„Hofften auf besseres Leben mit IS“
Reportage. Langsam kehren die ersten Flüchtlinge nach Westmossul zurück. Die Herrschaft der Jihadisten und die Kämpfe haben die Stadt verwüstet. Und nach wie vor wird geschossen.
Reportage aus der lange umkämpften irakischen Stadt Mossul.
Mit der Farbdose in der einen und dem Pinsel in der anderen, streicht Tarek Abdullah sorgfältig das eiserne Eingangstor zu seinem Grundstück. Der rote Lack ist durch mehrere Einschüsse abgeblättert. Seine Söhne bauen währenddessen die Außenmauer um den Garten wieder auf. Die Temperatur von fast 50 Grad Celsius scheint ihnen wenig auszumachen. Nur manchmal heben sie kurz den Kopf, wenn eine besonders starke Bombe explodiert. Denn in der Altstadt von Mossul wird weiter gekämpft. Von Luftangriffen steigen immer wieder Rauchwolken in die Luft. „Wir sind auf der Flucht bei Verwandten untergekommen“, sagt Abdullah. „Aber bei ihnen ist es zu eng, und wir wollen zurück in unser eigenes Heim.“
Einige seiner Nachbarn im Stadtteil 17. Juli in Westmossul haben ebenfalls begonnen, ihre Häuser zu reparieren, Schutt und Müll wegzuräumen. In Mossul hat der Wiederaufbau und damit eine neue Zukunft nach dem IS begonnen – so könnte man meinen. Im Ostteil der zweitgrößten irakischen Metropole ist sogar so etwas wie Alltag eingekehrt. Die Autos stauen sich wie früher in den Straßen, Geschäfte und Restaurants sind geöffnet. Aber mit Ausnahme von sehr wenigen Vierteln, wie das von Abdullah, ist besonders der Westteil der Stadt ein einziges Trümmerfeld. Dort fanden die heftigsten Kämpfe statt. Selbst die Häuser, die noch stehen, sind irreparabel beschädigt. Ganze Straßenzüge müssen abgerissen und neu aufgebaut werden. Viele Milliarden sind dafür nötig, die Iraks Regierung mit Sicherheit nicht aufbringen kann. An die Rückkehr der insgesamt 900.000 Flüchtlinge ist noch lange nicht zu denken.
Langwierige Kämpfe in Wüstengegend
Alleine aus diesem Grund hätte Haidar Abadi ein bisschen mehr Realismus gut getan. Der irakische Premierminister hielt am Montag eine spektakulär inszenierte Siegerparty ab, die suggerierte, mit der Rückeroberung Mossuls habe sich der IS, der Krieg und das Leid der Menschen erledigt. Doch es ist anders: Eine Schlacht ist gewonnen, aber es ist noch lange kein „großer Sieg“. Die Jihadisten mögen aus ihrer Hochburg vertrieben sein. Aber unter IS-Kontrolle sind weiter der Ort Hawija, in der Nähe der Erdölmetropole Kirkuk, dazu kommen Rawa, Ana und alQaim an der syrischen Grenze. Dort im irakisch-syrischen Grenzgebiet wurde der Aufenthaltsort des Terroristenführers, Abu Bakr al-Baghdadi, vermutet, der jetzt angeblich tot sein soll. Die Rückeroberung allein dieser unübersichtlichen Wüstengegend kann Monate dauern und weitere Zehntausende von Menschen in die Flucht treiben. Mit Fortgang des Krieges bleibt erst einmal wenig Zeit und Geld für den sofortigen Wiederaufbau in Mossul. Es wurde zu früh gefeiert.
Für Abdullah ist heute nur eines wichtig. Er will sein Haus für die Familie schnellstmöglich bewohnbar machen. Im ersten Stock klafft das Loch einer Rakete, die ein Helikopter abgeschossen hat. Vom Mobiliar ist nichts mehr übrig. Der IS hat alles geplündert. „Kühlschrank, Fernseher, Möbel, Ofen – sie haben einfach alles gestohlen.“In der Hofeinfahrt steht ein ramponierter Daihatsu. „Das ist das einzige Auto, das uns von insgesamt sechs geblieben ist“, beklagt Abdullah. Der IS hatte befohlen, alle Wagen auf der Straße zu parken. „Danach haben sie sie mit dem Bulldozer zu Barrikaden zusammen geschoben“, sagt der Bauingenieur.
