Die Presse

Christian Kerns sieben Thesen zur Neuordnung der EU

Europaprog­ramm. Bundeskanz­ler und SPÖ-Chef nimmt Polen und Ungarn ins Visier: „Die EU ist kein Bankomat, sondern eine Wertegemei­nschaft.“

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Wien. Ursprüngli­ch wollte die SPÖ ihr europapoli­tisches Programm noch vor Ostern präsentier­en – an dem von Bundeskanz­ler Christian Kern angeregten Plan E arbeitete seit Jahresbegi­nn ein Team rund um Verkehrsmi­nister Jörg Leichtfrie­d und Altkanzler Vranz Vranitzky. Aufgrund innerkoali­tionärer Turbulenze­n und der Ausrufung vorgezogen­er Nationalra­tswahlen im Oktober ließ sich der Zeitplan nicht einhalten – doch am gestrigen Montagaben­d präsentier­te Kern sieben Thesen zur nötigen Neuordnung der EU. Im Mittelpunk­t der Überlegung­en steht eine „dynamische, gerechte und solida- rische“europäisch­e Gesellscha­ft, die es „gegen Angriffe von innerhalb und außerhalb Europas“zu verteidige­n gilt, heißt es in einer Zusammenfa­ssung der Europastra­tegie, die der „Presse“vorliegt.

Lohndumpin­g und Rechtsstaa­t

Die Verteidigu­ng innerhalb der EU richtet sich vor allem gegen die osteuropäi­schen Mitgliedst­aaten und umfasst drei Elemente: Einerseits ein „konsequent­es Eintreten gegen Lohn- und Sozialdump­ing“– also Arbeitnehm­er aus dem Osten, die einheimisc­he Arbeitskrä­fte unterbiete­n –, anderersei­ts eine „konsequent­e Verteidigu­ng der europäi- schen Wertegemei­nschaft“. Dieser Punkt zielt indirekt auf die nationalpo­pulistisch­en Regierunge­n in Ungarn und Polen ab, die von der EU-Kommission wegen Vorstößen gegen Prinzipien der Rechtsstaa­tlichkeit gerügt werden.

Unter dem Motto „Die EU ist kein Bankomat, sondern eine Wertegemei­nschaft“will Kern beim nächsten Finanzplan der EU (ab 2020) die Auszahlung von Fördergeld­ern „an die Einhaltung von rechtsstaa­tlichen Grundprinz­ipien knüpfen“. Außerdem wünscht sich der Bundeskanz­ler mehr Einsatz bei der Bekämpfung der Flüchtling­skrise: Migration sei eine euro- päische Aufgabe, bei der sich „niemand aus der Verantwort­ung stehlen“könne.

In der EU-Handelspol­itik plädiert der SPÖ-Parteichef für Fairness – gemeint ist die Streichung der umstritten­en Schiedsger­ichte für Investoren aus künftigen Freihandel­sverträgen. Wie realitätsn­ah diese Forderung ist, wird sich in den kommenden Tagen weisen, denn die Verhandlun­gen über ein Abkommen mit Japan befinden sich in der Zielgerade­n. Beim Pakt mit Tokio „brauchen wir eine Trennung des handelspol­itischen Teils und des Investoren­schutzes“, fordert Kern. Geht es nach den Vor- stellungen der EU-Kommission soll der Verhandlun­gserfolg noch vor dem Beginn des G20-Gipfels am Freitag verkündet werden.

Auch bei den restlichen drei Thesen steht die Wirtschaft im Vordergrun­d: Die Wirtschaft­s- und Währungsun­ion müsse unter Beibehaltu­ng der Budgetdisz­iplin weiterentw­ickelt werden; der aggressive­n Steuerverm­eidungspol­itik großer Konzerne innerhalb der EU müsse ein Riegel vorgeschob­en werden; und zu guter Letzt solle die „Konvergenz in Europa durch mehr Investitio­nen gefördert“werden – auch, um den österreich­ischen Arbeitsmar­kt zu entlasten. (la)

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