Ex-Präsident Lula ist in einem ersten Prozess zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Nun entscheidet die zweite Instanz über seine Zukunft – und das Schicksal von Brasiliens Linker.
Brasilien.
Bras´ılia/Buenos Aires. Brasiliens politisches Herz ist Mitte dieser Woche tief in den Süden des Riesenlandes gerutscht. In Porto Alegre, der Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Sul, werden die Richter Joao˜ Gebran Neto, V´ıctor Luiz dos Santos Laus und Leandro Paulsen die erste Verurteilung eines brasilianischen Ex-Präsidenten überprüfen. Sie müssen über eine herausragende Persönlichkeit der Landes-, der Kontinental-, wohl auch der Weltgeschichte urteilen. Und ihr Spruch dürfte das Schicksal von Brasiliens Linker entscheiden, auf deren einziger Lichtgestalt nun schwere Schatten lasten.
Luiz Inacio´ da Silva muss bangen. Dass ihn Brasiliens inzwischen wohl bekanntester Richter Sergio´ Moro am Mittwoch wegen passiver Korruption und Geldwäsche zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilte, bedeutet eine erhebliche politische Schwächung für den 71-jährigen vormaligen Me- tallarbeiter, Gewerkschaftsführer und Gründer der Arbeiterpartei PT. Und für dessen Ambitionen, am Neujahrstag 2019 in den Präsidentenpalast zurückzukehren. Lula, der sich mehrfach öffentlich als „besten Präsidenten in Brasiliens Geschichte“gepriesen hatte, kritisierte das Urteil als politisch motivierten Versuch, ihn aus dem Spiel zu nehmen und seinen Ruf zu beschädigen.
Mit dem Schuldspruch, der sich um eine Ferienwohnung dreht, die dem Baukonzern OAS gehört, aber angeblich von Lula und dessen Familie genutzt wurde, sind die Ermittler aus Curitiba nach drei Jahren und vier Monaten an der Spitze des Skandals um den halbstaatlichen Ölriesen Petrobras angekommen. Etwa 100 Finanzjongleure, Manager, CEOs und Politiker wurden verhaftet, angeklagt und verurteilt. Tausende Seiten füllten die Kronzeugenaussagen, allein der Bauriese Odebrecht trug 77 Geständnisse bei.
Die Politik ins Wanken gebracht
Die Ermittlungen unter dem Codenamen „Autowäsche“, die im April 2014 in einem Reinigungsbetrieb für Kraftfahrzeuge begannen, machten Brasiliens gesamtes politisches System patschnass. Über die Auswirkungen stürzte im Vorjahr Lula Nachfolgerin, Dilma Rousseff. Und deren Nachfolger, Michel Temer, könnte ihr in den kommenden Wochen folgen. Nach konkreten Korruptionsvorwürfen wurde er von der Generalstaatsanwaltschaft angeklagt. Der Kongress berät über die Aufhebung seiner Immunität.
In seinem Urteil gestand der Richter Moro dem Ex-Präsidenten – anders als den meisten anderen verurteilten Politikern und Wirtschaftsvertretern – zu, einstweilen auf freiem Fuße zu bleiben. Allerdings beinhaltet Moros Spruch auch das Verbot, für die nächsten 19 Jahre ein öffentliches Amt zu bekleiden. Lulas Verteidigern bleibt nun keine andere Wahl, als das Urteil in zweiter Instanz anzufechten. Und diese ist das Bundesgericht in Porto Alegre, der Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Sul.
Die drei Richter, die wohl Lulas Fall auf den Tisch bekommen, haben bislang 48 Urteile des Richters Moro überprüft. Zehn davon bestätigten sie ohne Änderung, in 16 Fällen erhöhten sie das Strafmaß, achtmal reduzierten sie es. Und nur fünfmal kassierten sie Moros Spruch völlig und sprachen die Angeklagten frei. Im Durchschnitt dauert ein Berufungsverfahren an dieser Kammer zwei Jahre, allerdings wurden Berufungen der „Autowäsche“-Urteile im Schnitt binnen zehn Monaten abgehandelt.
Nun kommt es darauf an, ob die drei Richter auch in der Causa Lula diesen strammen Rhythmus einhalten. Denn Brasiliens Rechtssystem erlaubt es, dass verurteilte Politiker um Ämter kandidieren, solange die zweite Instanz keinen weiteren Schuldspruch spricht. Lulas Anwälte und die Führung der PT hoffen darauf, den Spruch der drei Richter bis nach den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018 hinauszuzögern.