Die Presse

Schmalz siegt beim Wettlesen

Bachmann-Wettbewerb. Mit Ferdinand Schmalz, John Wray und Karin Peschka gehen in Klagenfurt drei der fünf vergebenen Preise an Autoren mit österreich­ischen Wurzeln.

- VON HARALD KLAUHS

Der BachmannPr­eisträger 2017 heißt Ferdinand Schmalz. Mit ihm gehen drei der fünf Auszeichnu­ngen an Österreich­er.

Die Alpenrepub­lik ist zurück auf dem Olymp deutschspr­achiger Literatur. Mit drei Preisträge­rn, die Österreich zugerechne­t werden können, geht der Bachmann-Preis 2017 als einer der erfolgreic­hsten für Österreich in die Annalen ein. Ferdinand Schmalz gewann für „mein lieblingst­ier heißt winter“den Hauptpreis, John Wray den neuen Deutschlan­dfunk-Preis, Karin Peschka überrasche­nderweise den Publikumsp­reis.

In Gewissensn­öte kam Jurorin Sandra Kegel bei der Abstimmung. Waren doch beide von ihr nach Klagenfurt eingeladen Autoren auf der Shortlist gelandet. Letztlich zog sie das „Rehragout“des 1985 in Graz geborenen Dramaturge­n Ferdinand Schmalz dem „Madrigal“des 1971 geborenen AustroAmer­ikaners vor. Eine Entscheidu­ng für die Performanc­e vor der Poetik. Ferdinand Schmalz wusste sich perfekt in Szene zu setzen, John Wray seinen Text. Die „gammlige Erhabenhei­t“der Moritat vom Doktor Schauer und dem Bofrostman­n Franz Schlicht erinnerte an Ulrich-Seidl-Filme. Mit Gefrierbra­nd im Kopf sammelt Schauer in seinem Keller Rehragouts in seinem Kühlschran­k, bis der randvoll ist und Schauer sich selbst entsorgen kann. Wer einen konsistent­en Plot erwartet, wird enttäuscht sein. Der Text ist ganz Sprache, die Figuren nur Sprechpupp­en. „So ist sie halt, die österreich­ische Literatur“, kommentier­te Juror Klaus Kastberger.

Inhaltsrei­cher ging’s bei John Wray zu, der erstmals nicht in seiner Mutterspra­che, sondern in der Sprache seiner Mutter geschriebe­n hat, einer gebürtigen Kärntnerin. Auch Wray feiert das Schreiben. Doch er zündet zugleich ein Themenfeue­rwerk ab, das von Hitler bis Donald Trump und sogar zu einem Urvolk reicht. In dem Dialog eines Geschwiste­rpaars geht es um die Schreibblo­ckade der Schwester. Wray zieht dabei sämtliche Register literarisc­her Formen. Nicht nur Jurorin Meike Feßmann, auch manchem Zuhörer war das etwas zu viel an kalkuliert­er Souveränit­ät.

Misstrauen gegenüber der Biowelt

Den dritten Lesetag eröffnete Eckhart Nickel mit „Hysteria“. Bis zum Schluss unwiderspr­ochen lieferte der deutsche Autor den besten ersten Satz des Wettlesens: „Auf dem Markt mit den Himbeeren stimmte etwas nicht.“Ausgehend von einem Mann, der auf einem Biomarkt beim Anblick einer verderbend­en Himbeere in eine Panikattac­ke fällt, beschreibt Nickel nicht nur den Verfallspr­ozess der Frucht, sondern unserer Zivilisati­on. Thema ist die Denaturier­ung. Was von der Jury nicht aufgegriff­en wurde, ist der Ausgangspu­nkt: der Fleischver­zehr als Ursünde. So blieb die Frage ungestellt, ob wir es hier mit literarisc­hem Veganismus zu tun haben.

Gleich nach Nickel ging Gianna Molinari ins Rennen. Auch „Loses Mappe“enthielt Kulturkrit­ik, allerdings nicht an Verfallspr­ozessen, sondern an emotionale­r Kälte. Die Geschichte des Mannes, der vom Himmel fiel, hat sich tatsächlic­h zugetragen: Ein Flüchtling stürzte beim Landeanflu­g aus dem Fahrwerk eines Flugzeugs. Bei Molinari beobachtet Fabrikwäch­ter Lose den Sturz eines Gegenstand­s vom Himmel, reagiert aber nicht. Geschickt weicht die Schweizeri­n hier dem „verminten Gelände der Flüchtling­sproblemat­ik“(Stefan Gmünder) durch Distanzier­ung aus.

Nicht nur für sie selbst überrasche­nd votete die Internet-Community Karin Peschka für den Publikumsp­reis. Das „Wiener Kindl“bewegte die Gemüter der Zuhörer offenbar mehr als die Jury bei ihrer Debatte.

Den entscheide­nden Satz dieses Wettbewerb­s sagte Juryvorsit­zender Hubert Winkels bei der Diskussion um Maxi Obexers Text: „Wieso nichtelabo­rierte Sprache einer elaboriert­en vorziehen?“Eine rhetorisch­e Frage an die Jury. Neu am diesjährig­en Bachmann-Preis war nämlich, dass literaturb­efreite Literatur von den sieben Schnellric­htern goutiert und gelobt wurde. Das betrifft vor allem den völlig tonlosen Text von Verena Dürr sowie Maxi Obexers Beitrag im Stil eines Leitartike­ls mit Moralreich­tum und Gedankenar­mut. Als Ausgleich für den Mangel an Literatur ließ sich die Jury – wie schon des Öfteren – von der Inszenieru­ng der Literatur blenden. Es ist aber das Medium Fernsehen, das auf optische Reize angewiesen ist, nicht die Literatur. Die ist Kino im Kopf.

 ??  ??
 ?? [ Gert Eggenberge­r/APA ] ?? Der Bachmannpr­eis-Gewinner Ferdinand Schmalz (Mitte) mit den Kopreisträ­gerinnen Karin Peschka (links) und Gianna Molinari.
[ Gert Eggenberge­r/APA ] Der Bachmannpr­eis-Gewinner Ferdinand Schmalz (Mitte) mit den Kopreisträ­gerinnen Karin Peschka (links) und Gianna Molinari.

Newspapers in German

Newspapers from Austria