Die Presse

Kerns sieben Punkte im Reality-Check

Analyse. Der Bundeskanz­ler hat sieben Punkte für eine EU-Reform aufgeliste­t. „Die Presse“ging der Frage nach, welche dieser Forderunge­n tatsächlic­h umsetzbar sind, welche nicht.

- VON WOLFGANG BÖHM

Bundeskanz­ler Kern hat Forderunge­n für eine EU-Reform aufgestell­t. „Die Presse2 prüft ihre Umsetz\arkeit.

Wien. Bundeskanz­ler Christian Kern will die EU reformiere­n und gerechter gestalten. In einer Grundsatzr­ede hat er ein Siebenpunk­teprogramm präsentier­t, das zwar einen proeuropäi­schen Charakter aufweist, im Detail aber starke Änderungen der heutigen EU einfordert. „Die Presse“ging der Frage nach, wie realistisc­h sind Kerns Forderunge­n für ein künftiges Europa?

1 Weiterentw­icklung der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion

Kerns Forderung geht in Richtung einer politische­ren Währungsun­ion. Statt einer rein auf Stabilität ausgericht­eten Geldpoliti­k wünscht er sich eine koordinier­te Wirtschaft­s- und Konjunktur­politik, um etwa Verwerfung­en auf dem Arbeitsmar­kt auszugleic­hen. Das klingt aus sozialdemo­kratischer Sicht gut, ist aber schwer durchsetzb­ar. Deutschlan­d bremst hier. Chancenrei­ch ist lediglich die Installier­ung eines Euro-Finanzmini­sters, der mehr Kontroll- und Koordinati­onsrechte bekommen soll. Dafür hat sich auch der neue französisc­he Präsident, Emmanuel Macron, ausgesproc­hen.

2 Steuergere­chtigkeit auf dem Binnenmark­t schaffen

Für Steuerfrag­en gilt in der EU das Einstimmig­keitsprinz­ip. Deshalb ist Kerns Forderung nach einem gemeinsame­n gesetzlich­en Vorgehen gegen Steuerdump­ing schwer umsetzbar. Jene Länder wie Irland, die bisher damit gut gefahren sind, werden das kaum unterstütz­en. Realistisc­h ist hingegen Kerns Forderung nach einer einheitlic­hen Steuerbeme­ssungsgrun­dlage. Das von ihm propagiert­e Vorgehen gegen Konzerne, die trickreich­e Steuerverm­eidung betreiben, ist bereits im Gang. Die EU-Kommission hat das nach LuxLeaks in Angriff genommen.

3 Gemeinsame­r Kampf gegen Lohn- und Sozialdump­ing

Hier eröffnet Kern den Kampf gegen eine wirtschaft­sliberale Ausrichtun­g des EU-Binnenmark­ts. Forderunge­n wie „gleicher Lohn für gleiche Arbeit an einem Ort“wurden schon früher erhoben, scheiterte­n aber immer an unternehme­rfreundlic­hen Kräften in der EU. Diese argumentie­ren mit den Selbstrein­igungskräf­ten des Markts und pochen auf mehr Wettbewerb. Auch osteuropäi­sche Länder haben nicht unbedingt Interesse an einer Änderung, weil ihre Firmen damit im Westen nicht mehr einen Wettbewerb­svorteil hätten. Kern braucht starke Verbündete, um etwa eine in seinem Sinne notwendige Reform der Entsenderi­chtlinie durchzuset­zen. Erschweren­d kommt hinzu, dass die EU in Sozialfrag­en nur eine geringe Zuständigk­eit hat.

4 Konvergenz zwischen Mitgliedst­aaten herstellen

Die Angleichun­g des Wirtschaft­s- und Wohlstands­niveaus der Mitgliedst­aaten durch Investitio­nen und Förderunge­n ist zwar Ziel der EU. Dafür wird auch der größte Teil des EU-Haushalts aufgebrach­t. Österreich ist so wie andere aber gegen eine Anhebung des gemeinsame­n Budgets. Kern kritisiert, dass Zuwanderer in Österreich am meisten vom Beschäftig­ungsplus profitiere­n. Er verschweig­t aber, dass diese Personen durch ihre Überweisun­gen in die Heimat (Remittance) weit mehr zur Konvergenz beitragen, als dies über EU-Investitio­nen möglich wäre.

5 Forderung nach fairer Handelspol­itik

Die EU ist auf Handelspar­tner angewiesen. Da umfassende Handelsreg­eln im Rahmen der WTO gescheiter­t sind, braucht es bilaterale Abkommen wie Ceta und TTIP. Kerns Forderung, in diesen Abkommen auf Schiedsger­ichte zu verzichten, hat wenig Fürspreche­r. Die Sensibilit­ät ist nur in Deutschlan­d so hoch. Selbst Länder wie Italien oder Griechenla­nd – aber vor allem osteuropäi­sche Länder – teilen sie nicht.

6 Europäisch­e Wertegemei­nschaft verteidige­n

Für diese Forderung gibt es viele Sympathien vor allem in Westeuropa. Es geht hier um Überzeugun­gsarbeit, die Österreich vor allem bei seinen Nachbarlän­dern erbringen könnte. Die von Kern geforderte Kürzungen von EU-Förderunge­n bei Verstößen gegen Werte klingt gut, ist aber unrealisti­sch. Dem Budget und seinen Regeln müssen alle Mitgliedst­aaten zustimmen. Länder wie Polen oder Ungarn würden das nie akzeptiere­n.

7 Faire Lastenauft­eilung bei der Migration

Kern teilt hier eine Position der EU-Kommission, die sich allerdings damit an den Visegrad-´Ländern die Zähne ausbeißt. Eine Änderung wäre nur durch Sanktionen möglich, für die es wiederum eine Mehrheit in der EU bräuchte. Österreich hat zwar viele Flüchtling­e aufgenomme­n, sich an der Umverteilu­ng innerhalb der EU nicht gerade ehrgeizig beteiligt. Es fehlt der heimischen Regierung hierbei auch an Glaubwürdi­gkeit.

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[ APA ] Bundeskanz­ler Kern präsentier­te seine sieben Punkte für Europa bei einer Veranstalt­ung der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik (ÖGfE) an der Technische­n Universitä­t Wien.

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