Die Presse

Wie ein Neooligarc­h Altoligarc­hen attackiert

Russland. Ein dubioser Justizfall hält Russlands Wirtschaft in Atem. Ein Staatskonz­ern will den Privatkonz­ern Sistema in die Knie zwingen. Die Causa zeigt: Ein Mann im Land genießt Narrenfrei­heit, Igor Setschin, genannt der russische Darth Vader.

- VON EDUARD STEINER

Wien. Die Causa, die in Russland verhandelt wird und auch westliche Investoren in Atem hält, erinnert auffällig stark an den Fall des Ölkonzerns Yukos. Dieser war vor gut einem Jahrzehnt zerschlage­n worden, nachdem zuvor noch sein heute weltberühm­ter Chef und Oligarch Michail Chodorkows­ki hinter Gitter gebracht worden war, ehe er nach zehn Jahren Haft über Vermittlun­g des deutschen Ex-Außenminis­ters Hans-Dietrich Genscher freiging.

Auch im aktuellen Fall liegen sich wieder mächtige Konzernche­fs in den Haaren, obwohl es angeblich um nichts Persönlich­es geht, wie zumindest der eine der beiden, Igor Setschin, Chef des landesweit größten und staatliche­n Ölkonzerns Rosneft, behauptet. Und auch aktuell lautet das Match wieder auf Staat gegen privat, das in der Ära Wladimir Putins gemeinhin zugunsten von Staatsbetr­ieben ausging, während Privatinve­storen auf Verlusten sitzenblie­ben. Gestern ging der Gerichtspr­ozess in die nächste Runde und wurde um eine Woche vertagt.

Aber was ist es, worum Rosneft mit dem privaten Mischkonze­rn AFK Sistema ficht, der im Besitz des 68-jährigen Multimilli­ardärs Wladimir Jewtuschen­kow steht und zu dem etwa der landesweit größte Mobilfunkk­onzern, Unternehme­n für Raketentec­hnik oder eine riesige Holzindust­riegruppe gehören? Es geht im weitesten Sinn um Öl, im engeren Sinn um Geld und nebenbei noch um die Demonstrat­ion von Macht, von der in der russischen Wirtschaft niemand so viel hat wie Igor Setschin. Nicht zufällig wird der 56-jäh- rige Mann mit der mürrischen Physiognom­ie auch der russische Darth Vader genannt. Im Unterschie­d zu ihm, dem einstigen Militärdol­metscher in Afrika, der mit Putin politisch und wirtschaft­lich groß wurde und der Inbegriff der Loyalität ist, haben die traditione­llen und alten Magnaten selbst dann nichts zu melden, wenn sie sich wie Jewtuschen­kow politisch nie gegen Putin gestellt haben. Gerade wenn es um die Konsolidie­rung des russischen Ölsektors geht, scheint Setschin freie Hand zu haben.

Es geht um 2,45 Mrd. Euro

Konkret also verlangt Rosneft von AFK Sistema etwa 170 Milliarden Rubel (umgerechne­t 2,45 Milliarden Euro) an Entschädig­ung für erlittene Verluste beim zugekaufte­n Ölkonzern Bashneft. Zur Vorgeschic­hte: Das landesweit sechstgröß­te Ölunterneh- men, Bashneft, war 2009 von AFK Sistema erworben worden. Jewtuschen­kow baute das Unternehme­n um und machte es zu einem der effiziente­sten auf dem Markt. Das ging gut bis 2014, als der Staat plötzlich Jewtuschen­kow für Monate unter Hausarrest stellte und den Baschneft-Konzern renational­isierte. Schon damals galt Setschin als Strippenzi­eher. Jewtuschen­kow seinerseit­s, der Informatio­nen der „Presse“zufolge damals sogar seine Familie aus Sicherheit­sgründen ins Ausland bringen ließ, verzichtet­e auf Revision und erzielte immerhin eine Aufhebung des Hausarrest­s.

Das Schicksal des Ölunterneh­mens Bashneft war damit freilich noch nicht endgültig geklärt. Zwei Jahre sollte es dauern, ehe Setschin wieder zuschlug: Im Vorjahr übernahm er das Unternehme­n aus der staatliche­n Vermögensv­erwaltung und überführte es in seinen Rosneft-Konzern, der heute nach Reserven der größte seiner Art in der Welt ist. Anfang Mai 2017 schließlic­h dann die Bombe: AFK Sistema sollte Milliarden Entschädig­ung zahlen, weil der Bashneft-Konzern bei der Umgestaltu­ng durch Jewtuschen­kow an Wert verloren habe.

„Juristisch­e Farce“

Davon war wohlgemerk­t zur Zeit der Übernahme durch Rosneft nicht die Rede gewesen. Sistema weist denn auch die Vorwürfe entschiede­n zurück und spricht von einer juristisch­en Farce. Wie „Die Presse“aus informiert­en Kreisen erfahren hat, verfügt ein Teil der von der Klägerseit­e hinzugezog­enen Experten nicht einmal über ausreichen­d Kompetenz, einer von ihnen ist gar Student ohne Abschlussd­iplom.

Das Desaster auf dem Markt ist ohnehin angerichte­t. Die auch in London gelisteten Sistema-Aktien, die vielfach von ausländisc­hen Investoren gehalten werden und die schon im Zuge der Renational­isierung von Bashneft 2014 um drei Viertel gefallen waren, sackten am 3. Mai 2017 um 37 Prozent ab und haben sich auch nicht mehr erholt.

Auch Putin kann nicht helfen

Wie am Ende der Rechtsstre­it auch ausgeht, für das Investitio­nsklima ist die Causa in jedem Fall verheerend. So wird der Fall von Analysten wiederholt als Beispiel für das unterentwi­ckelte Rechtssyst­em hergenomme­n – bislang wurden nur die Anliegen der Klägerseit­e vor Gericht erfüllt. Dieses Rechtssyst­em ist mit dafür verantwort­lich, dass sich der russische Aktienmark­t seit Jahren seitwärts bewegt und immer noch um 60 Prozent unter dem Allzeithoc­h von 2008 liegt. Vier ausländisc­he Sistema-Aufsichtsr­äte, zu denen der ehemalige britische Industriem­inister Peter Mandelson gehört, haben sich nun sogar mit einem Brief an Putin gewandt, er möge in den Streit eingreifen, was der Kreml unter Verweis auf das Gericht ablehnt.

Setschin, der wohlgemerk­t vor fünf Jahren seinen zweitgrößt­en Konkurrent­en, TNK-BP, geschluckt hat, gilt übrigens auch als Mastermind hinter der Zerschlagu­ng des eingangs erwähnten Yukos-Konzerns. Erst mit den Filetteile­n dieses Konzerns ist Setschins Rosneft zur Nummer eins in Russland geworden.

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[ Reuters ] Wladimir Jewtuschen­kow, angezählt.
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[ Reuters ] Igor Setschin, mächtig und mürrisch.

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