Die letzte IS-Schlacht n Mossuls Ruinen
Reportage. Der Kampf um die nordirakische Stadt ist noch nicht zu Ende. Die umzingelten IS-Jihadisten mobilisieren ihre letzten Kräfte. Attentäterinnen jagen sich unter fliehenden Zivilisten in die Luft.
Noch immer stehen schwarze Rauchwolken über Mossul, das dumpfe Donnern von Explosionen ist zu hören. Gepanzerte Humvee-Fahrzeuge rasen durch die Straßen und bringen auf ihren Motorhauben Verletzte in Feldlazarette. Väter und Mütter laufen mit ihren Kindern im Arm, völlig eingestaubt und oft ohne Schuhe, durch Trümmerfelder, um ihr Leben zu retten. In ihren weit aufgerissenen Augen spiegelt sich eine panische Angst, als kämen sie direkt aus der Hölle. Vom Sieg über den Islamischen Staat (IS) ist in Iraks zweitgrößter Stadt kaum eine Spur. Im Westteil Mossuls tobt noch immer der Krieg in der Altstadt, in der sich die Jihadisten verschanzt haben. Und der wird jetzt noch brutaler: Der IS schickt seit einigen Tagen sogar Frauen als Selbstmordattentäter. Sie mischen sich unter Flüchtlinge und helfende Soldaten, um sich dann in die Luft zu sprengen.
Trotzdem wurde bereits vergangene Woche die Niederlage der Jihadisten gefeiert. Iraks Bundespolizei paradierte zu Marschmusik durch die Stadt und tanzte anschließend in den Straßen. „Das IS-Kalifat der Lüge ist zu Ende“, behauptete Iraks Premierminister Haidar al-Abadi, nachdem seine Truppen am Donnerstag das Gelände der symbolträchtigen al-Nour-Moschee zurückeroberten hatten. Das Jahrhunderte alte Gebäude war für den IS von zentraler Bedeutung. Denn dort rief IS-Führer Abu Bakr alBaghdadi im Juni 2014 das Kalifat aus.
Ein Selbstmordattentäter aus Japan
„Nur noch zwei Tage, dann ist es mit dem IS vorbei“, versichert ein Kommandant der Eliteeinheit der Goldenen Division vor dem Eingang der al-Nour-Moschee. Das Rundbogenportal ist der letzte intakte Teil, der vom Gebäude geblieben ist. Kurz vor der Einnahme durch die irakische Armee hat der IS mit einer Detonation alles bis auf die Grundmauern zerstört. Vom legendären Minarett, das schief wie der Turm von Pisa war, ist ein vielleicht noch fünf Meter hoher Rumpf übrig. Der Rest ist ein Trümmerhaufen.
Überall hier steigt einem der typisch süßlich-faule Geruch von Verwesung in die Nase. „Ja, hier liegen Leichen von IS-Kämp- fern“, meint der Kommandant, der seinen Namen nicht nennen will. „Ganz vorne, direkt an der Straße, liegt noch ein Selbstmordattentäter aus Japan.“Tatsächlich hat man den Körper des IS-Kämpfers einfach auf einem Steinhaufen am Rand des Weges liegen lassen, den ein Bulldozer frei geschaufelt hat. In der Sommerhitze von beinahe 50 Grad trocknet die Leiche langsam aus und schrumpft zusammen.
Von der zerstörten Moschee bis zur Frontlinie sind es nur 500 Meter. Obwohl ständig Schüsse fallen und Mörserabschüsse zu hören sind, nehmen einige Soldaten der Goldenen Division eine Dusche neben einem Wassertanklastzug. In aller Ruhe seifen sie sich ein und überschütten sich dann aus einer Plastikschüssel mit Wasser. Es ist ein friedliches Bild zwischen zerstörten, von Einschusslöchern übersäten Häusern. Die Idylle zerbricht jäh, als plötzlich eine Mörsergranate keine 50 Meter neben den sich waschenden Soldaten einschlägt. Sie landet in einem der obersten Stockwerke eines Hauses und nicht auf der Straße. So sind es nur einige Zementteile, die durch die Luft fliegen und nicht tödliche Metallsplitter.
Völlig überrascht und in Panik suchen die klatschnassen Soldaten Schutz
hinter ihren gepanzerten Hummvees. Erst als es eine Weile ruhig bleibt und klar ist, es war ein einzelner Angriff, legt sich wieder die Spannung und es wird weiter geduscht.
„Nur noch zwei Tage“bis zum Ende des IS hört man in Mossul seit Freitag. Überzogene Erfolgsmeldungen sind Teil der Propaganda des irakischen Militärs. Seit die Offensive auf die IS-Hochburg im Oktober 2016 begann, berichtete Iraks Armee nur von „großen Fortschritten und großen Siegen“. Dabei war der Angriff mehrmals ins Stocken geraten, weil die Militärführung strategische Fehler gemacht hatte. Heute scheint man die Jihadisten wieder zu unterschätzen. Der IS wehrt sich in der Altstadt verbittert, in der er noch 1,5 Quadratkilometer kontrolliert.
