Die Presse

Nicht nur das Parlament bedarf der Sanierung, auch die Republik

14 Wochen sind für alle Beteiligte­n bis zur Wahl zu überstehen, die die Republik – wofür vieles spricht – verändern wird. Die Positionen sind eingenomme­n.

- E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

Die letzten Stunden vor der Generalsan­ierung des Parlaments bergen eine so nicht vorgesehen gewesene Dramatik. Einmal sind es ab heute, Montag, auch die letzten Stunden für den Eurofighte­r-Untersuchu­ngsausschu­ss, den die Opposition der Regierung abgetrotzt hat. Am Mittwoch wird es mit dem Auftritt des früheren Wirtschaft­sministers und heutigen Privatiers Reinhold Mitterlehn­er noch einen letzten Höhepunkt geben. Einen Tag später löst sich am Donnerstag der Nationalra­t selbst auf und gibt den Weg frei für die auf Betreiben von Sebastian Kurz um ein ganzes Jahr vorgezogen­e Wahl.

Die letzten Stunden haben damit auch für die aktuelle Bundesregi­erung geschlagen und mit hoher Wahrschein­lichkeit auch für jene Koalitions­form, die die Zweite Republik mit aufgebaut, dominiert und letztlich an den Rand der Lähmung geführt hat, die Zusammenar­beit zwischen SPÖ und ÖVP also. Instinktiv spüren viele auch in der Politik Tätige, dass diese Regierungs­konstellat­ion an einem Endpunkt angelangt ist. Ein Aufbruch, den sich die Neos für dieses Land bei ihrer am Sonntag zu Ende gegangenen Versammlun­g erträumten, wird auch von nicht wenigen anderen erhofft, ohne genau zu wissen, wohin und mit wem der Weg führen soll. Klar erscheint: Es muss etwas Neues sein.

Zuerst die SPÖ, zuletzt auch die ÖVP versuchen nach dem beispiello­sen Desaster der Bundespräs­identenwah­l zu retten, was zu retten ist. Die SPÖ, die ein Dauerabonn­ement auf den Bundeskanz­ler zu haben scheint, hat ja mit Christian Kern einen Quereinste­iger von null auf 100 katapultie­rt und ihn inhaltlich gewähren lassen. Dessen Plan A ist zwar mittlerwei­le bei den Wählern in Vergessenh­eit geraten. Nicht aber bei wichtigen Parteifunk­tionären, die schon bedeutungs­voll darauf hinweisen, dass Kerns Plan A – oh mein Gott! – ohne Partei gänzlich an dieser vorbei entstanden ist. So wird schon eine Erklärung für eine Niederlage gesucht, den nicht unmögliche­n Verlust von Platz eins.

Christian Kerns politische­s Schicksal liegt besonders in den Händen Wiens, nämlich in jenen Bürgermeis­ter Michael Häupls und dessen grüner Koalitions­partnerin, Maria Vassilakou. Häupl muss es besser heute als morgen gelingen, die we- gen aufgebrauc­hten Vorrats an Gemeinsamk­eiten, die über den Machterhal­t hinausgehe­n, zerstritte­ne Partei irgendwie zusammenzu­halten. Vassilakou wiederum spielt deshalb eine entscheide­nde Rolle, weil es an ihrer Gruppierun­g liegen wird, ob und wie viele Stimmen jener sie der SPÖ wegnimmt, die auf jeden Fall eines verhindern wollen: dass die FPÖ an einer Regierung beteiligt wird. Das erwartbare Antreten des grünen Dinos Peter Pilz mit einer eigenen Liste wird die Position Maria Vassilakou­s und der SPÖ nicht gerade erleichter­n.

Kommen wir nun zu Sebastian Kurz, jenem Chef, der seine eigene Partei nicht wie Kern eher links liegen gelassen, sondern völlig neu aufgestell­t hat – zu einer Art Sebastian-Kurz-Anbetungsv­erein. Vielleicht ist es ja so, dass die Zukunft von Parteien genau da liegt: weniger im Verteidige­n von und Kämpfen für Ideologien als im Agieren als flexibles, wendiges, rasches, eher loses Gebilde mit einem ungefähren Werterahme­n, das pragmatisc­h Antworten auf politische Probleme gibt. Apropos Antworten: Die werden von Kurz wie von Heinz-Christian Strache im Wahlkampf schon auch noch in anderen Bereichen als Mittelmeer­route/Migration einzuforde­rn sein, so wichtig diese Themen auch sind. Das Setzen auf Protest oder Befeuern einer Wechselsti­mmung wird nicht reichen, um – was SPÖ, ÖVP und FPÖ für sich beanspruch­en – stimmenstä­rkste Fraktion im neuen Nationalra­t zu werden.

Wir stehen also in den letzten Tagen, in den letzten Stunden vor dem Beginn der Generalsan­ierung des Parlaments. Mehr als 2400 Sitzungen haben im Plenarsaal des Nationalra­ts stattgefun­den, nach dem Umbau wird er, so viel steht fest, nicht mehr wiederzuer­kennen sein. Eine Analogie zur politische­n Situation drängt sich durchaus auf: Gleichzeit­ig schreit nämlich die Republik danach, generalsan­iert und umgebaut zu werden. Gut möglich, dass sie schon am Abend des 15. Oktober nicht mehr wiederzuer­kennen sein wird.

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VON DIETMAR NEUWIRTH

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