Die Presse

Ex-Präsident Lula ist in einem ersten Prozess zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Nun entscheide­t die zweite Instanz über seine Zukunft – und das Schicksal von Brasiliens Linker.

Brasilien.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Bras´ılia/Buenos Aires. Brasiliens politische­s Herz ist Mitte dieser Woche tief in den Süden des Riesenland­es gerutscht. In Porto Alegre, der Hauptstadt des Bundesstaa­tes Rio Grande do Sul, werden die Richter Joao˜ Gebran Neto, V´ıctor Luiz dos Santos Laus und Leandro Paulsen die erste Verurteilu­ng eines brasiliani­schen Ex-Präsidente­n überprüfen. Sie müssen über eine herausrage­nde Persönlich­keit der Landes-, der Kontinenta­l-, wohl auch der Weltgeschi­chte urteilen. Und ihr Spruch dürfte das Schicksal von Brasiliens Linker entscheide­n, auf deren einziger Lichtgesta­lt nun schwere Schatten lasten.

Luiz Inacio´ da Silva muss bangen. Dass ihn Brasiliens inzwischen wohl bekanntest­er Richter Sergio´ Moro am Mittwoch wegen passiver Korruption und Geldwäsche zu neuneinhal­b Jahren Gefängnis verurteilt­e, bedeutet eine erhebliche politische Schwächung für den 71-jährigen vormaligen Me- tallarbeit­er, Gewerkscha­ftsführer und Gründer der Arbeiterpa­rtei PT. Und für dessen Ambitionen, am Neujahrsta­g 2019 in den Präsidente­npalast zurückzuke­hren. Lula, der sich mehrfach öffentlich als „besten Präsidente­n in Brasiliens Geschichte“gepriesen hatte, kritisiert­e das Urteil als politisch motivierte­n Versuch, ihn aus dem Spiel zu nehmen und seinen Ruf zu beschädige­n.

Mit dem Schuldspru­ch, der sich um eine Ferienwohn­ung dreht, die dem Baukonzern OAS gehört, aber angeblich von Lula und dessen Familie genutzt wurde, sind die Ermittler aus Curitiba nach drei Jahren und vier Monaten an der Spitze des Skandals um den halbstaatl­ichen Ölriesen Petrobras angekommen. Etwa 100 Finanzjong­leure, Manager, CEOs und Politiker wurden verhaftet, angeklagt und verurteilt. Tausende Seiten füllten die Kronzeugen­aussagen, allein der Bauriese Odebrecht trug 77 Geständnis­se bei.

Die Politik ins Wanken gebracht

Die Ermittlung­en unter dem Codenamen „Autowäsche“, die im April 2014 in einem Reinigungs­betrieb für Kraftfahrz­euge begannen, machten Brasiliens gesamtes politische­s System patschnass. Über die Auswirkung­en stürzte im Vorjahr Lula Nachfolger­in, Dilma Rousseff. Und deren Nachfolger, Michel Temer, könnte ihr in den kommenden Wochen folgen. Nach konkreten Korruption­svorwürfen wurde er von der Generalsta­atsanwalts­chaft angeklagt. Der Kongress berät über die Aufhebung seiner Immunität.

In seinem Urteil gestand der Richter Moro dem Ex-Präsidente­n – anders als den meisten anderen verurteilt­en Politikern und Wirtschaft­svertreter­n – zu, einstweile­n auf freiem Fuße zu bleiben. Allerdings beinhaltet Moros Spruch auch das Verbot, für die nächsten 19 Jahre ein öffentlich­es Amt zu bekleiden. Lulas Verteidige­rn bleibt nun keine andere Wahl, als das Urteil in zweiter Instanz anzufechte­n. Und diese ist das Bundesgeri­cht in Porto Alegre, der Hauptstadt des Bundesstaa­tes Rio Grande do Sul.

Die drei Richter, die wohl Lulas Fall auf den Tisch bekommen, haben bislang 48 Urteile des Richters Moro überprüft. Zehn davon bestätigte­n sie ohne Änderung, in 16 Fällen erhöhten sie das Strafmaß, achtmal reduzierte­n sie es. Und nur fünfmal kassierten sie Moros Spruch völlig und sprachen die Angeklagte­n frei. Im Durchschni­tt dauert ein Berufungsv­erfahren an dieser Kammer zwei Jahre, allerdings wurden Berufungen der „Autowäsche“-Urteile im Schnitt binnen zehn Monaten abgehandel­t.

Nun kommt es darauf an, ob die drei Richter auch in der Causa Lula diesen strammen Rhythmus einhalten. Denn Brasiliens Rechtssyst­em erlaubt es, dass verurteilt­e Politiker um Ämter kandidiere­n, solange die zweite Instanz keinen weiteren Schuldspru­ch spricht. Lulas Anwälte und die Führung der PT hoffen darauf, den Spruch der drei Richter bis nach den Präsidents­chaftswahl­en im Oktober 2018 hinauszuzö­gern.

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