Gene steuern, wie wir in die Welt sehen
Autismus-Forscher haben bemerkt, dass eineiige Zwillinge ihre Augen völlig identisch bewegen.
Die ersten Informationen über die Welt sammeln wir mit den Augen, schon im Uterus, durch dessen Wände dringt Licht. Dort wird die Aufmerksamkeit der Föten vor allem durch Formen geweckt, die an Gesichter erinnern, Vincent Reid (Lancaster) hat es gerade erhoben (Current Biology 27, S. 1825). Auch nach der Geburt heftet sich der Blick bevorzugt darauf, und wenn er es nicht tut, kann das ein Alarmsignal für die rätselhaften Krankheiten sein, die unter „autistischem Spektrum“zusammengefasst werden.
Wie verbreitet die sind, ist wenig klar – die Zahlen sind in den letzten Jahren nach oben geschossen, das hat aber viel mit den Diagnosekriterien zu tun –, und wo sie her rühren, ist es überhaupt nicht: Lange hielt man mangelnde Zuwendung der Mütter für den Grund, dann schwenkte man auf Gene, kam aber wenig weiter, auch das männliche Sexualhormone Testosteron wurde ins Spiel gebracht, weil Männer viel häufiger betroffen sind.
Autismus: Defizit an Blickkontakt
Sicher ist nur eines: Im „autistischen Spektrum“ist die Aufnahme des sozialen Kontakts defizitär, zuvörderst die durch den Blick. Auf den hat sich John Constantino (Atlanta) konzentriert, er hat Kindern im Alter von 18 bis 24 Monaten im Labor kurze Filme gezeigt, in denen Gesichter und Gegenstände zu sehen waren, er hat dabei ihre Augenbewegungen dokumentiert. Die Kinder waren aus vier Gruppen: Eineiige Zwillinge, zweieiige, nicht verwandte – allesamt gesund –, Autisten.
Eineiige Zwillinge schauen völlig gleich in die Welt, ihre Augen nehmen mit gleicher Geschwindigkeit die gleichen Wege, sie konzentrieren den Blick auf Gesichter und dort auf Augen und Mund. Das tun die anderen gesunden Kinder auch, allerdings gibt es schon unter zweieigen Zwillingen fast keine Gemeinsamkeiten der Augenbewegungen. Bei den Autisten fanden Gesichter wenig Aufmerksamkeit (Nature 12. 7.) Constantino sieht darin ganz neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten, der Befund ist aber eher von den von den Grundlagen her spannend: Offenbar werden Augenbewegungen stark von Genen gesteuert, man kennt sie allerdings nicht und weiß auch nicht, wozu die Programmierung da ist.