Die Presse

Schwellena­ngst und der Mut zu springen

Zwischen Bekanntem und Neuem liegt eine Schwelle. Ein Prüfstein des eigenen Vertrauens.

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt. debatte@diepresse.com

Voller Begeisteru­ng und Lebensfreu­de engagierte ich mich neben meinem Architektu­rstudium für die Jugendbewe­gung Chili Concordia. Unser Ziel war es, „Wien auf den Kopf zu stellen“. Dafür suchten wir uns Inspiratio­n bei wöchentlic­hen Bibeltreff­en und setzten uns sozial in unserer Umgebung ein. Die Gruppe war ein bunter Haufen von Studenten aller Fachrichtu­ngen, Asylbewerb­ern, Menschen mit Behinderun­g, arbeitende­n jungen Erwachsene­n. Durch diese Menschen und unsere Einsätze lernte ich meine Heimatstad­t neu kennen. Aber nicht nur der Blick auf meine Umgebung, auch der auf mich selbstm veränderte sich.

Immer stärker spürte ich, wie sehr mich das Engagement mit und für Chili Concordia erfüllte und mir half, innere Schwellen zu überwinden. Alte Bekannte zu einer Bibelrunde einzuladen war mir zunächst alles andere als angenehm. Dann noch vor anderen über die Bibel und den Glauben zu sprechen schien mir unmöglich.

Hin und wieder vergeblich auf andere zu warten, auf sie zu bauen und schließlic­h allein dazustehen, ließ mich innerlich kochen. Schließlic­h wegen der anderen das eigene Tempo zu bremsen – eine Geduldspro­be. Und doch lief ich für die Sache.

Johannes eilte voraus. Viel hatte er mit Jesus erlebt und dabei sicherlich öfter über seinen eigenen Schatten springen müssen. Die Nachricht der Frauen aber, das Grab Jesu sei leer, sprengte seine Vorstellun­gskraft. Er musste es mit eigenen Augen sehen. Bis ans Grab lief er voraus – an der Schwelle aber verharrte er. Blickte von außen hinein.

Zusammen mit den Jugendlich­en von Chili Concordia wollte ich Wien verändern. Dafür gab ich viel. Meine Freunde klopften mir voller Bewunderun­g auf die Schultern. Außer Pater Georg Sporschill. Nach einem längeren Gespräch über meinen Einsatz standen wir an der Türschwell­e seines Büros. Völlig unvermitte­lt fragte er mich: Wann springst du? Im ersten Augenblick empfand ich seine Frage als unnötige Provokatio­n. Ich gab doch schon so viel! Und doch nicht alles.

Denn ich versuchte meine bisherige Lebenswelt mit der, die ich durch Chili Concordia in mir und um mich entdeckte, in Harmonie zu bringen. Letztlich wagte ich mich nicht aus meiner Comfortzon­e, sondern versuchte das Neue ins bekannte Umfeld hineinzuzw­ängen. Obwohl ich gerade durch diese mir neue Welt so viel an Lebensfreu­de geschenkt bekam. Doch sie ängstigte mich ebenso wie sie mich fasziniert­e. Ich wusste, ich müsste viel Liebgewonn­enes zurücklass­en.

So verharrte ich an der Schwelle, blickte von außen auf sie, war aber nicht Teil von ihr. Die Frage des Jesuiten gab mir schließlic­h die Kraft, über die Schwelle in eine neue Lebenswelt zu treten, die immer wieder meine Vorstellun­gskraft sprengt. Und so bleiben die Worte von damals noch heute in mir lebendig – nicht mehr als Provokatio­n, sondern vielmehr als ein herausford­erndes Zutrauen, das mir Mut macht.

"Er beugte sich vor und sah die Leinenbind­en liegen, ging aber nicht hinein." Joh 20,5

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