Wie man 300.000 Chinesen zu Dieben macht
Verschollene Regenschirme, mit Rädern zugemüllte Städte: China hat seine liebe Not mit der „Sharing Economy“. Statt die Schirme nach Ende des Regens dem öffentlichen Raum zu retournieren, behielten sie die Chinesen bei sich zuhause.
Im Kommunismus war es üblich, Dinge von Wert mit anderen zu teilen. China hält sich offiziell immer noch für eine Kommunistische Volksrepublik. Deshalb fand auch die Staatspresse die Idee des Regenschirm-Sharings ganz toll. Bei der Übersetzung ins Englische scheint zwar einiges an Sinn verloren gegangen zu sein, aber wir ahnen doch, was der Kollege in seinem Leitartikel meinte: „Regenschirme zu teilen, ist ein Zeichen für menschliche Zuwendung, es setzt die Herzlichkeit der Stadt frei“. Von wegen. Das Experiment mit den herzlichen Stadtbewohnern ist gründlich missglückt.
Das Start-up „Sharing E Umbrella“vermisst fast alle 300.000 Regenschirme, die es zum Zwecke der Ausleihung und Rückgabe über zehn Städte verteilt hatte. Sicher, gegen Gebühr und mit allerlei technischem Schnick- schnack: Die Nutzer mussten einen Code am Griff scannen und erfuhren so die richtigen Ziffern für das integrierte Schloss. Aber die überwiesene Kaution von umgerechnet 2,50 Euro war für Schirme im Wert von acht Euro dann doch zu niedrig angesetzt. Statt sie nach Ende des Regens dem öffentlichen Raum zu retournieren, behielten sie die Chinesen bei sich zuhause. Weil der Anbieter ihnen keine persönliche Angaben abverlangt hat, wäre eine Ahndung des massenhaften Diebstahls viel zu aufwändig.
Inspirieren hatte sich der Firmengründer vom boomenden Markt für Leihfahrräder lassen. Freilich läuft es dort kaum besser: Vor wenigen Wochen musste der erste Anbieter dicht machen, weil man ihm 90 Prozent seiner 1200 Räder gestohlen hatte. Gut, er hatte es blöderweise verabsäumt, in seine Gefährte ein GPS zu installieren, um die krummen Bahnen seiner Kunden verfolgen zu können. Aber auch die beiden Marktführer, die landesweit Millionen von Rädern zur Verfügung stellen und damit viel Kohle machen, kämpfen mit einer Variante des Phänomens, das Ökonomen die „Tragik der Allmende“nennen – dem allzu sorglosen Umgang mit Gütern, die niemandem wirklich gehören. Wenn die Nutzer das Gefährt nicht mehr brauchen, stellen sie es meist nicht an Ständern ab, sondern lassen es einfach am Boden liegen. Die Folge: Vor den U-Bahn-Stationen der großen Städte türmen sich Berge von (oft beschädigten) Leihfahrädern.
Die Stadt Shenzhen verhängte für die Plage sogar ein Verbot, nachdem zehntausende Räder an einem langen Wochenende einen großen Park zugemüllt hatten. Es kommt, wie es kommen musste: Die Anbieter ködern „Bike-Jäger“, die ihnen über die App ihre Fotos von falsch abgestellten Vehikeln schicken, mit Rabattpunkten. Man hat uns eine Gemeinschaft von Gleichen versprochen, und wo sind wir gelandet? Beim Blockwart.