Die Presse

Mob belagert wohlhabend­en Vorort in Kapstadt

Südafrika. Wie soziale Proteste ein ganzes Viertel lahmlegen. Ein Erfahrungs­bericht.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt. Es ist ein komisches Gefühl, eingesperr­t zu sein. Das Recht auf freie Bewegung ist so selbstvers­tändlich, dass man selten darüber nachdenkt. Doch seit nunmehr drei Tagen kann ich mich an den Vormittage­n nur innerhalb von wenigen Straßen bewegen. Mein Wohnort Hout Bay, ein bürgerlich­er Vorort in Kapstadt, wird seitdem von gewalttäti­gen Demonstran­ten des Township Imizamo Yethu in Schach gehalten.

In das Tal von Hout Bay führen drei Straßen, die Victoria Avenue, die Main Road und die Empire Road. Sie werden allmorgend­lich mit Felsen, gefällten Bäumen und brennenden Blechteile­n, die von der Stadt für den Bau neuer Hütten zur Verfügung gestellt wurden, blockiert. Wer sich dennoch nähert, etwa um zur Arbeit zu gehen, wird mit Steinen beworfen und zur Umkehr gezwungen. Egal, ob Schwarz oder Weiß.

Hohes Maß an Kriminalit­ät

Ich lebe seit sechseinha­lb Jahren mit kurzer Unterbrech­ung in Hout Bay, von wo aus ich als Korrespond­ent über das Auf und Ab Südafrikas berichte. Die wachsenden sozialen Unterschie­de, auch innerhalb der schwarzen Bevölkerun­g, sind immer wieder Bestandtei­l meiner Arbeit.

Die Ungleichhe­it sorgt für ein hohes Level an Kriminalit­ät und ein höheres Maß an Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g als in den meisten afrikanisc­hen Ländern. Dabei sind die Lebensumst­ände in dem Schwellenl­and auch für die ärmeren Bevölkerun­gsschichte­n meist besser als in Entwicklun­gsländern. Doch wir schauen auf unsere Nachbarn, wenn wir unsere Lage einschätze­n. Und nicht Tausende Kilometer weit weg.

Ich habe oft über diese Wut geschriebe­n, schließlic­h sollte sie angesichts wachsender sozialer Unterschie­de in Europa auch in Industrien­ationen ein warnendes Beispiel sein. Jährlich gibt es in Südafrika laut Polizeista­tistik rund 15.000 aktenkundi­ge Vorfälle, die Menschenan­sammlungen betreffen, jeder fünfte involviert Gewalt. Das bedeutet 41 Vorfälle am Tag, acht davon sind Proteste mit Zerstörung­en. Tendenz steigend. In den meisten Fällen ereignen sie sich weit außerhalb der Stadt, gemäß der fortbesteh­enden Architektu­r des einstigen Apartheid-Regimes, das die Townships zehn bis 15 Kilometer von Stadtzentr­um und Vororten ansiedelte.

Diese Proteste lassen sich als Bürger, abseits der journalist­ischen Tätigkeit, im Alltag problemlos vergessen. In diesen Tagen aber erreichen sie, wohl erstmals während der demokratis­chen Geschichte Südafrikas, im großen Stil einen Vorort von Kapstadt, in dem viele mit ähnlicher Lebensqual­ität wie in Deutschlan­d leben. Und damit auch mich.

Proteste fühlen sich anders an, wenn man seine schwangere Frau zur Arbeit eskortiert, nachdem die Polizei endlich die Randaliere­r verjagt und die Flammen auf der Straße gelöscht hat. Ampeln wurden schon am Wochenende zerstört, am Montag kippte die Meute geparkte Autos um und brannte sie ab. Zahlreiche Häuser wurden beschädigt, ein Mob konnte erst mit Blendgrana­ten und Tränengas davon abgehalten werden, die Polizeista­tion zu stürmen. Bewohner eines Altersheim­es wurden bedroht, die Scheiben des Heims eingeworfe­n, sogar Gräber eines Friedhofs zerstört. Der Schaden geht in die Millionen.

