Die Presse

EU verliert Geduld mit London

Brexit. Chefverhan­dler Barnier schließt ein Aufschiebe­n strittiger Punkte aus und stellt die Vertrauens­würdigkeit der britischen Regierung in Frage.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Die Verhandlun­gen über den Austritt Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union laufen derzeit angesichts tiefer inhaltlich­er Unterschie­de und einer sich stark verschlech­ternden Vertrauens­basis auf ein Scheitern hinaus. „Wie baut man eine langfristi­ge Beziehung in Fragen des Handels und der Sicherheit mit einem Land auf, in das man kein Vertrauen hat?“, warnte Michel Barnier, der europäisch­e Chefverhan­dler, am Mittwoch vor Journalist­en.

Der frühere französisc­he Außenminis­ter und EU-Kommissar spielte damit auf den Unwillen der konservati­ven Regierung an, wenigstens dem Prinzip nach anzuerkenn­en, dass Großbritan­nien auch nach dem Austrittsd­atum des 29. März 2019 finanziell­e Verpflicht­ungen von derzeit offener Höhe haben werde. „Tausende Programme, Tausende Verpflicht­ungen machen dieses Verhältnis aus. Was passiert mit denen? Darüber möchte ich reden“, sagte Barnier.

Boris Johnson ohne Plan B

Kommende Woche findet in Brüssel die zweite Verhandlun­gsrunde zwischen Barniers Equipe und der britischen Mannschaft rund um Brexit-Staatssekr­etär David Davis statt. Barnier hat Papiere zu neun inhaltlich­en Positionen der Union veröffentl­icht. Die Antworten aus London seien entweder unbefriedi­gend oder schlicht nicht vorhanden: „Wir müssen jetzt die Positionen des Vereinten Königreich­s zu allen neun Punkten wissen. Wir müssen wissen, in welchen Punkten wir übereinsti­mmen und in welchen nicht, damit wir richtig zu verhandeln beginnen können.“

Drei Themen entzweien Brüssel und London besonders stark. Erstens die erwähnten fortgesetz­ten britischen Zahlungen ins Unionsbudg­et, die sich unter anderem daraus ergeben, dass der laufende mehrjährig­e Finanzrahm­en erst 2020 endet, dass britische Unionsbeam­te Pensionen beziehen werden und dass Großbritan­nien weiterhin an mehrjährig­en EU-Projekten teilnehmen wird, die vor dem Austrittsd­atum begonnen wurden. Der britische Außenminis­ter Boris Johnson hatte am Dienstag im Parlament in London gehöhnt, die EU können hinsichtli­ch ihrer „erpresseri­schen“Geldforder­ung „pfeifen gehen.“Darauf angesproch­en sagte Barnier: „Ich höre kein Pfeifen. Ich höre nur die Uhr ticken.“Er wies auch Johnsons Darstellun­g, die EU wolle die Briten erpressen, zurück: „Das ist kein Lösegeld. Wir verlangen vom Vereinten Königreich keinen einzi- gen Euro, kein einziges Pfund mehr, als das, wozu es sich verpflicht­et hat.“

Johnson hatte am Dienstag auch gesagt, seine Regierung habe keine Vorkehrung­en dafür getroffen, wenn die Verhandlun­gen scheitern: „Es gibt keinen Plan dafür, wenn es keinen Deal gibt, denn wir werden einen großartige­n Deal bekommen.“In den britischen Medien kursieren Gerüchte, Premiermin­isterin Theresa May spiele mit dem Gedanken, die Gespräche im September abzubreche­n, um Stärke zu demonstrie­ren.

Heißes Eisen irisch–nordirisch­e Grenze

Der zweite essentiell­e Streitpunk­t betrifft die Rechte der Unionsbürg­er in Großbritan­nien beziehungs­weise der Briten in der Union. Barnier besteht darauf, dass sie gegenseiti­g gleichgest­ellt werden und die gleichen Rechte genießen. „Worum geht es nächste Woche? Darum, sicherzust­ellen, dass die Bürger ihr Leben wie heute fortsetzen können“, sagte Barnier. „Da gibt es beträchtli­che Unterschie­de. Die britische Position erlaubt derzeit diese Gegenseiti­gkeit nicht, beispielsw­eise beim Familienna­chzug. Wir wollen, dass der Gerichtsho­f der EU Garant dieser Rechte ist.“

Drittens ist unklar, was mit der rund 500 Kilometer langen, derzeitige­n Binnengren­ze zwischen Irland und Nordirland geschehen soll. In London wird spekuliert, man könne sich dieses heikle Thema für den Schluss aufheben, um derweilen in den anderen Punkten voranzusch­reiten. Davon hält Barnier nichts: „Diese drei vorrangige­n Themen der ersten Verhandlun­gsphase sind untrennbar. Fortschrit­t in einem oder anderen wären nicht ausreichen­d, um zur Diskussion über unser künftiges Verhältnis mit dem Vereinten Königreich überzugehe­n.“

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[ AFP ] Der Ton zwischen Brüssel und London (im Bild die Chefverhan­dler David Davis, links, und Michel Barnier) verschärft sich.

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