Kerns sieben Punkte im Reality-Check
Analyse. Der Bundeskanzler hat sieben Punkte für eine EU-Reform aufgelistet. „Die Presse“ging der Frage nach, welche dieser Forderungen tatsächlich umsetzbar sind, welche nicht.
Bundeskanzler Kern hat Forderungen für eine EU-Reform aufgestellt. „Die Presse2 prüft ihre Umsetz\arkeit.
Wien. Bundeskanzler Christian Kern will die EU reformieren und gerechter gestalten. In einer Grundsatzrede hat er ein Siebenpunkteprogramm präsentiert, das zwar einen proeuropäischen Charakter aufweist, im Detail aber starke Änderungen der heutigen EU einfordert. „Die Presse“ging der Frage nach, wie realistisch sind Kerns Forderungen für ein künftiges Europa?
1 Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion
Kerns Forderung geht in Richtung einer politischeren Währungsunion. Statt einer rein auf Stabilität ausgerichteten Geldpolitik wünscht er sich eine koordinierte Wirtschafts- und Konjunkturpolitik, um etwa Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen. Das klingt aus sozialdemokratischer Sicht gut, ist aber schwer durchsetzbar. Deutschland bremst hier. Chancenreich ist lediglich die Installierung eines Euro-Finanzministers, der mehr Kontroll- und Koordinationsrechte bekommen soll. Dafür hat sich auch der neue französische Präsident, Emmanuel Macron, ausgesprochen.
2 Steuergerechtigkeit auf dem Binnenmarkt schaffen
Für Steuerfragen gilt in der EU das Einstimmigkeitsprinzip. Deshalb ist Kerns Forderung nach einem gemeinsamen gesetzlichen Vorgehen gegen Steuerdumping schwer umsetzbar. Jene Länder wie Irland, die bisher damit gut gefahren sind, werden das kaum unterstützen. Realistisch ist hingegen Kerns Forderung nach einer einheitlichen Steuerbemessungsgrundlage. Das von ihm propagierte Vorgehen gegen Konzerne, die trickreiche Steuervermeidung betreiben, ist bereits im Gang. Die EU-Kommission hat das nach LuxLeaks in Angriff genommen.
3 Gemeinsamer Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping
Hier eröffnet Kern den Kampf gegen eine wirtschaftsliberale Ausrichtung des EU-Binnenmarkts. Forderungen wie „gleicher Lohn für gleiche Arbeit an einem Ort“wurden schon früher erhoben, scheiterten aber immer an unternehmerfreundlichen Kräften in der EU. Diese argumentieren mit den Selbstreinigungskräften des Markts und pochen auf mehr Wettbewerb. Auch osteuropäische Länder haben nicht unbedingt Interesse an einer Änderung, weil ihre Firmen damit im Westen nicht mehr einen Wettbewerbsvorteil hätten. Kern braucht starke Verbündete, um etwa eine in seinem Sinne notwendige Reform der Entsenderichtlinie durchzusetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass die EU in Sozialfragen nur eine geringe Zuständigkeit hat.
4 Konvergenz zwischen Mitgliedstaaten herstellen
Die Angleichung des Wirtschafts- und Wohlstandsniveaus der Mitgliedstaaten durch Investitionen und Förderungen ist zwar Ziel der EU. Dafür wird auch der größte Teil des EU-Haushalts aufgebracht. Österreich ist so wie andere aber gegen eine Anhebung des gemeinsamen Budgets. Kern kritisiert, dass Zuwanderer in Österreich am meisten vom Beschäftigungsplus profitieren. Er verschweigt aber, dass diese Personen durch ihre Überweisungen in die Heimat (Remittance) weit mehr zur Konvergenz beitragen, als dies über EU-Investitionen möglich wäre.
5 Forderung nach fairer Handelspolitik
Die EU ist auf Handelspartner angewiesen. Da umfassende Handelsregeln im Rahmen der WTO gescheitert sind, braucht es bilaterale Abkommen wie Ceta und TTIP. Kerns Forderung, in diesen Abkommen auf Schiedsgerichte zu verzichten, hat wenig Fürsprecher. Die Sensibilität ist nur in Deutschland so hoch. Selbst Länder wie Italien oder Griechenland – aber vor allem osteuropäische Länder – teilen sie nicht.
6 Europäische Wertegemeinschaft verteidigen
Für diese Forderung gibt es viele Sympathien vor allem in Westeuropa. Es geht hier um Überzeugungsarbeit, die Österreich vor allem bei seinen Nachbarländern erbringen könnte. Die von Kern geforderte Kürzungen von EU-Förderungen bei Verstößen gegen Werte klingt gut, ist aber unrealistisch. Dem Budget und seinen Regeln müssen alle Mitgliedstaaten zustimmen. Länder wie Polen oder Ungarn würden das nie akzeptieren.
7 Faire Lastenaufteilung bei der Migration
Kern teilt hier eine Position der EU-Kommission, die sich allerdings damit an den Visegrad-´Ländern die Zähne ausbeißt. Eine Änderung wäre nur durch Sanktionen möglich, für die es wiederum eine Mehrheit in der EU bräuchte. Österreich hat zwar viele Flüchtlinge aufgenommen, sich an der Umverteilung innerhalb der EU nicht gerade ehrgeizig beteiligt. Es fehlt der heimischen Regierung hierbei auch an Glaubwürdigkeit.