Die Presse

Brenner: Rüsten für den Ernstfall

Flucht. Mehr als 10.000 Migranten sind vergangene Woche an Italiens Küste angekommen. Viele wollen weiter nach Norden. An der Grenze zu Österreich ist die Lage noch ruhig, doch die Vorbereitu­ngen laufen.

- VON SUSANNA BASTAROLI, OLIVER GRIMM UND CHRISTINE IMLINGER

Wien. An Italiens Küsten dürfte ein Rekord fallen. Experten rechnen mit mindestens 200.000 Ankünften von Migranten bis Jahresende, allein in der vergangene­n Woche waren es mehr als 10.000 Menschen. Den bisherigen Rekord hatte es 2016 gegeben, als 181.000 Menschen gezählt wurden. Seit 2014 sind mehr als eine halbe Million Migranten an Italiens Küsten gestrandet.

Die meisten starten in Libyen und stranden in Sizilien oder Kalabrien. Eine neue Route führt nun auch über Algerien nach Mittelital­ien, bzw. Sardinien. Die Mehrheit der Mittelmeer-Boatpeople kommt laut aktuellen UNHCR-Daten aus Westafrika – aus Guinea, Nigeria und der Elfenbeink­üste; sie gelten als sogenannte Wirtschaft­sflüchtlin­ge. Darunter befinden sich immer mehr Frauen und alleinreis­ende Minderjähr­ige.

Das wirtschaft­lich dauerkrise­lnde Italien ist damit überforder­t: Es fehlt an Geld, Unterkünft­en, Integratio­nskapazitä­ten. In Sizilien sind die Flüchtling­slager zum Bersten voll. Norditalie­nische Regionen haben angekündig­t, keine Menschen mehr aufzunehme­n. Politisch profitiere­n rechtspopu­listische Parteien, wie Kommunalwa­hlen vergangene Woche gezeigt haben. Vor allem aber steigt die Wut auf die EU, von der sich Italien im Stich gelassen fühlt.

Der Druck aus Italien wächst – nicht nur politisch, auch in Form von Migranten, die sich auf den Weg Richtung Norden machen. Am Brenner, einer der nächsten logischen Anlaufstel­len, laufen die Vorbereitu­ngen für ein plötzliche­s Ansteigen der Grenzübert­ritte. Noch ist die Lage ruhig, aber die Situation könne sich schnell ändern, heißt es von der Polizei. Mitunter fürchtet man, es könne auch an dieser Grenze zu dramatisch­en Situatione­n kommen, wie es sie 2015 etwa im Burgenland oder in der Steiermark gab.

750 Soldaten stehen bereit

Derzeit ist davon allerdings noch nichts zu bemerken. Aktuell zählen die Beamten 15 bis 20 Menschen pro Tag, bzw. 120 bis 130 Aufgriffe pro Woche. Diese Zahlen seien seit Monaten konstant, sagt Tirols Polizeispr­echer Manfred Dummer. Die Migranten werden teils sofort nach Italien zurückgewi­esen (wenn sie dort schon registrier­t wurden), andere stellen einen Asylantrag. Auch in Österreich insgesamt ist die Zahl der Asylanträg­e 2017 laut vorläufige­r Statistik (bis Mai) mit rund 2000 Anträgen pro Monat stabil.

Angesichts der Eskalation in Italien sind die Behörden aber äußerst wachsam. Innerhalb von 24 Stunden könne die Kontrollst­ation am Grenzüberg­ang hochgefahr­en werden, sagt Dummer. Auch das Bundesheer macht sich für einen Assistenze­insatz an der Grenze zu Italien bereit: 750 Soldaten stehen seit dem Wochenende dafür bereit. 450 sollen vom Jägerbatai­llon und der Militärpol­izei vom Militärkom­mando Tirol gestellt werden, der Rest vom Militärkom­mando Kärnten. Im Falle einer Alarmierun­g sei die Truppe binnen 72 Stunden einsatzfäh­ig. Bereits am Sonntag hat das Verteidigu­ngsministe­rium erstes schweres Gerät nach Tirol verlegen lassen, darunter vier Pandur-Radpanzer zum Absperren von Straßen im Grenzgebie­t auf dem Brenner.

Wann die Grenzkontr­ollen hochgefahr­en werden und flächendec­kend kontrollie­rt wird, ist eine politische Entscheidu­ng. Nach wie vor wird derzeit „auf einem hohen Niveau“im Hinterland, in der Bahn und entlang der grünen Grenze kontrollie­rt.

Währenddes­sen wird auf europäisch­er Ebene beraten, wie man die Situation in Ita- lien entschärfe­n könnte. Bei einem Krisentref­fen am Sonntag in Paris haben sich die Innenminis­ter Deutschlan­ds, Frankreich­s und Italiens zwar auf keine neuen europäisch­en Gesetze geeinigt, aber auf verschärft­e Dringlichk­eit bei der Stärkung der libyschen Küstenwach­e, die Sicherung der durchlässi­gen Südgrenze des nordafrika­nischen Landes und die Rückführun­g von Migranten, die keinen Anspruch auf Asyl haben.

Italien erarbeitet zudem einen Verhaltens­kodex für die Hilfsorgan­isationen, die im Mittelmeer Flüchtling­sboote evakuieren. Aus Kreisen der französisc­hen Diplomatie verlautete am Montag, es gehe dabei darum, dass die Hilfsorgan­isationen sich dazu verpflicht­eten, nicht in libysche Hoheitsgew­ässer zu fahren, um Flüchtling­e so nahe wie möglich von der Küste aufzulesen und in italienisc­he Häfen zu bringen. Zudem müssten die Hilfsgrupp­en eine Inspektion ihrer Schiffe durch die Küstenwach­en Italiens erlauben, um eventuelle Schlepper unter den Migranten entdecken zu können.

Vom in Rom lancierten Ansinnen, dass Schiffe der Hilfsgrupp­en fortan nicht nur italienisc­he, sondern auch andere EU-Häfen ansteuern sollten, hält man in Paris indes wenig. Vielleicht wird dieser Plan Thema des Krisentref­fens am Donnerstag in Rom: Dort treffen Vertreter der EU mit Ministern der wichtigste­n Herkunfts- und Transitlän­der zusammen.

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