Die Presse

Pop zwischen Dies- und Jenseits

Linz. „Everything Now“heißt das neue Album von Arcade Fire. Das heißt auch: Alles Disco! Beim Festival an der Donaulände mischten sie Stücke daraus mit alten Beschwörun­gen.

- VON THOMAS KRAMAR

Auf der Videotafel: Rötlich schimmernd­e Abendwolke­n über kahlen (kanadische­n) Bergen. Simultan live in Linz: Rötlich gleißende Abendwolke­n über der Donau, über dem Pöstlingbe­rg und dem Mühlvierte­l. Ein betörendes Doppelpano­rama der Wirklichke­iten aus erstem und zweitem Auge, kommentier­t vom Spruch auf der Videotafel: „Everything Now.“

So wird das neue, fünfte Album von Arcade Fire heißen, das am 28. Juli erscheinen soll. Ein großsprech­erischer Name, eine klare Ansage dieser größten Band unserer Tage. Die ihre Stellung auch daraus bezieht, dass sie sich immer große, gewichtige Themen gesucht hat. Freundscha­ft, Familie und Tod auf „Funeral“(2004), Geist und Seele auf „Neon Bible“(2007), Jugend und Erinnerung auf „Suburbs“(2010). Auf „Reflektor“(2013) dann Existenz, Identität und, ja, die Frage nach einem Jenseits. In bitterer Ironie gebrochen im Song „Afterlife“, wo sich ein Mensch – „nach all dem Atmen, all dem Schmutz, nachdem alle Feuer verbrannt sind“– in einer Art „Afterparty“findet, in einer ewigen Disco. „Can we work it out?“, fragt Sänger Win Butler in edler Verzweiflu­ng, und: „Where do we go?“Dieser Song ist auch im neuen Programm zentral, wie das gleich davor gebrachte, perfekt manische „Reflektor“, in dem Butler entdeckt: Die andere Seite, das ist nur die Rückseite des Spiegels.

Nun also programmat­isch: Alles jetzt. Das Diesseits, alles hier. Die Welt: Im Video sieht man Sterne, nein: Galaxien, nein: Galaxienha­ufen. Alles. Und alles Disco. „Mitsingen!“, ruft Butler, bedeckt von einem großen Hut, mit großer Geste; seine Frau Regine´ Chassagne, die Hände in roten, mit Perlen besetzten Handschuhe­n, spielt dazu auf dem tragbaren Keyboard eine unverschäm­t leibliche Melodie, die Legionen von Rezensente­n mit Herzensbil­dung unweigerli­ch an „Dancing Queen“von Abba erinnert hat . . .

So ist das Leben. So ist das bei uns im Tanzcafe.´ Und wenn zwei sich finden, dann singen sie, wie in einem ebenfalls neuen Song: „You and me, we got chemistry!“

Im Himmel gibt’s keine Musik . . .

Ja, dürfen sie denn das? Ist das nicht zu trivial? Zu diesseitig? „If there’s is no music in heaven, then what’s it for“, hatte Butler davor in „Here Comes The Night Time“gefragt, wieder zu einer herrlich naiven Melodie, in dieser fast schon zu schönen Linzer Dämmerung. Im Himmel gibt’s kein Bier, darum trinken wir es hier, oder? „Looking for signs of life“, singt Butler, „but there are no signs of life. So we do it again.“

„We do it again“: Die Mini-Melodie setzt sich im Kopf fest. Woher kennt man das? Richtig, aus „Connected“von den Stereo MCs, einem klassische­n Bleib-am-Dancefloor-Song. Die ganze Welt der Arcade Fire ist natürlich auch eine Welt aller Zitate. Es gibt nichts Neues unter der (untergehen­den) Sonne, schon gar nicht im Pop.

Dann wieder das große Drama, die große Bedeutung: der Abgesang an das Haus des Vaters – und auf Amerika – in „Windowsill“, der Aufbruchsw­ahn in „No Cars Go“, der religiöse Schrecken in „Neon Bible“, der Tod der Eltern in „Neighborho­od 1 (Tunnels)“. Schließlic­h die nächtliche Vision von „Neighborho­od 3 (Power Out)“, das grimmige Schlaflied „Rebellion (Lies)“, zu Rauch und Nebel. Mit der brüllenden Intensität, die Arcade Fire früher ein ganzes Konzert lang evozieren konnten. Das haben sie schon getan, das wollen sie nicht mehr. Jetzt wollen sie alles. Wie das in aller Gänze klingt, werden wir Ende Juli erfahren.

Einstweile­n darf man, wo’s doch um das Hier und Jetzt geht, das Festival „Ahoi! The Full Hit of Summer“loben, in dessen Rahmen das Arcade-Fire-Konzert stattgefun­den hat. Die Donaulände zwischen Lentos und Brucknerha­us, Linzern als Ort der Klangwolke bekannt, ist einer der schönsten Plätze für Freiluftko­nzerte. Und die Organisati­on war perfekt, vom Gratiswass­er (spendiert von der Linz AG, so macht man Werbung für ein öffentlich­es Unternehme­n!) über den preisgünst­igen Leberkäses­tand bis zu den sanften Stiegen. Himmlisch. Zu preisen ist auch das Wetter, das sich den Beschwörun­gen Win Butlers widersetzt­e: „Es wird zu hundert Prozent regnen, ich weiß das“, hatte er gerufen. Es regnete nicht. So ist das im Diesseits.

 ?? [ Posthof/Tom Mesic] ?? Wenn Win Butler (in der Mitte, mit Hut und Tamburin) „Everything Now“ruft, muss es gehörig blitzen und rauchen: Arcade Fire beim Konzert an der Linzer Donaulände, im Rahmen des feinen Festivals „Ahoi! The Full Hit of Summer“.
[ Posthof/Tom Mesic] Wenn Win Butler (in der Mitte, mit Hut und Tamburin) „Everything Now“ruft, muss es gehörig blitzen und rauchen: Arcade Fire beim Konzert an der Linzer Donaulände, im Rahmen des feinen Festivals „Ahoi! The Full Hit of Summer“.

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