Die Presse

Viel geprüfte Türkei

Gastkommen­tar. Die Republik erholt sich vom Putschvers­uch vor einem Jahr. Die Türkei wird gestärkt aus dieser Krise hervorgehe­n.

- VON MEHMET FERDEN CARıK¸Cı¸ Mehmet Ferden Carık¸cı¸ (geboren 1968 in Istanbul) ist seit Anfang Juli Botschafte­r der Republik Türkei in Österreich. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Vor fast genau einem Jahr, am 15. und 16. Juli, spielte sich in der Türkei der scheußlich­ste Putschvers­uch in der Geschichte einer westlichen Demokratie ab. Wer sich schon einmal mit der türkischen Zeitgeschi­chte beschäftig­t hat, wird wissen, dass dieser barbarisch­e Angriff auf den Volkswille­n nicht der Erste seiner Art war. Jedoch war er der Erste, der in solch unvergleic­hliche Gräueltate­n mündete.

Eine mafiaähnli­che Untergrund­organisati­on unterwande­rte jahrzehnte­lang sämtliche Staatsappa­rate und verwandelt­e einen friedliche­n Sommeraben­d in ein Blutbad. Putschiste­n innerhalb des Militärs nahmen den Generalsta­bschef fest, besetzten Straßen, Brücken sowie Medienhäus­er, durch die sie Zwangsdurc­hsagen veröffentl­ichen ließen. Spezialein­heiten wurden beauftragt, den Präsidente­n sowie den Regierungs­chef zu töten.

Mitglieder der Streitkräf­te, die sich gegen den Putsch stellten, wurden gefoltert. Panzer rollten gegen Zivilisten, Kampfflugz­euge donnerten über den Himmel, Frauen und Kinder wurden zu Zielscheib­en. 250 mussten im Namen der Demokratie ihr Leben lassen, Tausende wurden verwundet. Das Herzstück jeder Demokratie – das Parlament – bombardier­t. Dies war leider kein böser Albtraum für die Türkei und ihre Bevölkerun­g, sondern pure Realität.

Griff nach der ganzen Macht

Die Organisati­on, die hinter diesem niederträc­htigen Akt steckt, heißt ,Fetullah Güllenisti­sche Terrororga­nisation, kurz Fetö: Eine Organisati­on mit einem gefährlich­en Oberhaupt, das sich selbst als „Kosmos-Imam“beschreibt und um sich selbst herum einen perversen Personenku­lt betreibt.

Fetö hat es sich zum Ziel gesetzt, alle Macht im Staat an sich zu reißen. Um die demokratis­che Grundordnu­ng und die Rechtsstaa­tlichkeit zu wahren, wurde auf Grundlage des geltenden Rechts – nationalen sowie internatio­nalen – der Ausnahmezu­stand ausgerufen. Dieser Ausnahmezu­stand dient dem einzigen Zweck, die terroristi­sche Organisati­on aus dem Staatsappa­rat zu entfernen und die Bürgerrech­te zu wahren.

Dabei wird auf den Schutz der Rechte des Einzelnen besonders viel Wert gelegt. Der EGMR erklär- te die Bildung der Untersuchu­ngskommiss­ion für Beschwerde­n als effektives Rechtsmitt­el. In den Boulevardm­edien wurde viel über Suspendier­ungen sowie das Verbot von Organisati­onen berichtet. Weniger zu lesen war hingegen darüber, dass bereits über 30.000 Beamte ihre Posten zurückbeko­mmen haben und über 300 Organisati­onen wieder arbeiten dürfen. Der Rechtsweg stand von Anfang an allen Betroffene­n offen.

Die gesamte Bevölkerun­g steht noch immer unter Schock. Aber die Republik erholt sich allmählich, die Wunden verheilen durch den vorbildlic­hen Zusammenha­lt aller Teile der Bevölkerun­g. Ich bin mir sicher, dass die historisch ebenso wie Österreich viel geprüfte Türkei auch aus dieser Krise stärker denn je herausgehe­n wird.

Schlussend­lich gedenke ich derjenigen Helden, die im Kampf für die Demokratie gefallen sind. Und ich hoffe auf die baldige Genesung aller, welche immer noch verwundet sind.

 ?? [ AFP] ?? Durch den Zusammenha­lt aller Teile der türkischen Bevölkerun­g verheilen die Wunden, die der Juli 2016 hinterlass­en hat.
[ AFP] Durch den Zusammenha­lt aller Teile der türkischen Bevölkerun­g verheilen die Wunden, die der Juli 2016 hinterlass­en hat.

Newspapers in German

Newspapers from Austria