Roskilde-Festival: Lass dich umarmen, Schwester!
Pop & Rock. Beim dänischen Festival traten unter anderem Arcade Fire, die Neuseeländerin Lorde und die US-Künstlerin Solange auf.
Der Sound des Roskilde-Festivals waren die Stimmen von Zigtausenden singenden Besuchern, die die kanadische Band Arcade Fire bei ihrem majestätisch gespielten Hit „Wake Up“begleiteten. Er war aber auch das heftige Pulsieren von Rhythmen aus der vermeintlichen Pop-Peripherie, aus Kolumbien oder Sierra Leone. Möglich machte es das alles andere als homogene Programm des dänischen Traditionsfestivals. Rund 180 Acts ließen einen das Festival auf verschiedenste Weise erleben. In der „Komfortzone“, wie Ben Ratliff, ehemals Pop-Kritiker der „New York Times“, den Musikkonsum in Zeiten von Spotify & Co. beschreibt: Man pickt sich nur bekannte Acts heraus und blendet Unbekanntes komplett aus. Oder wie im ShuffleModus von Bühne zu Bühne treibend: Da entdeckte man neben vertrauten Ankerpunkten wie den Foo Fighters oder Arcade Fire Acts aller Himmelsrichtungen und Genres.
Während etwa Nas mit Nachdruck bewies, warum er als einer der besten Rapper gilt, tauchten Hunderte zeitgleich in die Musik tunesischer Banga-Zeremonien ein. Zu den repetitiven Rhythmen schwerer Eisen- kastagnetten und eindringlichen Gesängen fallen Jugendliche in der tunesischen Wüste regelrecht in Trance, wie ein Film zeigte. Verstärkt durch bedrohliche Bässe und eine harsche Gitarre sorgte der Sound im Publikum für nachhaltiges Staunen.
Tränen in der ersten Reihe
Fantastisch war der Auftritt der US-Künstlerin Solange. Die Songs von „A Seat at the Table“, einem der besten Alben des Vorjahres, kombinierte sie mit älteren Stücken: Ohne Pausen, streng choreografiert und mit vielen synchronen Tanzeinlagen. In ihren Soul, R ’n’ B und Disco verbindenden Songs dokumentiert Solange die Kämpfe, die schwarze Frauen auch heute noch führen müssen. Während der Black-Empowerment-Hymne „F.U.B.U“(„For Us, by Us“) stieg sie hinunter zum Publikum in der ersten Reihe. Und richtete die Zeile „This shit is for us“immer wieder direkt an eine junge schwarze Frau. Diese nickte heftig und brach in Tränen aus. Solange umarmte sie: ein berührender Moment. Auch die US-Rapperin Princess Nokia umarmte ihre weiblichen Fans, die nach einem Künstlergespräch Schlange standen. „With my little titties and my phat belly I could take your man if you finna let me“, rappte sie zuvor bei ihrem stürmischen Konzert.
Solche auch politisch geprägten Auftritte gehören seit jeher zum 1971 gegründeten Non-Profit-Festival. Getragen wird es von 30.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Für sie ist es „unser Festival“: Ihre Freundlichkeit steckt an und sorgt für die entspannte Atmosphäre, die bei Festivals dieser Größenordnung nicht selbstverständlich ist. Schon gar nicht bei Dauerregen und Matsch.
Als es endlich zu regnen aufgehört hatte, sorgten Arcade Fire für kollektive Euphorie. Diese Band aus Montreal will alles. Und sie kann (fast) alles. Die Meister der emotiona- len Überwältigung, des Überschwangs, sie beherrschen es längst auch, einen knappen Groove zu reiten. Wie blass und schwerfällig wirkten dagegen die Foo Fighters, die andere große Band des Wochenendes. Überzeugender war die junge Neuseeländerin Lorde: Ihre Teenage-Drama-Songs handeln von Partys, auf denen man sich einsam fühlt. Lorde sang sie mit viel Verve und enormer Bühnenpräsenz: großer Pop mit Tiefgang.
Omnipräsent war der aus Atlanta stammende Sound von Trap, einer der prägenden Strömungen im Hip-Hop der letzten Jahre. In Roskilde hörte man die scharfen Beats und grellen Synthesizer nicht nur bei Gucci Mane, dem Star der Szene. So kompromisslos, so irre wie bei diesem Rapper wurde es sonst aber nie. Willkommene Antithese war der jazzige Hip-Hop der Digable Planets: Sie verströmten mit Liveband pure Lebensfreude. „Do what ya feel, do what ya feel“, forderten sie, „if it’s real.“Die gut 130.000 Besucher taten genau das. Zumindest ein Festival lang wurde sie so Realität, die Utopie des Gemeinschaftsgefühls.