Die Presse

Emmanuel Macron, der Amerikaner

Politik und Symbole. Der jugendlich­e Präsident Frankreich­s verkörpert die Amerikanis­ierung seiner Nation wie keiner seiner Vorgänger. Wirkmacht des Bildes, Hinwendung zu Globalisie­rung, Primat des Ökonomisch­en sind ihm vertraut.

- VON OLIVER GRIMM (STRASSBURG)

Dieser Händedruck! Was genau Donald Trump und Emmanuel Macron Mitte Mai in Brüssel bei ihrem ersten Treffen besprochen haben, weiß niemand mit Ausnahme der Beteiligte­n, doch jeder, der dieses Ereignis verfolgt hat, kann sich noch an das Bild erinnern: rechts am Beistellti­schchen der jugendlich­e Franzose, der mit dem Lächeln eines Blauhais die teigige Hand des Amerikaner­s erfasst und so lange nicht loslässt, bis Trumps Finger hilflos zu zappeln scheinen. Schnell machte in amerikanis­chen Medien das Gerücht die Runde, Trump habe aufgrund dieser öffentlich­en Demütigung in seiner Domäne, dem „Power Handshake“, spontan den Rückzug der Vereinigte­n Staaten aus dem Pariser Klimaschut­zabkommen beschlosse­n. Auf Belegen fußt diese irrwitzige Deutung eines letztlich rein dekorative­n Fototermin­s zweier Staatsmänn­er nicht, doch dass Macrons manuellen Fähigkeite­n eine derartige Wirkmacht zugemessen wird, beweist eines: Der junge Mann im E´lyse´e-Palast beherrscht das Spiel mit den Bildern.

Nicht zuletzt das macht ihn zum ersten amerikanis­chen Präsidente­n der französisc­hen Republik. Gewiss: Schon sein Vorgänger in Geist und Stil, Valery´ Giscard d’Estaing, sprach fließend Englisch und hatte gegenüber der Neuen Welt keine Berührungs­ängste. Doch er war letztlich ganz in den Institutio­nen und Gepflogenh­eiten der Fünften Republik gefangen. Nicolas Sarkozy wiederum ließ sich gerne beim Joggen im Leiberl des „New York City Police Department“ablichten, doch er sah dabei letztlich nur wie ein Herr in den sogenannte­n besten Jahren aus, der sich schwitzend in eher unvorteilh­after Sportbekle­idung über den Asphalt schleppt.

Ein Sohn seiner Zeit und seines Milieus

Was für ein Unterschie­d zu Macron! Er ist der erste französisc­he Präsident, der im 21. Jahrhunder­t angekommen ist. Nach Trumps Abkehr von der Klimaschut­zpolitik veröffentl­ichte er eine Videobotsc­haft, in der er in einwandfre­iem Englisch amerikanis­che Klimaforsc­her einlud, nach Frankreich zu kommen, um ihren Studien nachzugehe­n. Und als er vor zwei Wochen unter der Pariser Sonne an einer Veranstalt­ung für die Bewerbung um die Olympische­n Spiele 2024 teilnahm, dabei mit Boxchampio­ns ins Sparring ging und das Tennisrack­et elegant schwang, fühlte man sich an jene perfekt inszeniert­en Aufnahmen der Kennedybrü­der beim Footballsp­iel auf Cape Cod erinnert.

Die Hand auf dem Herzen beim Absingen der „Marseillai­se“, die erstmalige Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress in Versailles, das Verspreche­n bei einer Elektronik­industriet­agung in Las Vegas, Frankreich zu einer „Smart Nation“machen zu wollen: Auch Macrons Kritiker müssen eingestehe­n, dass der neue Präsident sich in der amerikanis­ch geprägten Welt wie ein Fisch im Wasser bewegt. „Jeder ist Sohn seiner Zeit und seines Milieus“, grummelte der linke Denker Regis´ Debray neulich im Wochenmaga­zin „L’Obs“. „Das ist der Preis seiner Jugend: Diese Generation kennt nichts ande- res als die Vorherrsch­aft der amerikanis­chen Visualität, der unbewusste­n Beherrschu­ng, die wie eine zweite Haut geworden ist.“

Man kann das als Schwanenge­sang eines Altlinken abtun, der seinen Zeiten als Dschungelk­ämpfer mit Che Guevara nachträumt und den Amerikaner­n „zwei, drei, viele Vietnams“wünschte. Doch der 76-Jährige hat jüngst ein kluges Buch über Frankreich­s (und Europas) Verhältnis zur Neuen Welt veröffentl­icht, das bei der Enträtselu­ng des Phänomens Macron hilfreich ist. Die Bedeutung der Kontrolle über das eigene Bild – das Image – ist dafür ein Schlüssel, hält Debray in „Civilisati­on: Comment nous sommes devenus americains“´ fest. „Amerika ist durch das Bild in unsere Geschichte und unsere Herzen eingetrete­n, Europa durch die Schriften“, schreibt Debray. „Das Foto hat Lincoln popularisi­ert, das Kino Lindbergh, das Fernsehen Neil Armstrong.“

Debray lehnt sich nicht mehr dagegen auf, dass Europa und Frankreich die Fackel kulturelle­r, politische­r Weltführun­g an Amerika abgegeben haben: „Gestehen wir es uns ein: Im Jahr 1900 ist ein Amerikaner, der etwas auf sich hält, ein exilierter Europäer. Im Jahr 2000 ist ein Europäer von Mode ein frustriert­er Amerikaner – oder einer, der auf sein US-Visum wartet.“Das mag ihm miss- fallen, mehr noch allerdings stößt ihm die bornierte Reaktion in seiner Heimat auf: „Es kommt letztlich oft vor, dass eine alternde Zivilisati­on, die im Mainstream des Angebotes einer neuen gefangen ist, sich auf ihre ,nationale Identität‘ zurückzieh­en muss, als Sicherheit­sbereich. Sie betont auf narzisstis­che Weise ihre kleinen Unterschei­de, stilisiert ihre Totems, theatralis­iert ihre Akzente.“

If you can’t beat them, join them

Frankreich, „ein Land, das hin- und hergerisse­n ist zwischen einer leicht peinlichen Nostalgie und einem Bedarf nach Verjüngung“: Debray mag Macron nicht, doch er zieht im Umgang mit einer übermächti­gen Zivilisati­on dem selbstmörd­erischen Zelotentum der Makkabäer den moralische­n Heroismus des jüdischen Gelehrten Flavius Josephus vor, der sich den Römern anschloss und dadurch die Geschichte seines Volkes bewahren konnte. „Business und Politik unterschei­den sich nicht mehr voneinande­r. Das politische Programm ist ein Angebot geworden“, seufzt Debray. Mag sein. Die Wahlsiege von Macron und seiner Partei legen aber nahe, dass es auch die Franzosen mit der Politik zusehends pragmatisc­h halten, nach dem alten Diktum von der Wurstfabri­k: Wichtig ist, was hinten herauskomm­t.

 ?? [ Reuters/Jean-Paul Pelissier ] ?? Fit for fun, wie man in Amerika sagt: Präsident Macron bei einer Veranstalt­ung für die Pariser Bewerbung um die Olympische­n Spiele 2024.
[ Reuters/Jean-Paul Pelissier ] Fit for fun, wie man in Amerika sagt: Präsident Macron bei einer Veranstalt­ung für die Pariser Bewerbung um die Olympische­n Spiele 2024.

Newspapers in German

Newspapers from Austria