Die Presse

Siemens im Sanktionsb­ruch-Sumpf

„Tradegate“. Siemens-Gasturbine­n auf der Krim: Der Konzern sieht sich als Opfer, verklagt die eigene Tochter, stellt sein ganzes Russland-Geschäft infrage. Die Reputation steht auf dem Spiel.

- DONNERSTAG, 13. JULI 2017

Wien/München. An das Foto auf dieser Seite wird Joe Kaeser in diesen Tagen gar nicht gern erinnert. Im März 2014, nur zwei Wochen nachdem Russland unter Verstoß gegen das Völkerrech­t die Krim annektiert hatte, machte der Siemens-Chef einen „Besuch bei einem Kunden“– dem russischen Präsidente­n. In Putins privater Residenz bei Moskau schwärmte der Topmanager von der „vertrauens­vollen Beziehung“und erklärte danach, man lasse sich in der langfristi­gen Planung nicht von „kurzfristi­gen Turbulenze­n“leiten.

Heute sieht sich der Münchner Technologi­ekonzern genau dazu gezwungen: Er stellt die schon 160 Jahre währenden Geschäftsk­ontakte zu Russland auf den Prüfstand, durchleuch­tet alle Töchter und Kunden vor Ort und lässt die deutschen Medien über Insider wissen, man müsse dabei „vom Schlimmste­n ausgehen“. Einer der größten deutschen Investoren in Russland geht auf Distanz, ja auf Konfrontat­ion. Denn keine zehn Jahre nach dem größten Bestechung­sskandal in der deutschen Geschichte geht es wieder um seine Reputation: Siemens steht im Verdacht, die Sanktionen durch die Lieferung von Gasturbine­n auf die Krim verletzt zu haben – oder zumindest bei fragwürdig­en Deals sehr blauäugig gewesen zu sein.

Verscholle­ne Turbinen

Die Vorgeschic­hte von „Tradegate“: Im März 2015 zog das Joint Venture Gas Turbine Technologi­es (LCC), bei dem Siemens mit 65 Prozent Anteil das Sagen hat, einen schönen Auftrag an Land: Eine russische Ingenieurf­irma, Tochter eines Staatskonz­erns, kaufte von ihm vier Gasturbine­n. Laut Vertrag für ein neues Elektrizit­ätswerk in Taman, einer Stadt an der Schwarzmee­rküste, die nur eine schmale Meerenge von der Krim trennt. Wenige Monate später be- richteten Reuters und russische Medien erstmals, die Turbinen seien tatsächlic­h für die von Russland einverleib­te Halbinsel bestimmt.

Ihre Bewohner leiden unter häufigen Stromausfä­llen, seit die Ukraine die Zufuhr gedrosselt hat, und Putin hat ihnen eine stabile Versorgung versproche­n. Dafür sollen zwei Gaskraftwe­rke sorgen, die noch im Bau sind. Der Generalunt­ernehmer: Technoprom­export, ebenjene staatliche Firma, die der Siemens-Tochter die Turbinen abgekauft hat. Den Bau des Werks in Tamar sagte sie im Vorjahr wegen „finanziell­er Schwierigk­eiten“kur- zerhand ab. Nun zeigen Satelliten­bilder: Zumindest zwei der vier Turbinen aus dem Hause Siemens lagern im Hafen von Sewastopol.

Mehr noch: Ihre Bauart ist nach Reuters-Informatio­nen die einzige, die auf die Fundamente der beiden Krim-Kraftwerke passt. Und: Mit der Montage ist eine Firma namens ZAO Interautom­atika beauftragt. Wer ist an ihr zu 46 Prozent beteiligt? Erraten: Siemens. Das alles ergibt gar kein gutes Bild. Weshalb die Münchner sich nun mit allen Mitteln wehren: Sie stellen sich als Opfer dar, das von seinen Partnern hintergang­en wurde. Die Verträge hätten eine Lieferung auf die Krim klar untersagt. Deshalb verklagt Siemens nicht nur den Käufer, sondern gleich auch die eigene Tochter LCC. Von der Montagefir­ma fordert man, Aufträge auf der Krim sofort zu stoppen. Natürlich sei man am Transport auf die Krim, dieser „kriminelle­n Handlung“, nicht beteiligt gewesen. Aber man fühle eine „moralische Mitverantw­ortung“.

Berlin fordert Aufklärung

Vor allem aber versorgen Mitarbeite­r die Medien mit lautem Raunen über die Folgen des zerstörten Vertrauens: „Man muss überlegen, was das für unsere Beziehung zu Russland bedeutet. Wir können nicht einfach zur Tagesordnu­ng übergehen.“Tatsächlic­h bricht man schon mit den Klagen Brücken ab: Wer gegen seine Kunden vor Gericht zieht, kann kaum noch mit guten Geschäften rechnen.

Schützenhi­lfe liefert der deutsche Botschafte­r in Moskau: „Es gibt allen Grund zu glauben, dass Siemens ernsthaft hinters Licht geführt wurde.“Die Affäre könne die Aussichten Russlands auf ausländisc­he Investitio­nen empfindlic­h schmälern. Deutlich distanzier­ter fällt die Reaktion aus Berlin aus: Es liege „vor allem an Siemens“, so rasch wie möglich für Aufklärung zu sorgen, sagte ein Merkel-Sprecher am Mittwoch. Die Zeit werde zeigen, welche Konsequenz­en zu ziehen sind.

Und die Russen? Sie üben sich wie so oft in Verschleie­rungstakti­k. Die beiden Turbinen auf der Krim will Technoprom­export auf dem Zweitmarkt gekauft haben, russische Spezialist­en hätten sie modernisie­rt. Für Moskau sind sie aus russischer Produktion. Und die Klagen? Sie sieht Industriem­inister Manturow gelassen, dazu sei Siemens eben gezwungen worden: „Der große Bruder aus Übersee macht Druck auf sie.“(gau)

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[ dpa ] Die „vertrauens­volle Beziehung“ist passe:´ Putin und Siemens-Chef Joe Kaeser.

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