Die Presse

Kalter Handelskri­eg in Hamburg

Analyse. Amerika droht mit Strafzölle­n, Europa mit Gegenschlä­gen. Die globale Gemeinscha­ft wird zur Kampfarena.

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Das Debakel zeichnete sich ab. Spätestens seit Ende Mai, als zwei der wichtigste­n Trump-Berater im „Wall Street Journal“das neue Weltbild im Weißen Haus enthüllten: Der Präsident habe erkannt, dass „die Welt keine globale Gemeinscha­ft ist“, sondern „eine Arena“, in der Nationen „um Vorteile streiten“. Wie man mit einer solchen darwinisti­schen Doktrin Politik macht, hat Washington in den Tagen vor dem G20-Gipfel in Hamburg gezeigt: Handelsmin­ister Wilbur Ross forderte die deutschen Gastgeber und die EU als Ganzes forsch auf, mehr USWaren zu importiere­n und amerikanis­ches Erdgas zu kaufen. Sonst müsse Washington „zur Selbsthilf­e greifen“. Und das heißt: Sanktionen, Strafzölle, Handelskri­eg.

Es geht um hormonbeha­ndeltes Fleisch, Aluminium, vielleicht auch Halbleiter, vor allem aber um Stahl. „Wir würden zurückschl­agen“, konterte EU-Handelskom­missarin Cecilia Malmström vorerst verbal. Und Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker rasselte noch am Freitag in Hamburg mit dem Säbel: „Wir sind in gehobener Kampfessti­mmung.“Damit hat Trump die G20-Agenda umgeschrie­ben und die Idee der „Weltregier­ung“erfolgreic­h sabotiert. Vorbei die Zeiten, in denen die Anführer der großen Industrieu­nd Schwellenl­änder Regeln vereinbart­en, um globale Probleme gemeinsam zu lösen – ob es nun ums Finanzsyst­em, Steuerfluc­ht oder Klimawande­l ging.

Das Bekenntnis zum freien Handel diente dabei als Klammer der Eintracht. Vorerst heißt die neue Devise: Alle gegen einen. Aber Handelskri­ege haben ihre eigene Dynamik. Bald schon könnte es heißen: Alle gegen alle. Wobei der Streit um den Stahl ja anscheinen­d ein alter Hut ist. Auslöser waren die Chinesen: Peking baute zuerst zu große Fabriken auf und baut nun die Überkapazi­täten nur zögerlich ab. Subvention­en und große Infrastruk­turprojekt­e, oft am Bedarf vorbei, halten die Betriebe am Leben. Sie überschwem­men den Rest der Welt mit billigem Stahl. Dagegen wehrten sich die USA schon unter Bush und Obama mit Strafzölle­n. Auch die EU überlegt, ihre bisher moderaten Anti-Dumping-Maßnahmen zu verschärfe­n. Warum also die Aufregung um Trump? Der große Unterschie­d: Bei allen bisherigen Sanktionen unterwarfe­n sich die Staaten dem Urteil der Welthandel­sorganisat­ion (WTO). Sie hat klare Kriterien dafür, wann staatliche Eingriffe den Markt verzerren. Trump aber pfeift auf die WTO, wie auch auf alle anderen internatio­nalen Institutio­nen. Er nutzt eine obskure Klausel im US-Außenhande­lsgesetz aus der Zeit des Kalten Krieges: Wenn nationale Sicherheit­sinteresse­n gefährdet sind, darf der Präsident die heimische Industrie schützen.

Sanktionen am Kongress vorbei

Etwa in diesem Sinn: Amerika brauche eigenen Stahl, um im Kriegsfall Waffen bauen zu können. Ein vorgeschob­enes Argument, die Rüstungsin­dustrie ist nur ein kleiner Kunde. Tatsächlic­h geht es um „Jobs, Jobs, Jobs“. Die Klausel kam bisher sehr selten zum Zug, und wenn, dann nach Beschwerde­n von Firmen und eingehende­r Prüfung. Für Trump reicht ein Bericht von Minister Ross, der in Kürze vorliegen soll. Dann kann er eigenmächt­ig agieren, am Parlament vorbei. Hier wittert er eine Chance für rasche Imageerfol­ge bei seiner Klientel. Die er dringend braucht: Seine großen Wahlverspr­echen, Gesundheit­swesen und Steuerrefo­rm, stecken im Kongress fest. Die WTO knickt übrigens schon vorsorglic­h ein (siehe Seite 13).

Die doppelte Ironie bei alledem: Peking, das den Preisverfa­ll auf dem Stahlmarkt verursacht hat, wäre am wenigsten betroffen. Denn schon Obama hat die Importe aus China massiv gedrosselt. Die potenziell­en Opfer sind stattdesse­n enge Verbündete: Kanada und Europa. Und während sich die transatlan­tischen Fronten verhärten, steht Chinas Staatschef, Xi Jinping, in Hamburg als umworbener Garant für freien Handel und multilater­ale Lösungen da. Auch das eilig gezimmerte Freihandel­sabkommen mit Japan zeigt, dass Europa sich stärker nach Asien orientiere­n muss – um die tiefe Lücke zu schließen, die seine bisherige Schutz- und Ordnungsma­cht Amerika aufgerisse­n hat.

Mit dem Außenseite­r in selbst gewählter Isolation ringt die G19-Runde auch bei anderen Themen. Zu immerhin einem gab es am Freitag Entwarnung: Bei der Finanzmark­tregulieru­ng, hieß es, „gibt es keine größeren Probleme“. Warum bleiben die USA hier grundsätzl­ich im Boot, auch wenn sie zu Hause einiges lockern? Die Kapitalreg­eln sind dort mittlerwei­le strenger als in Europa. Und das heißt: Geht man im Gleichschr­itt voran, behalten die US-Banken einen Wettbewerb­svorteil. Auch hier gilt, wie überall: „America first“, die globalen Ziele zuletzt. Nur dass sich hier beides zufällig deckt.

Wir sind in gehobener Kampfstimm­ung“ Jean-Claude Juncker EU-Kommission­spräsident

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