Wie gefährlich ist Kims Rakete?
Nordkorea. Das Regime in Pjöngjang feiert just am Unabhängigkeitstag der USA seinen ersten angeblich erfolgreichen Test einer Interkontinentalrakete. Doch stimmt das wirklich? Fünf Antworten auf fünf Fragen.
Pjöngjang/Wien. 18 Raketen und Marschflugkörper hat Nordkorea seit Beginn des Jahres schon getestet. Am 4. Juli verkündete das isolierte Regime einen symbolischen Höhepunkt. Just am US-Unabhängigkeitstag feuerte es eigenen Angaben zufolge eine Rakete ab, die rund 930 Kilometer weit geflogen und vor Japan ins Meer gefallen sein soll. Der erste erfolgreiche Test einer funktionsfähigen Interkontinentalrakete, jubelte die kommunistische Regierung in Pjöngjang.
Als solche gelten Raketen mit mehr als 5500 Kilometer Reichweite. Man habe sie absichtlich abstürzen lassen, Modelle dieser Art könnten fortan aber „jedes Ziel in der Welt treffen“, tönten die Staatsmedien. Tatsächlich gingen erste Schätzungen im Ausland von einer möglichen Reichweite bis Alaska aus. Die Aufregung weltweit war groß. Doch was steckt dahinter, und was bedeutet es?
1 Was genau haãen die nordkoreanischen Raketentruppen am 4. Juli eigentlich getestet?
Pjöngjang sprach von einer Hwasong-14, das wäre eine neue Variante der seit Jahrzehnten gebauten Hwasong(Mars, feuriger Stern)-Serie. Im Westen wird das Modell indes KN-14 genannt und wurde 2015 erstmals auf einer Parade auf einem Lkw gesehen. Als technisches Vorbild der KN-14 gelten sowjetische U-Boot-gestützte Raketen aus den 1960ern, Nato-Code SS-N-6 Serb.
Als Reichweite der KN-14 wurden bisher 8000 bis 10.000 Kilometer vermutet, doch gibt es wegen der jetzigen Flugbahn, die bis in 2800 Kilometer Höhe geführt haben soll, nun unterschiedliche Extrapolationen der möglichen Flugweite: Südkoreanische Quellen sprachen von 8000 Kilometern, US-Raketenexperte David Wright von 6700, das ergäbe den in der Grafik gezeigten Kreis, der wohl Alaska, nicht aber etwa Kalifornien berührt. Japanische und US-Militärs wiederum verneinten den Status einer Interkontinentalrakete, und überraschende Messdaten kamen aus Russland: Demnach flog diese Rakete nur etwa 500 Kilometer weit bei einem Scheitelpunkt von 535 Kilometer und sei klar eine reine Mittelstreckenrakete gewesen.
2 Wie groß ist das nordkoreanische Raketenarsenal – und wie gefährlich ist es?
Das ist das große Lesen in der Kristallkugel, weil die militärische „Buchführung“des Landes nicht einsichtlich ist. Meist geht man von „um die“1000 ballistischen Raketen und Marschflugkörpern aus, von denen 900 Flugweiten von unter 500 km haben. Der Rest soll bis zu 1500 km erreichen, nur Einzelstücke mehr. Mit konventionellen Sprengköpfen bestückt lässt sich im taktischen bis operativen Rahmen (letztlich auf der koreanischen Halbinsel) wohl ein heftiges, aber begrenztes Bombardement erzeugen. Für strategische Einsätze haben nur Atomsprengköpfe Sinn – es ist unklar, wie viele das Land hat, ob sie klein genug für Raketen sind und den rauen Endanflug aufs Ziel überstehen könnten.
3 Woher hat das Regime in Pjöngjang üãerhaupt seine großen Raketen?
Staatsgründer Kim Il-sung ordnete in den 1960ern ein Raketenprogramm an. In dieser Zeit wurden simple sowjetische Frog-Kurzstreckenraketen beschafft, die den Nordkoreanern Basiswissen vermittelten. 1976 kamen, teils über Ägypten, sowjetische ScudKurz- und -Mittelstreckenraketen ins Land, zudem kooperierte man mit China im Raketenbau. In den 1980ern begann auf Scuds aufbauend der Serienbau der Hwasong-Serie und später vieler anderer Modelle.
4 Welches politische Ziel verfolgt Nordkorea mit diesen Tests?
Der Raketentest zum US-Unabhängigkeitstag und kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg darf als Provokation Nordkoreas gewertet werden. Das isolierte Land demonstriert militärische Stärke. Manche Beobachter meinen, Diktator Kim Jong-un wolle damit auch seine Position im Inneren stärken oder den Preis in allfälligen Verhandlungen erhöhen. UN-Sanktionen verbieten es Pjöngjang bereits, Raketen zu entwickeln und zu testen. Erst vor einem Monat hat der Sicherheitsrat die Strafmaßnahmen gegen Pjöngjang zum siebten Mal seit 2006 ausgeweitet (Reiseverbote, Einfrieren von Vermögen).
5 Warum ist es so schwierig, Nordkoreas Diktator, Kim Jong-un, zu stoppen?
Weil Nordkorea Atomwaffen besitzt, sind der Staatengemeinschaft militärisch de facto die Hände gebunden: Einen Einsatz dieser Waffen will niemand provozieren. Das weiß auch Diktator Kim Jong-un, dessen Militär bei einem konventionellen Konflikt keine Chance hätte. Schärfere Wirtschaftssanktionen (Ölembargo, Handelseinschränkungen), auf die Washington drängt, finden im UN-Sicherheitsrat nicht die nötige Zustimmung: Pjöngjangs großer Freund und Handelspartner, China, hat ein Vetorecht. Es verurteilt zwar das Raketen- und Atomprogramm, greift dem Regime aber mit Wirtschaftshilfen weiter unter die Arme.
Allerdings ist man auch zunehmend besorgt: Kohleimporte aus Nordkorea wurden gestoppt. Peking hat zudem gedroht, seine Öl- und Benzinlieferungen nach Nordkorea einzustellen. Das würde das Land praktisch lahmlegen. Ob es dazu kommt, ist schwer zu sagen. Am Dienstag forderte Peking zunächst Zurückhaltung und Deeskalation. An einem Kollaps der Kim-Diktatur hat China kein Interesse: Er würde Millionen Flüchtlinge ins Land schwemmen. Im Falle einer Wiedervereinigung der Koreas hätte Peking ein mit den USA verbündetes Land an seiner Grenze – einschließlich dort stationierter US-Soldaten.