Flüchtlingsboote, Grenzstaus und eine Geschichte des Ignorierens
Geschlossene Grenzen im Inneren der Europäischen Union lösen das Problem nicht, sondern sind ein Zeichen der mangelnden Solidarität und des Versagens.
Dieses Jahr wird es besonders schlimm: Staus zu Ferienbeginn wohin man schaut. Das hat nicht nur mit den vielen Baustellen zu tun, sondern vor allem mit den Grenzkontrollen. Eine der wichtigsten Errungenschaften der EU, nämlich die offenen Grenzen im Inneren, droht endgültig aufgegeben zu werden. Vor allem den Bürgern in Osteuropa und im Osten Österreichs ist noch lebhaft die drückende und undurchlässige Grenze – mit Stacheldraht, Wachtürmen und Schießbefehl – in schauerlicher Erinnerung.
Umso größer war die beiderseitige Begeisterung, als diese Grenzbauten niedergerissen wurden. Historisch ist das Foto, das den kürzlich verstorbenen damaligen Außenminister Alois Mock mit seinem tschechischen Kollegen zeigt, wie sie gemeinsam den Stacheldrahtzaun durchschneiden.
Heute ist man dabei, wieder möglichst undurchlässige Grenzen zu etablieren. Was als kurzfristige Notmaßnahme wegen des Flüchtlingsansturms 2015 gedacht war, wird offenbar zur Dauerlösung. Dabei ist die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen durchaus zu hinterfragen.
Was bringt es etwa, zwischen Österreich und Deutschland Grenzkontrollen durchzuführen? Diejenigen, die in eines der Länder, wo (noch) Milch und Honig fließen wollen, sind dann ja bereits da. Angesichts der aktuellen Migrationsroute – es kommen mittlerweile vor allem Armutsmigranten – übers Mittelmeer steht wieder einmal Italien vor einer schweren Belastungsprobe. Es mutet als Dej`´a-vu an, wenn man die dramatischen Bilder und das Desinteresse der anderen EUMitgliedsstaaten betrachtet.
Es ist unredlich, wenn Deutschland seine Grenzen einfach dicht macht und keinen Gedanken daran verschwendet, wie die Länder südlich davon mit der Situation zurechtkommen. Der TürkeiDeal war bereits fragwürdig und hier greift er gar nicht.
Jenen, die eine Schließung dieser Route fordern, wie Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, halten einige sei- ner Kollegen entgegen, dies sei nicht möglich. Gleichzeitig schaut man zu, wie sich in Italien die Lage dramatisch zuspitzt und sich die Stimmung in der Bevölkerung immer mehr aufheizt. Die Italiener, die vor allem im Süden selbst oft in schwierigen Verhältnissen leben, haben erstaunlichen Langmut und Toleranz bewiesen. Dass nun die Belastungsgrenze erreicht wird, ist verständlich.
Das „Schließen der Mittelmeerroute“wird in Österreich zunehmend Wahlkampfthema. Es stimmt schon, dass damit nicht alle Probleme gelöst sind. Aber wenn die EU nicht in der Lage ist, ihre Außengrenzen zu kontrollieren, geschieht zweierlei: Erstens werden die Bürger den Aufstand proben, weil sie eine Wiederholung der Szenen von 2015 fürchten. Nur, dass diesmal nicht temporäre Kriegsflüchtlinge aus Syrien in der Schlange stehen, sondern Millionen Armutsmigranten aus Afrika. Würde man diese in Europa aufnehmen, würde schlagartig unser Sozialsystem kollabieren und der gesellschaftliche Zusammenhalt zerbrechen. Zweitens würden dann echte Flüchtlinge, die Anspruch auf Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, keine Aufnahme mehr finden können, weil die Systeme bereits überlastet sind.
All dies sollten jene Parteien, Staaten und Organisationen überdenken, die entschlossene Maßnahmen ablehnen. Es sollte aber auch jenen, die sich nur auf Abwehr von Armutsmigranten konzentrieren, bewusst sein, dass dies allein nicht ausreicht, sondern treffsichere Hilfe und Maßnahmen in den Heimatländern der Betroffenen notwendig sind, wie etwa durchdachte und großzügige Entwicklungshilfe.
Denn niemand verlässt aus Jux und Tollerei seine Heimat und zehrt alle Ersparnisse auf, um sich auf eine lebensgefährliche Reise zu begeben. Mitleid allein und Angst vor schlechter Presse lösen allerdings das Problem nicht, sondern tragen nur zur Dramatik bei.
Vor allem die Italiener im Süden, die oft selbst in schwierigen Verhältnissen leben, haben bisher erstaunlichen Langmut und Toleranz bewiesen.