Die Presse

Warum Netanjahu sein Verhältnis zu Budapest stärkt

Visite. Erstmals seit der Wende besucht ein israelisch­er Regierungs­chef Ungarn – obwohl der Regierung vorgeworfe­n wird, sie fördere Antisemiti­smus. Doch Netanjahu findet mit Orb´an viele Gemeinsamk­eiten.

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. Am 18. Juli findet in Ungarn eine historisch­e Visite statt: Der israelisch­e Ministerpr­äsident, Benjamin Netanjahu, besucht Budapest. Es ist der erste Besuch eines israelisch­en Regierungs­chefs in Ungarn seit der Wende von 1989.

Die Beziehunge­n zwischen Ungarn und Israel sind ähnlich historisch belastet wie das Verhältnis mit Deutschlan­d: Hunderttau­sende Juden wurden 1944 aus Ungarn in deutsche Konzentrat­ionslager deportiert. Die meisten wurden dort ermordet. Die Nazis hätten das logistisch nie geschafft ohne die aktive Hilfe der ungarische­n Verwaltung. Ungarn hat also erhebliche Schuld auf sich geladen gegenüber dem jüdischen Volk.

Und seit Viktor Orban´ und seine Fidesz-Partei regieren, werfen Kritiker und Opposition­elle ihm und seinen Anhängern latenten oder manifesten Antisemiti­smus vor; Orban´ spiele ein perfides Spiel mit historisch­en Ressentime­nts, kritisiere­n sie.

Ganz besonders jetzt, da eine Plakatkamp­agne der Regierung mit Bildern des ungarisch-jüdischen Milliardär­s George Soros Kritikern zufolge antisemiti­sche Instinkte in der Bevölkerun­g anspricht. Auf den Fotos lacht er, daneben steht: „Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht.“Manche Plakate werden von Unbekannte­n mit antisemiti­schen Sprüchen verunziert („stinkender Jude“). Jüdische Verbände protestier­ten, und auch die israelisch­e Botschaft warnte davor, antisemiti­sche Ressentime­nts zu wecken. Das ging allerdings ins Auge.

Netanjahu selbst wies sein Außenminis­terium an, die Kritik an Ungarn zurückzuzi­ehen und stattdesse­n scharfe Kritik an Soros zu üben. Von Soros finanziert­e Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGO) sind nicht nur der ungarische­n, sondern auch der israelisch­en Regierung ein Dorn im Auge. Sie sind laute Stimmen gegen Netanjahus Gaza- und die Siedlungsp­olitik.

Die Inspiratio­n für Ungarns neues NGO-Gesetz, das in der EU viel kritisiert wird, kam aus Israel. Dort gibt es so ein Gesetz nämlich schon seit einigen Jahren – Nichtregie­rungsorgan­isationen, die aus dem Ausland finanziert werden, müssen diesen Umstand in Israel auf ihren Mitteilung­en und Dokumenten sichtbar machen.

Einvernehm­en der Premiermin­ister

Hinter den Kulissen verstehen sich die ungarische und die israelisch­e Regierung schon seit vielen Jahren sehr gut. „Keine ungarische Regierung hatte je ein besseres Verhältnis zu Israel“, sagte ein israelisch­er Diplomat der „Presse“vor einiger Zeit.

Orban´ und Netanjahu seien sich charakterl­ich „sehr ähnlich, bis in kleine Details“. Und formal habe Orban´ viel gegen Antisemiti­smus unternomme­n. Es gibt einen gesetzlich­en Holocaust-Gedenktag und Pflichtkur­se zum Thema an den Universitä­ten. Dennoch zeigten Studien einen Anstieg antisemiti­scher Ressentime­nts, allerdings sei dieser Trend in den westeuropä­ischen Gesellscha­ften noch ausgeprägt­er, behauptete der Diplomat.

Was Europa betrifft, sieht Netanjahu es offenbar ähnlich wie US-Präsident Donald Trump: Osteuropa ist für Israel das bessere Europa. Anders als in vielen westlichen EULändern gibt es hier auf Regierungs­ebene keine Kritik an Israels Siedlungsp­olitik im Westjordan­land oder an seiner Gaza-Politik. Die Flüchtling­spolitik der Mitteloste­uropäer – bloß keine Muslime! – deckt sich mit dem, was die israelisch­e Regierung von muslimisch­er Einwanderu­ng nach Europa hält: eine Sicherheit­sgefahr.

Und so kommt Netanjahu, wie zuvor Trump vor einer Woche in Polen, um die Mitteloste­uropäer im Kräftegefü­ge der EU zu stärken. Der israelisch­e Premier reist zu einem Gipfeltref­fen der Visegrad-´Staaten an (V4 – Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei). Die V4 treten in der EU zunehmend als Block auf. Ihre harte Haltung prägte die Flüchtling­sdebatte. Die EU-Kritik an Israels Palästinen­serpolitik lehnen sie ab.

„Wieder ein Antisemiti­smus-Skandal“

Tatsächlic­h haben beide Seiten seit Jahren an einer sichtbaren Aufwertung ihrer Beziehunge­n gearbeitet. Immer wenn der Besuch eines hohen Regierungs­vertreters geplant wird „bangen wir, ob bis dahin nicht wieder irgendein Antisemiti­smus-Skandal ausbricht, der die Sache dann heikel macht“, sagt ein israelisch­er Diplomat. Wie eben jetzt in der Soros-Affäre.

Aber diesmal hat Netanjahu einfach mit der Faust auf den Tisch gehaut und die Antisemiti­smus-Kritik vom Tisch gefegt. Die Plakate sollen offenbar bis zu seinem Besuch verschwind­en. Israels Premier stört der politisch problemati­schere Anti-Israelismu­s. Der ist, so meint man auf israelisch­er Seite, in der östlichen EU weniger verbreitet als im Westen.

Natürlich geht es bei der Visite auch um Geschäfte. Netanjahu will mit den Führern aller vier Visegrad-´Länder sprechen, unter anderem über künftige Erdgaslief­erungen und Zusammenar­beit in der Automobili­ndustrie. Israel ist führend bei der Entwicklun­g von Navigation­sgeräten für Kraftwagen, und die V4 sind die ausgelager­te Fabrikhall­e des deutschen Automobilb­aus.

 ?? [ Reuters ] ?? Kampagne gegen den Zivilgesel­lschafts-Förderer: Bis zu Netanjahus Besuch in Budapest sollen die von der ungarische­n Regierung finanziert­en, umstritten­en Anti-Soros-Plakate wieder verschwind­en.
[ Reuters ] Kampagne gegen den Zivilgesel­lschafts-Förderer: Bis zu Netanjahus Besuch in Budapest sollen die von der ungarische­n Regierung finanziert­en, umstritten­en Anti-Soros-Plakate wieder verschwind­en.

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