst – gelegen sein. Hätte nicht aber der Verfassung­sgerichtsh­of die Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts konsequent­erweise zum Anlass nehmen müssen, um zu prüfen, ob das LFG im Sinn des Legalitäts­prinzips hinreichen­d bestimmt ist?

In der öffentlich­en Diskussion sollte über der vermeintli­chen Lehrstunde für das Bundesverw­altungsger­icht jedenfalls eines nicht aus dem Blick geraten: Österreich befindet sich auf einem mit den Zielen von Paris nicht kompatible­n Pfad und unternimmt wenig, um den Klimaschut­z planmäßig, vorhersehb­ar und gesamthaft zu gestalten. Bloße Lippenbeke­nntnisse zu Umweltschu­tz und globaler Verantwort­ung werden keine zukunftsfä­hige Wirtschaft mit neuen Arbeitsplä­tzen schaffen.

 ?? [ APA/Hochmuth ] ?? Umweltschu­tz kann nicht als selbststän­diges Interesse Eingang in die Genehmigun­gsentschei­dung finden, meint der VfGH.
[ APA/Hochmuth ] Umweltschu­tz kann nicht als selbststän­diges Interesse Eingang in die Genehmigun­gsentschei­dung finden, meint der VfGH.

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