Aus Freude wurde Angst
Ganz offen gibt er zu – und auch die Nachbarn, die neugierig hinzu gekommen sind –, dass sie bei Ankunft des IS große Hoffnungen auf eine besseres Leben hatten. „Wir als Sunniten wurden von der Regierung in Bagdad völlig vernachlässigt und schikaniert“, erklärt Abdullah. „Die schiitischen Milizen haben Jagd auf uns gemacht“, ruft ein Nachbar. „In Bagdad verschwinden heute noch ständig Sunniten und werden dann tot aufgefunden.“Die anfängliche Freude über die den IS wandelte sich jedoch sehr schnell in Angst und Schrecken. „Als wir sahen, dass sie Jesiden und Christen in Mossul töteten“, ergreift Abdullah wieder das Wort, „wussten wir, das nimmt keine gutes Ende.“Aufgrund der Gräueltaten der Jihadisten seien nur wenige Bewohner Mossuls zum IS gegangen. „Zwischen 10 und 15 Prozent vielleicht.“
Unter der IS-Herrschaft seien er und seine Familie kaum noch aus dem Haus gegangen. Niemand hat mehr gearbeitet, deshalb seien alle Ersparnisse aufgebraucht. Die letzte Zeit während der Offensive der irakischen Armee war besonders schlimm, wie er erzählt. Es gab nichts mehr zu trinken, und sie mussten schmutziges Wasser aus dem Brunnen pumpen. Essen war knapp und unerschwinglich. Ein Liter Öl habe 40.000 Dinar (umgerechnet: 30 Euro) und ein 50 Kilogramm Sack Mehl 250.000 Dinar (200 Euro) gekostet. Vorher hätten die Preise nur einen Bruchteil davon betragen. „In der Altstadt wurden doppelt und dreifach so hohe Preise verlangt“, sagt einer der Nachbarn, der früher Zigaretten importiert hatte. Der IS hat ihn einmal mit sechs Stangen erwischt und ihm als Strafe sein Auto einfach abgenommen. Für eine einzige Zigarette hätte man am Ende 15 Euro bezahlen müssen.
Vokabelheft des deutschen IS-Kämpfers
Draußen auf der Straße liegt zwischen umgestürzten Fahrzeugen und Steinbrocken ein Haufen aus Kleidern, Kissen, Decken und Vorhängen. Vieles davon wäre noch zu gebrauchen. Aber das will niemand haben. „Denn das gehörte einem deutschen Jihadisten“, sagt Omar und deutet auf das Haus gegenüber. „Er hat dort zehn Tage gewohnt bis ein Luftangriff kam.“Den Namen hätte er vergessen, er erinnere sich nur an dessen blaugrüne Augen, blonde Haare und daran, dass er Frau und zwei kleine Kinder hatte.
Im Haufen finden sich ein Schulheft und ein Notizbuch mit Arabisch-Vokabeln. Scheinbar wollte der Deutsche Arabisch lernen, kam aber nicht weit. Es ist nur Basisvokabular – links, rechts, krank und ich möchte – mit Hand eingetragen. Die Suche nach den Pässen, die die Jihadisten-Familie vergessen haben soll, bleibt erfolglos.
Im Nebenhaus findet sich wesentlich Interessanteres. Es ist eine IS-Akte, die im Fußboden unter einer Marmorplatte versteckt war. Der gelbe Einband ist leicht ramponiert. Zwischen den Aktendeckeln ist eine Sammlung von Personalbögen mit Passfotos von über 50, allesamt natürlich bärtigen ISKämpfern eingeheftet. „Entlassen“steht auf dem Aktendeckel, was aber nicht bedeuten würde, sie hätten den IS verlassen, wie Omar betont. Das sei ja unmöglich gewesen. „Sie wurden stattdessen auf eine Mission geschickt“, meint er überzeugt. „Selbstmordattentäter oder Schläferzellen.“
Verwundern würde das nicht. Aus allen Personalbögen wird ersichtlich, alle sind hartgesottene Jihadisten. Sie saßen wegen Terroranschlägen im Gefängnis und waren im Kampf verwundet worden. Von ihren Freunden oder Verwandten, die als Bürgen bei der Aufnahme in den IS verzeichnet worden sind, haben sich die meisten als Selbstmordattentäter in die Luft gejagt. „Möge Allah sie akzeptieren.“
Später in der Altstadt bietet sich dieses Bild der Zerstörung, an das man sich nie ganz gewöhnen kann. Alles ist vollkommen verwüstet, in Grund und Boden bombardiert, ganzes Mauerwerk zerschossen. Auf den Straßen muss man tiefe Explosionskrater umgehen. Auf jeder Seite sind mehrere Meter hoch Autos und Kleinlaster aufgetürmt. Die Raupen des irakischen Militärs habe die Barrikaden des IS einfach beiseite geschoben. Verwesungsgeruch steigt in die Nase. In Werkstätten und Geschäften liegen noch Leichen. Da sind zwei IS-Kämpfer, die bäuchlings am Boden liegen und von hinten erschossen worden sind. Dann die Reste eines kleinen Mädchens, das von einer Detonation zerrissen worden sein muss.
„Sie haben ihn erschossen“
An der Front dröhnt Maschinengewehrfeuer, Raketen sausen durch die Luft und schlagen kurz danach mit lautem Donner ein. Dann knallt, keine 150 Meter entfernt, eine besonders laute Explosion. Der Rauchpilz ist weiß, der in den Himmel hochsteigt. „Selbstmordattentäter“, sagt einer der Soldaten, die auf ihrem gepanzerten Hummvee-Fahrzeug gerade Munition für die Kameraden an der Front aufladen. „Sie haben ihn erschossen und dann Bumm“, fügt er lachend hinzu. Danach steigt er mit einer Zigarette im Mund und seinem völlig durchgeschwitzten T-Shirt in den Humvee. Bevor die schwer Tür zuschlägt, winkt er kurz.