Wovon Trump mit seinen permanenten Eskapaden ablenkt
Analyse. Hinter den Provokationen des US-Präsidenten steckt Kalkül. Und die Medien fallen darauf herein.
Washington. Nach knapp einem halben Jahr im Amt hat Donald Trump vielleicht noch nicht viel Konkretes geleistet, doch selbst nach Ansicht von Kritikern hat er eine grundlegende Veränderung geschafft: Er hat die Regeln des Reality-TV auf das Präsidentenamt übertragen. Diese Prinzipien verlangen Unterhaltung rund um die Uhr, und dabei hat der Ex-Hauptdarsteller der „Apprentice“-Serie Erfolg, wie die Aufregung um sein Wrestlingvideo zeigt. Darin ist zu sehen, wie Trump am Rand eines Wrestlingrings einen Mann niederschlägt. Es ist ein altes Showvideo. Doch über das Gesicht des Mannes hat der US-Präsident nun das Logo von CNN montiert. Die simple Botschaft: Trump haut den verhassten TV-Sender nieder.
Der Clip hat Empörung bei Politikern aller Parteien und bei Journalistenverbänden hervorgerufen. „Geschmacklos“und „pubertär“gehören dabei noch zu den milderen Urteilen. Die oppositionellen Demokraten werfen Trump vor, seine Anhänger zu Gewalt gegen Journalisten zu ermuntern. Autokratische Herrscher in aller Welt sähen sich von Trump in ihrem Vorgehen gegen die Medien bestärkt, erklärte der Presseverband CPJ. Trumps Berater Thomas Bossert hielt dagegen, es handele sich um eine Meinungsäußerung, nicht um einen Gewaltaufruf.
Aus Sicht einiger Beobachter in den USA geht die Debatte über den Krieg des Präsidenten gegen die Medien jedoch am Kern der Sache vorbei. Pulitzer-Preisträgerin Judith Miller sagte dem Sender Fox News, Trump verstehe es meisterhaft, die Medien von den eigentlich wichtigen Dingen wie dem Versagen der Regierung bei der Gesundheitsreform abzulenken. Auch rede niemand darüber, dass ein halbes Jahr nach Trumps Amtsantritt mehr als tausend Posten im Regierungsapparat wegen der Unfähigkeit der Administration noch nicht besetzt seien.
Neuordnung der Wahlkreise
Trump habe einen Weg gefunden, mit seinen Twitter-Mitteilungen die Agenda nach Belieben zu lenken, sagte Miller. „Richtige Journalisten“dürften nicht darauf hereinfallen. Miller ist selbst nicht unumstritten: Als Reporterin der „New York Times“verbreitete sie Falschinformationen über das angebliche Waffenarsenal des Irak und lieferte damit Argumente für den US-Feldzug gegen Saddam Hussein im Jahr 2003.
Tatsächlich gehen manche wichtige Themen im Getöse der Auseinandersetzung zwischen Trump und den Medien unter. So hat eine vom Präsidenten eingesetzte Kommission bei den 50 Bundesstaaten detaillierte Daten über das Wahlverhalten ihrer Bürger angefordert. Offiziell geht es um die Frage, ob bei der Wahl 2016 massenweise illegale Einwanderer abgestimmt haben, wie Trump behauptet. In Wahrheit dürfte das Interesse der Regierung an Informationen für eine Neuordnung von Wahlkreisen und Vorschriften zugunsten von Trump für die Wahl im Jahr 2020 im Vordergrund stehen. Mehrere Dutzend Bundesstaaten haben das Ansinnen zurückgewiesen, doch in der Öffentlichkeit wird das Projekt weit weniger diskutiert als der CNN-Clip. Trump wolle die Amerikaner mit seinen „nicht enden wollenden Eskapaden“mürbe machen, schrieb der Kolumnist Charles Blow in der „New York Times“.
Nur noch 37 Prozent Zustimmung
Noch steht nicht fest, ob der Präsident damit auf Dauer Erfolg haben wird. Seine Zustimmungsrate von nur 37 Prozent markiert jedenfalls einen historischen Tiefstand für USPräsidenten. Laut Fox News sind 71 Prozent der Amerikaner – also auch viele TrumpFans – der Ansicht, der Präsident schade sich mit seinen Tweets selbst. Nach wie vor agiert das Weiße Haus unter der dunklen Wolke des Russland-Skandals, der Trump das Amt kosten könnte. „Sperrt ihn ein“, skandierten Trump-Gegner am Wochenende bei mehreren Dutzend Demonstrationen im ganzen Land – und forderten ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten.