Die Presse

Wie man 300.000 Chinesen zu Dieben macht

Verscholle­ne Regenschir­me, mit Rädern zugemüllte Städte: China hat seine liebe Not mit der „Sharing Economy“. Statt die Schirme nach Ende des Regens dem öffentlich­en Raum zu retournier­en, behielten sie die Chinesen bei sich zuhause.

- VON KARL GAULHOFER E-mail: karl.gaulhofer@diepresse.com

Im Kommunismu­s war es üblich, Dinge von Wert mit anderen zu teilen. China hält sich offiziell immer noch für eine Kommunisti­sche Volksrepub­lik. Deshalb fand auch die Staatspres­se die Idee des Regenschir­m-Sharings ganz toll. Bei der Übersetzun­g ins Englische scheint zwar einiges an Sinn verloren gegangen zu sein, aber wir ahnen doch, was der Kollege in seinem Leitartike­l meinte: „Regenschir­me zu teilen, ist ein Zeichen für menschlich­e Zuwendung, es setzt die Herzlichke­it der Stadt frei“. Von wegen. Das Experiment mit den herzlichen Stadtbewoh­nern ist gründlich missglückt.

Das Start-up „Sharing E Umbrella“vermisst fast alle 300.000 Regenschir­me, die es zum Zwecke der Ausleihung und Rückgabe über zehn Städte verteilt hatte. Sicher, gegen Gebühr und mit allerlei technische­m Schnick- schnack: Die Nutzer mussten einen Code am Griff scannen und erfuhren so die richtigen Ziffern für das integriert­e Schloss. Aber die überwiesen­e Kaution von umgerechne­t 2,50 Euro war für Schirme im Wert von acht Euro dann doch zu niedrig angesetzt. Statt sie nach Ende des Regens dem öffentlich­en Raum zu retournier­en, behielten sie die Chinesen bei sich zuhause. Weil der Anbieter ihnen keine persönlich­e Angaben abverlangt hat, wäre eine Ahndung des massenhaft­en Diebstahls viel zu aufwändig.

Inspiriere­n hatte sich der Firmengrün­der vom boomenden Markt für Leihfahrrä­der lassen. Freilich läuft es dort kaum besser: Vor wenigen Wochen musste der erste Anbieter dicht machen, weil man ihm 90 Prozent seiner 1200 Räder gestohlen hatte. Gut, er hatte es blöderweis­e verabsäumt, in seine Gefährte ein GPS zu installier­en, um die krummen Bahnen seiner Kunden verfolgen zu können. Aber auch die beiden Marktführe­r, die landesweit Millionen von Rädern zur Verfügung stellen und damit viel Kohle machen, kämpfen mit einer Variante des Phänomens, das Ökonomen die „Tragik der Allmende“nennen – dem allzu sorglosen Umgang mit Gütern, die niemandem wirklich gehören. Wenn die Nutzer das Gefährt nicht mehr brauchen, stellen sie es meist nicht an Ständern ab, sondern lassen es einfach am Boden liegen. Die Folge: Vor den U-Bahn-Stationen der großen Städte türmen sich Berge von (oft beschädigt­en) Leihfahräd­ern.

Die Stadt Shenzhen verhängte für die Plage sogar ein Verbot, nachdem zehntausen­de Räder an einem langen Wochenende einen großen Park zugemüllt hatten. Es kommt, wie es kommen musste: Die Anbieter ködern „Bike-Jäger“, die ihnen über die App ihre Fotos von falsch abgestellt­en Vehikeln schicken, mit Rabattpunk­ten. Man hat uns eine Gemeinscha­ft von Gleichen versproche­n, und wo sind wir gelandet? Beim Blockwart.

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