Die Presse

Mit Walkman, Tinte und Papier

Interview. Einst führte Philipp Poisel Tagebuch mit dem Kassettenr­ekorder. Bis heute schätzt der Grönemeyer-Schützling Analoges – und seine Unabhängig­keit.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Dem einen gefiel nicht, wie er sang, dem anderen, dass er dabei die Augen zuhat, er solle anfangs lieber nur Duette mit anderen Künstlern singen, und auch seinen Namen wollte man ändern: Philipp Poisel sei verwirrend, wenn schon, solle der ganze Name französisc­h klingen, ergo brauche sein Vorname am Ende noch ein e.

Das war der Punkt, an dem Poisel – gebrieft, beim Kennenlern­en mit den Plattenbos­sen besser zu schweigen – nicht mehr still sein konnte. „Mach dein e selber dran“, beschied er. „Die hatten schon ein Bild im Kopf. In das hab ich halt nicht reingepass­t.“Poisel („man kann den Namen französisc­h ausspreche­n, es gibt da Vorfahren“) sah die Sache gelassen. „Ich dachte, dann wird’s halt nichts. Meine Schwester ist neun Jahre älter, meine Eltern dachten nicht, dass ich noch komme. Ich glaube, diese Entspannth­eit hab ich mir bewahrt. Ich denke, ich kann auch mit etwas anderem glücklich sein. Es muss nicht Musik sein.“

Vor den Plattenche­fs hatten schon andere an ihm gezweifelt. Da war der Kinderchor, in dem man ihm erklärte, nicht gut genug zu sein. „Im Chor zu singen bedeutete für mich, mit Leuten zusammen etwas zu tun, was man gerne macht. Dass ich da störe, dass ich nicht da sein sollte, war eine krasse Erfahrung für mich. Das wollte ich nie wieder erleben.“Zu Hilfe kam ihm damals sein Kassettenr­ekorder. „ Um mich selbst aufzunehme­n. Ich wollte wissen: Hat die Chorleiter­in recht?“Ohnehin fungierte sein Rekorder „als Musiktageb­uch. Da konnte ich träumen und Stress abbauen und mich selbst wahrnehmen. Da hab ich im wahrsten Sinn ein Selbstbewu­sstsein gekriegt.“Bis heute ist der 34-Jährige, „man darf es ja niemandem sagen“, mit Walkman unterwegs, nimmt zu Hause auch auf Kassetten auf. „Nicht, weil ich Computer verteufle, aber ich brauch’ manchmal Abstand zu diesem Digitalen. Das tut mir irgendwie gut.“

Als Kind wollte Poisel dabei Comiczeich­ner werden, später Lehrer, allein, er fiel bei der Aufnahmspr­üfung durch. „Im Notenlesen, aber ich weiß bis heute nicht, woran es gescheiter­t ist. Ich hab auch nicht gecheckt, warum denen so egal ist, warum ich Lehrer werden will. Natürlich ist fachliche Kompetenz wichtig, aber dass nichts anderes gezählt hat, war mir ein Rätsel.“Er selbst hatte da schon Jugendlage­r, sogenannte Freizeiten, geleitet. „Da gab es auch Jugendlich­e, die sagten, sie seien nicht musikalisc­h. Aber wir haben coole Sachen auf die Beine gestellt.“

Er selbst hat im Frühjahr übrigens – nach sieben Jahren – sein drittes Al- bum herausgebr­acht, spielt vor Tausenden Leuten (heute, Donnerstag, etwa im Grazer Orpheum, am Freitag im Linzer Brucknerha­us). Fans lieben Lieder wie „Erklär mir die Liebe“oder „Wie soll ein Mensch das ertragen“. Wer sich an Herbert Grönemeyer erinnert fühlen mag: Den hatte Poisels Manager auch angeschrie­ben, er tauchte mit seiner Tochter dann bei einem Konzert in der Berliner Kopierbar auf, „ein verrücktes Konzert“, erinnert sich Poisel, alles ziemlich improvisie­rt. Seither bringt Grönemeyer Poisels Arbeit auf seinem Label Grönland heraus.

Das Amerika seiner Kindheit

Das neue Album, „Mein Amerika“, wurde ebendort aufgenomme­n, Poisel stieg dafür zum ersten Mal ins Flugzeug in Richtung USA, „der größte Moment“seiner bisherigen Karriere. Aufgenomme­n in Nashville, beschwören die Songs das Amerika seiner Kindheit. Der Sound von „Zum ersten Mal Nintendo“etwa sei eine Reminiszen­z an seine Jugend „und das, was damals im Radio kam“. Kings of Leon, Synthesize­rsachen, Bruce Springstee­ns „Streets of Philadelph­ia“, Police „und Sachen, von denen ich heute gar nicht weiß, wie sie heißen. Damals gab es halt keine Playlists und kein Shazam“.

Das Video dazu spielt auf dem höchst wichtigen Schäferfes­t seiner schwäbisch­en Heimatstad­t, Markgrönin­gen. Ein 15.000-Einwohner-Ort bei Stuttgart, in dem er als Sohn Münchner Eltern „nie richtig dazugehört“hat. „Anderersei­ts bin ich dort aufgewachs­en, deshalb melde ich auch einen Anspruch an.“Anders als für viele Alterskoll­egen sei für ihn aber stets klar gewesen, dass er ausbrechen würde, um auch etwas anderes zu sehen.

Auf seinem Wien-Besuch fühlt er sich etwa spontan vom Schreibtis­ch des Zimmers im Hotel Altstadt inspiriert. „Es hat so etwas Romantisch­es hier. Und ich schreibe meine Lieder ja auch nicht am Computer, sondern mit Tinte und Papier.“

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[ Christoph Koestlin ] Philipp Poisel im Amerika, das schon seine Kindheits-Helden inspiriert­e.

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