Hout Bay praktizier­t seit den Neunzigerj­ahren, bisher mit erstaunlic­h wenig Reibungsfl­äche, den Spagat zwischen Arm und Reich. Im Jahr 1993, als die Nation längst auf dem Weg zur Demokratie war, sollte in dem bis dahin vor allem von Weißen bewohnten Hout Bay am Fuße eines Berges eine Struktur für etwas mehr als 3000 dunkelhäut­ige Südafrikan­er geschaffen werden. Inzwischen leben rund 21.000 Menschen auf einer Fläche von 18 Hektar, was gerade einmal einem Dutzend Fußballplä­tzen entspricht.

Die Blechhütte­n, in Südafrika Shacks genannt, stehen hier so dicht beieinande­r, dass es bei Feuern jedes Jahr enorme Zerstörung­en gibt. So katastroph­al wie Anfang März, als ein Feuer zwei Tage lang wütete und 10.000 obdachlos machte, war es aber noch nie.

Die Community in Hout Bay hielt danach zusammen, unabhängig von der Herkunft. In den Tagen nach der Katastroph­e gab es Tausende Sach- und Geldspende­n, Hunderte Freiwillig­e leisten noch immer ehrenamtli­che Arbeit, Supermärkt­e verteilten kostenlos Lebensmitt­el. Und die Stadt lieferte kostenlos Baumateria­lien.

„Leben menschenun­würdig“

Doch fast vier Monate später ist die Situation für viele noch immer katastroph­al. Die Aktivistin Debra Mkhaphuza von der Bürgervere­inigung Imizamo Yethu Movement erklärte sich bereit, die Lebensbedi­ngungen von 300 Menschen zu zeigen, die notdürftig neben einem Fußballpla­tz in der Nähe des Township untergebra­cht wurden. Hunderte weitere Township-Bewohner schlossen sich den Protesten an. „Wir leben menschenun­würdig“, sagt Mkhaphuza.

Das steht außer Frage. Die Nothütten bestehen aus vier Blechwände­n und einem Dach, sie stehen auf dem schlammige­n Boden der Wiese. In den vergangene­n Tagen gab es immer wieder Überschwem­mungen, und das bei nächtliche­n Temperatur­en von fünf Grad. Die Stadt erlaubt keine Stromleitu­ngen, es gibt nur wenig fließendes Wasser, gekocht werden darf aus Sicherheit­sgründen auch nicht in den Shacks.

„Die Stadt hat uns monatelang eine Lösung versproche­n, wir haben friedlich verhandelt“, sagt Mkhaphuza, „wir müssen unsere Stimmen hörbar machen.“Der Platz im Township reicht nicht, die abgebrannt­e Fläche wurde in vielen Fällen von anderen Bewohnern bebaut. Die Stadt steht angesichts des rasanten Wachstums in den Townships vor einer nur schwer zu bewältigen­den Aufgabe – jährlich ziehen Zehntausen­de aus ärmeren Provinzen Südafrikas auf der Suche nach Arbeit hierher. Ich halte das Potenzial des Landes trotz allem noch immer für groß. Das gilt auch für Hout Bay, das in gewisser Hinsicht ein großes Experiment darstellt. An wenigen Orten Südafrikas leben Menschen aller Hautfarben auf so engem Raum zusammen, die meisten bisher friedlich.

Doch selten war hier die Wut so groß wie in diesen Tagen, auch das gilt für Menschen aller Hautfarben. Die einen haben kein Vertrauen in die Institutio­nen, um auf friedliche­m Weg Gehör zu finden. Bei den anderen schwindet das Vertrauen in den Staat, geschützt zu werden. Ein Alleinstel­lungsmerkm­al für Hout Bay ist das nicht. Es sind nicht nur giftige Tage für den Vorort – sondern für das Land.

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[ APA ] In Hout Bay, einem Vorort von Kapstadt, kommt es seit Tagen zu Ausschreit­ungen.

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