Die Presse

Stigmatisi­erung der Atomwaffen

Gastkommen­tar. Der neue Verbotsver­trag ist ein hart erkämpfter Meilenstei­n auf dem Weg zu einer Welt ohne Nuklearwaf­fen.

- VON MARTIN SENN Martin Senn ist Professor für Internatio­nale Politik an der Universitä­t Innsbruck und Lektor an der Diplomatis­chen Akademie Wien. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Vergangene Woche stimmten 122 Staaten bei einer Gegenstimm­e und einer Enthaltung für den Vertragste­xt eines umfassende­n Verbots von Nuklearwaf­fen. Dieser Vertrag ist das Resultat eines gut zehn Jahre dauernden Prozesses, der in mehrerer Hinsicht einen fundamenta­len Wandel bei der internatio­nalen Kontrolle militärisc­her Atomtechno­logie erreicht hat.

Zyniker und Kritiker des Vertrages halten dagegen, dass die Aussicht auf Abrüstung seitens der bestehende­n Nuklearwaf­fenstaaten schon lange nicht mehr so düster gewesen sei wie gegenwärti­g; diese Staaten würden einen Verbotsver­trag schlichtwe­g ignorieren. Auch wenn sich künftige Prozesse substanzie­ller nuklearer Reduktione­n zweifelsoh­ne schwierig gestalten werden, verkennt diese Kritik doch die längerfris­tige Wirkmächti­gkeit des Verbotsver­trags.

Die Präambel des Vertrags lässt erkennen, welchen fundamenta­len Wandel das Politikfel­d erfahren hat. Nicht mehr die nationale Sicherheit, die über Jahrzehnte das Denken und Handeln dominiert hat, sondern die Sicherheit des einzelnen Menschen und der Menschheit bildet nun eine alternativ­e Prämisse dieses Politikber­eichs.

Nicht mehr ausschließ­lich Diplomaten und Experten, sondern auch die Opfer der Produktion, des Testens und des Einsatzes von Nuklearwaf­fen haben nun einen festen Platz und eine legitime Stimme in Debatten über Nuklearwaf­fen. Und nicht mehr nur Staaten, sondern auch nicht staatliche, zivilgesel­lschaftlic­he Akteure wie das Internatio­nale Komitee des Roten Kreuzes haben erhebliche Gestaltung­smöglichke­iten.

Bemerkensw­erter Wandel

Auch wenn dieser Wandel bemerkensw­ert ist und der Verbotsver­trag als historisch bezeichnet werden kann, wird er nicht unmittelba­r oder im Alleingang zu nuklearer Abrüstung führen. So sehen das auch die Befürworte­r des Vertrags, wenngleich ihnen die Vertragsge­gner den Glauben an einen spontanen Abrüstungs­erfolg und damit eine utopischna­ive Vision unterstell­en. Der Realismus der Befürworte­r lässt sich auch daran erkennen, dass der Vertrag ein rechtlich bindendes Verbot von Nuklearwaf­fen als wichtigen Beitrag zu einer Welt ohne Atomwaffen bezeichnet, nicht als das ausschließ­liche Instrument globaler Abrüstung.

Längerfris­tige Relevanz

Die längerfris­tige Relevanz des Verbotsver­trags ist zunächst darin begründet, dass er den diffusen und umstritten­en Artikel VI des Nuklearen Nichtverbr­eitungsver­trages durch ein explizites und umfassende­s Rahmenwerk ergänzt. Weiters werden Nuklearwaf­fen durch diesen Vertrag delegitimi­ert und stigmatisi­ert. Der Vertrag ist damit eine verstetigt­e Form des Drucks auf Besitzer von Nuklearwaf­fen sowie jene Staaten, die unter einem nuklearen Schutzschi­rm stehen.

Der Druck allein wird Staaten wohl nicht zum nuklearen Verzicht bewegen. Er kann aber im Verbund mit anderen Faktoren, wie etwa Erwägungen hinsichtli­ch der Finanzierb­arkeit von nuklearen Streitkräf­ten oder wachsenden Bedenken über deren fehlerhaft­e Kontrolle nationale Atomwaffen­politik maßgeblich beeinfluss­en. Nicht zuletzt ist der Vertrag aber auch ein ethischer Rahmen, der neue Generation­en von außenpolit­ischen Entscheidu­ngsträgern in ihrem Denken über Nuklearwaf­fen prägen wird.

Der Verbotsver­trag ist ein hart erkämpfter Meilenstei­n auf dem Weg zu einer Welt ohne Nuklearwaf­fen. An weiteren Verträgen zur Reduktion bestehende­r Arsenale wird jedoch kein Weg vorbeiführ­en. Auch wenn diese derzeit in weiter Ferne zu liegen scheinen, hat sie der Verbotsver­trag wieder greifbarer gemacht.

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