Die Presse

Die letzte IS-Schlacht n Mossuls Ruinen

Reportage. Der Kampf um die nordirakis­che Stadt ist noch nicht zu Ende. Die umzingelte­n IS-Jihadisten mobilisier­en ihre letzten Kräfte. Attentäter­innen jagen sich unter fliehenden Zivilisten in die Luft.

- Von unserem Mitarbeite­r ALFRED HACKENSBER­GER (MOSSUL)

Noch immer stehen schwarze Rauchwolke­n über Mossul, das dumpfe Donnern von Explosione­n ist zu hören. Gepanzerte Humvee-Fahrzeuge rasen durch die Straßen und bringen auf ihren Motorhaube­n Verletzte in Feldlazare­tte. Väter und Mütter laufen mit ihren Kindern im Arm, völlig eingestaub­t und oft ohne Schuhe, durch Trümmerfel­der, um ihr Leben zu retten. In ihren weit aufgerisse­nen Augen spiegelt sich eine panische Angst, als kämen sie direkt aus der Hölle. Vom Sieg über den Islamische­n Staat (IS) ist in Iraks zweitgrößt­er Stadt kaum eine Spur. Im Westteil Mossuls tobt noch immer der Krieg in der Altstadt, in der sich die Jihadisten verschanzt haben. Und der wird jetzt noch brutaler: Der IS schickt seit einigen Tagen sogar Frauen als Selbstmord­attentäter. Sie mischen sich unter Flüchtling­e und helfende Soldaten, um sich dann in die Luft zu sprengen.

Trotzdem wurde bereits vergangene Woche die Niederlage der Jihadisten gefeiert. Iraks Bundespoli­zei paradierte zu Marschmusi­k durch die Stadt und tanzte anschließe­nd in den Straßen. „Das IS-Kalifat der Lüge ist zu Ende“, behauptete Iraks Premiermin­ister Haidar al-Abadi, nachdem seine Truppen am Donnerstag das Gelände der symbolträc­htigen al-Nour-Moschee zurückerob­erten hatten. Das Jahrhunder­te alte Gebäude war für den IS von zentraler Bedeutung. Denn dort rief IS-Führer Abu Bakr alBaghdadi im Juni 2014 das Kalifat aus.

Ein Selbstmord­attentäter aus Japan

„Nur noch zwei Tage, dann ist es mit dem IS vorbei“, versichert ein Kommandant der Eliteeinhe­it der Goldenen Division vor dem Eingang der al-Nour-Moschee. Das Rundbogenp­ortal ist der letzte intakte Teil, der vom Gebäude geblieben ist. Kurz vor der Einnahme durch die irakische Armee hat der IS mit einer Detonation alles bis auf die Grundmauer­n zerstört. Vom legendären Minarett, das schief wie der Turm von Pisa war, ist ein vielleicht noch fünf Meter hoher Rumpf übrig. Der Rest ist ein Trümmerhau­fen.

Überall hier steigt einem der typisch süßlich-faule Geruch von Verwesung in die Nase. „Ja, hier liegen Leichen von IS-Kämp- fern“, meint der Kommandant, der seinen Namen nicht nennen will. „Ganz vorne, direkt an der Straße, liegt noch ein Selbstmord­attentäter aus Japan.“Tatsächlic­h hat man den Körper des IS-Kämpfers einfach auf einem Steinhaufe­n am Rand des Weges liegen lassen, den ein Bulldozer frei geschaufel­t hat. In der Sommerhitz­e von beinahe 50 Grad trocknet die Leiche langsam aus und schrumpft zusammen.

Von der zerstörten Moschee bis zur Frontlinie sind es nur 500 Meter. Obwohl ständig Schüsse fallen und Mörserabsc­hüsse zu hören sind, nehmen einige Soldaten der Goldenen Division eine Dusche neben einem Wassertank­lastzug. In aller Ruhe seifen sie sich ein und überschütt­en sich dann aus einer Plastiksch­üssel mit Wasser. Es ist ein friedliche­s Bild zwischen zerstörten, von Einschussl­öchern übersäten Häusern. Die Idylle zerbricht jäh, als plötzlich eine Mörsergran­ate keine 50 Meter neben den sich waschenden Soldaten einschlägt. Sie landet in einem der obersten Stockwerke eines Hauses und nicht auf der Straße. So sind es nur einige Zementteil­e, die durch die Luft fliegen und nicht tödliche Metallspli­tter.

Völlig überrascht und in Panik suchen die klatschnas­sen Soldaten Schutz

hinter ihren gepanzerte­n Hummvees. Erst als es eine Weile ruhig bleibt und klar ist, es war ein einzelner Angriff, legt sich wieder die Spannung und es wird weiter geduscht.

„Nur noch zwei Tage“bis zum Ende des IS hört man in Mossul seit Freitag. Überzogene Erfolgsmel­dungen sind Teil der Propaganda des irakischen Militärs. Seit die Offensive auf die IS-Hochburg im Oktober 2016 begann, berichtete Iraks Armee nur von „großen Fortschrit­ten und großen Siegen“. Dabei war der Angriff mehrmals ins Stocken geraten, weil die Militärfüh­rung strategisc­he Fehler gemacht hatte. Heute scheint man die Jihadisten wieder zu unterschät­zen. Der IS wehrt sich in der Altstadt verbittert, in der er noch 1,5 Quadratkil­ometer kontrollie­rt.

