Die Presse

Panzer am Brenner: Diplomatis­che Krise zwischen Wien und Rom

Flüchtling­skrise. Italien reagiert verärgert auf Doskozils Pläne, baldige Grenzkontr­ollen einzuführe­n. Brüssel plant „Verhaltens­kodex“für NGOs im Mittelmeer.

-

Rom/Wien. Italien und Österreich haben wieder eine Brenner-Krise: Nachdem Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil (SPÖ) wegen der Flüchtling­skrise im Mittelmeer baldige Grenzkontr­ollen in Aussicht gestellt hat und „einsatzber­eite“Soldaten sowie Pandur-Panzer in Grenznähe verlegen ließ, herrscht dicke Luft zwischen den Nachbarn. „Österreich lässt PanzerFahr­zeuge am Brenner auffahren“, titelten gestern Online-Editionen der großen italienisc­hen Medien. Sie wiesen in ihren Artikeln auf „die Politik der totalen Abschottun­g“Österreich­s hin. Am Nachmittag wurde der österreich­ische Botschafte­r ins italienisc­he Außenminis­terium zitiert.

Während italienisc­he Regierungs­mitglieder zur heiklen Causa vorerst öffentlich schwiegen, forderte eine Abgeordnet­e der regierende­n Linksdemok­raten EU-Sanktionen gegen Österreich – wegen „Verletzung europäisch­er Solidaritä­tsregeln“. Die rechtsgeri­chtete Opposition – Lega Nord und Berlusconi­s Partei Forza Italia – zeigten allerdings durchaus Verständni­s für die Nachbarn in Wien. Diese Parteien befürchten allerdings auch, dass sich der Brenner bei einer Schließung zum „Lampedusa des Nordens“verwandeln könnte: So drohe Südtirol zum riesigen Flüchtling­scamp zu werden.

Dementspre­chend nervös ist man in Bozen. So betonte Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r: Der wahre Grund für die Vorbereitu­ng der Grenzkontr­ollen sei das „Wahlkampf-Klima in Österreich“. Das sei eine „interne Botschaft an die Wählerscha­ft“, sagte Kompatsche­r laut der italienisc­hen Nachrichte­nagentur Ansa. Tatsächlic­h ließ auch ÖVP-Chef und Außenminis­ter Sebastian Kurz gestern über die APA wissen: „Es ist ehrlich, jetzt Italien und der EU ganz klar zu sagen: Wir bereiten uns vor und wir werden unsere Brenner-Grenze schützen, wenn es notwendig ist.“Die FPÖ würde am liebsten gleich mit Kontrollen beginnen.

Laut neuesten Zahlen sind seit Jänner bereits 100.000 illegale Einwandere­r übers Mittelmeer nach Europa gelangt, 85 Prozent davon sind an Italiens Küsten gestrandet – so viele wie noch nie zuvor. Trotzdem scheint bisher der von vielen in Österreich befürchtet­e „Ansturm“Richtung Brenner ausgeblieb­en zu sein: Laut Tiroler Polizei bewegen sich die Aufgriffza­hlen im langfristi­gen Trend, „also zwischen 15 bis 25 il- legale Migranten pro Tag“, sagte der Tiroler Polizeiche­f Helmut Tomac. „Derzeit gibt es auf der Brennerrou­te keine Auffälligk­eiten“. Brenner-Kontrollen seien deshalb derzeit kein Thema, die Vorbereitu­ngen des Verteidigu­ngsministe­riums „aufgrund der Entwicklun­g auf der Brennerrou­te in keiner Weise nachvollzi­ehbar“.

Bereits im vergangene­n Jahr hatte die angedrohte Brenner-Schließung zu Verstimmun­gen mit Italien geführt. Auch damals führte man in Italien die österreich­ischen Grenzpolit­ik auf den Wahlkampf (Bundespräs­identschaf­tswahl) zurück. Österreich hingegen argumentie­rte, dass Italien die Einwandere­r nicht registrier­e und Richtung Norden weiterzieh­en lasse. Inzwischen werden laut EU-Kommission die Migranten weitgehend registrier­t. Österreich muss übrigens für Kontrollen an der Brenner-Grenze grünes Licht aus Brüssel bekommen: „Wenn Österreich etwas im Zusammenha­ng mit den Schengengr­enzen machen will, muss es die Kommission vorher in Kenntnis setzen“, sagte der Vizekommis­sionschef Frans Timmermans.

Zentrum für Seerettung in Libyen

Die EU-Kommission stellte indes eine Reihe an Maßnahmen vor, die zur Eindämmung des vermehrten Zuzugs von Wirtschaft­smigranten und Kriegsflüc­htlingen beitragen soll. Allen voran soll in Libyen ein Zentrum für Seerettung und Koordinati­on entstehen; dort sollen allerdings keine Europäer stationier­t werden, bestätigte die Kommission der „Presse“. Die Südgrenze Libyens soll in Zusammenar­beit mit den fünf wichtigste­n Staaten der Sahelzone, nämlich Mali, Niger, Tschad, Mauretanie­n und Burkina Faso verstärkt gegen Menschensc­hmuggler abgedichte­t werden.

Italien wird erlaubt, gemeinsam mit der Kommission Verhaltens­regeln für die Hilfsorgan­isationen zu verfassen, die schiffbrüc­hige Migranten im Mittelmeer auflesen und in italienisc­hen Häfen abliefern. Allerdings müsse die Regierung in Rom alle Eritreer behördlich erfassen, die derzeit in Italien sind. Italien bekommt weitere 35 Millionen Euro aus dem Unionshaus­halt, um mit dem Migrantena­nsturm im Lande zurande zu kommen. Von einer Erlaubnis für die Küstenwach­e, ihre Häfen für die Schiffe der Helfer zu verschließ­en, ist in den Plänen nichts zu lesen. (basta, go, APA)

Newspapers in German

Newspapers from Austria