„Es ist einfach sehr schwierig in den engen Gassen, ohne Fahrzeuge voranzukommen“, erklärt Oberst Montader, Kommandant des Mossul-Bataillons, einer legendären Einheit der Goldenen Division. Das Bataillon ist immer an vorderster Front gegen den IS zu finden. „Es sind vielleicht 500 ISKämpfer in der Altstadt geblieben“, meint der Oberst. „Die meisten davon sind Ausländer, kommen aus Europa, Russland oder Tschetschenien.“Aber genaue Zahlen habe niemand. „Leider können wir keine schweren Waffen einsetzen und alles ist vermint.“
Sprengfallen an den Hauseingängen
Bei jedem Einsatz des Bataillons sind Minenentschärfer dabei, die oft als erste die Gebäude betreten. „In der Altstadt können wir nur von Haus zu Haus gehen, wobei wir uns den Weg frei sprengen“, erzählt Oberst Montader. Ein Sprengstoffexperte jagt die Außenwand eines Hauses in die Luft, bevor es hinein geht. Durch den normalen Eingang reinzugehen wäre nicht zu empfehlen, da der mit versteckten Sprengsätzen vermint sei. Zum Glück könne der IS in der Altstadt, in der man nur zu Fuß weiterkommt, keine Autobomben mehr einsetzen. Sie hatten in der Vergangenheit oft verheerende Opfer unter der irakischen Armee gefordert.
„Seit einigen Tagen setzt der IS dafür Frauen als Selbstmordattentäter ein“, berichtet Oberst Montader. „Alleine gestern waren es insgesamt 17 Frauen, die sich in die Luft sprengten.“Nach Informationen des militärischen Geheimdienstes stünden insgesamt 60 Frauen vornehmlich aus Russland, Usbekistan und Tschetschenien für die mörderische Mission bereit.
„Sie sprengen sich unter Flüchtlingen in die Luft“, so der Kommandant des MossulBataillons. Leider würden viele Soldaten, so der Oberst weiter, sich nicht an die Befehle halten. „Sie wollen den Flüchtlingen direkt helfen, geben ihnen Wasser und etwas zu essen, statt sie zuerst zu überprüfen.“Für einige der Soldaten hatte das schreckliche Konsequenzen. „Sie mussten ihre Hilfsbe- reitschaft mit dem Tod oder einer schweren Verwundung bezahlen“, sagt Montader.
Der Oberst ist etwas realistischer, als die meisten seiner Militärkollegen, wenn es um das Ende des IS geht. Er ist überzeugt, dass es erst am Wochenende zum lang ersehnten kompletten Sieg kommt. Vorausgesetzt allerdings, die Bundespolizei erledige ihre Arbeit. „Wir haben unsere vereinbarten Positionen in der Altstadt erreicht“, versichert der Oberst. „Nun muss die Bundespolizei endlich auf die vereinbarte Linie vorstoßen. Dann haben wir den IS in der Zange und können ihn vernichten.“
„Die Terroristen wollen nur sterben“
Es sind die üblichen, gegenseitigen Schuldzuweisungen. Die Bundespolizei hat noch vor Tagen die Goldene Division für die Verzögerung verantwortlich gemacht. „Glauben Sie mir“, betont Oberst Motader abschließend. „Die Goldene Division dringt seit gestern nicht mehr weiter vor, da wir unsere Position erreicht haben. Die Bundespolizei steht nun in der Pflicht.“
Im Feldlazarett am Eingang zur Altstadt kommen im Minutentempo neue Verletzte an. In einem der improvisierten Feldlazarette, das in einem geschlossenen Imbiss eingerichtet wurde, werden Patienten auf dem vormaligen Grill behandelt. „Die meisten haben Verwundungen von Explosionen“, berichtet ein Sanitäter. „In den vergangenen zwei Tagen zählten wir hier mehr als 200 Tote, die meisten waren Zivilisten“, sagt er mit betrübtem Gesicht. „Es gibt noch vier weitere Lazarette am Rande der Altstadt.“
Die Zahl der Verletzten und Verwundeten wird rapide ansteigen, wenn die irakischen Truppen den letzten Angriff führen. Das Sterben in Mossul ist längst nicht zu Ende. „Die IS-Kämpfer sind völlig verzweifelt“, erzählt Mohammed Rained Zaidan, der gerade mit seinen beiden Kindern aus der Altstadt geflüchtet ist. Seine Frau hat er auf dem Weg aus den Augen verloren und weiß nicht, ob sie noch am Leben ist. Er musste noch heute Vormittag ausländischen Kämpfern beim Transport von Batterien und Lebensmitteln helfen. „Diese Terroristen wollen nur sterben und dabei größtmögliches Unheil anrichten.“