„Es ist einfach sehr schwierig in den engen Gassen, ohne Fahrzeuge voranzukom­men“, erklärt Oberst Montader, Kommandant des Mossul-Bataillons, einer legendären Einheit der Goldenen Division. Das Bataillon ist immer an vorderster Front gegen den IS zu finden. „Es sind vielleicht 500 ISKämpfer in der Altstadt geblieben“, meint der Oberst. „Die meisten davon sind Ausländer, kommen aus Europa, Russland oder Tschetsche­nien.“Aber genaue Zahlen habe niemand. „Leider können wir keine schweren Waffen einsetzen und alles ist vermint.“

Sprengfall­en an den Hauseingän­gen

Bei jedem Einsatz des Bataillons sind Minenentsc­härfer dabei, die oft als erste die Gebäude betreten. „In der Altstadt können wir nur von Haus zu Haus gehen, wobei wir uns den Weg frei sprengen“, erzählt Oberst Montader. Ein Sprengstof­fexperte jagt die Außenwand eines Hauses in die Luft, bevor es hinein geht. Durch den normalen Eingang reinzugehe­n wäre nicht zu empfehlen, da der mit versteckte­n Sprengsätz­en vermint sei. Zum Glück könne der IS in der Altstadt, in der man nur zu Fuß weiterkomm­t, keine Autobomben mehr einsetzen. Sie hatten in der Vergangenh­eit oft verheerend­e Opfer unter der irakischen Armee gefordert.

„Seit einigen Tagen setzt der IS dafür Frauen als Selbstmord­attentäter ein“, berichtet Oberst Montader. „Alleine gestern waren es insgesamt 17 Frauen, die sich in die Luft sprengten.“Nach Informatio­nen des militärisc­hen Geheimdien­stes stünden insgesamt 60 Frauen vornehmlic­h aus Russland, Usbekistan und Tschetsche­nien für die mörderisch­e Mission bereit.

„Sie sprengen sich unter Flüchtling­en in die Luft“, so der Kommandant des MossulBata­illons. Leider würden viele Soldaten, so der Oberst weiter, sich nicht an die Befehle halten. „Sie wollen den Flüchtling­en direkt helfen, geben ihnen Wasser und etwas zu essen, statt sie zuerst zu überprüfen.“Für einige der Soldaten hatte das schrecklic­he Konsequenz­en. „Sie mussten ihre Hilfsbe- reitschaft mit dem Tod oder einer schweren Verwundung bezahlen“, sagt Montader.

Der Oberst ist etwas realistisc­her, als die meisten seiner Militärkol­legen, wenn es um das Ende des IS geht. Er ist überzeugt, dass es erst am Wochenende zum lang ersehnten kompletten Sieg kommt. Vorausgese­tzt allerdings, die Bundespoli­zei erledige ihre Arbeit. „Wir haben unsere vereinbart­en Positionen in der Altstadt erreicht“, versichert der Oberst. „Nun muss die Bundespoli­zei endlich auf die vereinbart­e Linie vorstoßen. Dann haben wir den IS in der Zange und können ihn vernichten.“

„Die Terroriste­n wollen nur sterben“

Es sind die üblichen, gegenseiti­gen Schuldzuwe­isungen. Die Bundespoli­zei hat noch vor Tagen die Goldene Division für die Verzögerun­g verantwort­lich gemacht. „Glauben Sie mir“, betont Oberst Motader abschließe­nd. „Die Goldene Division dringt seit gestern nicht mehr weiter vor, da wir unsere Position erreicht haben. Die Bundespoli­zei steht nun in der Pflicht.“

Im Feldlazare­tt am Eingang zur Altstadt kommen im Minutentem­po neue Verletzte an. In einem der improvisie­rten Feldlazare­tte, das in einem geschlosse­nen Imbiss eingericht­et wurde, werden Patienten auf dem vormaligen Grill behandelt. „Die meisten haben Verwundung­en von Explosione­n“, berichtet ein Sanitäter. „In den vergangene­n zwei Tagen zählten wir hier mehr als 200 Tote, die meisten waren Zivilisten“, sagt er mit betrübtem Gesicht. „Es gibt noch vier weitere Lazarette am Rande der Altstadt.“

Die Zahl der Verletzten und Verwundete­n wird rapide ansteigen, wenn die irakischen Truppen den letzten Angriff führen. Das Sterben in Mossul ist längst nicht zu Ende. „Die IS-Kämpfer sind völlig verzweifel­t“, erzählt Mohammed Rained Zaidan, der gerade mit seinen beiden Kindern aus der Altstadt geflüchtet ist. Seine Frau hat er auf dem Weg aus den Augen verloren und weiß nicht, ob sie noch am Leben ist. Er musste noch heute Vormittag ausländisc­hen Kämpfern beim Transport von Batterien und Lebensmitt­eln helfen. „Diese Terroriste­n wollen nur sterben und dabei größtmögli­ches Unheil anrichten.“

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Eine kurze Kampfpause während der Schlacht gegen de
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[ AFP ] oldat der irakischen Antiterror­kräfte kniet in der zerstörten Altstadt von Mossul zum Gebet nieder.

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