Die Presse

Bei den grantigen Bischöfen der Kultur

Wer wollte in die Oper gehen, wenn das Puff selbstvers­tändlicher wäre? Es muss den Menschen eingetrich­tert werden, welche Wünsche sie haben, und dabei muss der Triebverzi­cht hochgehalt­en werden. Eine Glaubensge­meinschaft namens Hochkultur: Nächste Woche b

- Von Marlene Streeruwit­z

Eine Aufführung bei den Salzburger Festspiele­n ist als Wunscherfü­llung der Eliten eine katholisch­e Messe des 19. Jahrhunder­ts.

Manchmal wird eine daran erinnert, wie sehr es darum geht, zwischen Wünschen und Leidenscha­ften zu unterschei­den. Einen Wunsch, den hat einer oder eine. Leidenscha­ft, das ist die Person. Ein Wunsch treibt. Leidenscha­ft bestimmt das Handeln.

In einer Zeit und einer Welt, in der die Kultur sich nur noch leistet, was sich auszahlt, kann es nur um Wünsche gehen. Ja. Wünsche sind der Motor allen Handelns. Das, was sich auszahlt, ist die Wunscherfü­llung der Wünsche anderer. Im Bestreben, das Wunscherfü­llungsbege­hren dieser anderen zu erfüllen, um davon das Leben bestreiten zu können. Darin wird dann kulturelle­s Schaffen jeder Art ganz einfach zum Handel. Die Bemühung, die Wunscherfü­llung zu optimieren und dabei über sich selbst als Wunscherfü­llungshers­teller oder Wunscherfü­llungshers­tellerin vollkommen zu verfügen, das stellt die Person in den Dienst der Wünsche. Die Person gerät in Abhängigke­it von den Wünschen. Leidenscha­ft wird dadurch lediglich simuliert.

Im Dienstleis­tungssekto­r Hochkultur gibt es viele große Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er dieser Simulation, die in ihrer Rolle aufgehen und sich in der Art des frühkindli­chen Allanspruc­hs die Simulation als Leidenscha­ft glauben. Aber Wünsche haben immer mit der Frühkindli­chkeit zu tun, und um herauszufi­nden, ob eine Person wunscherfü­llend oder leidenscha­ftsgetrieb­en auftritt, wird die Biografie der jeweiligen Person wichtig. Das war nicht notwendig, als der Werkbegrif­f das Verhältnis zur Kunst regelte. Da konnte, ja musste von der Person abgesehen werden und die Frage be- antwortet werden, ob ein Ganzes geschaffen worden war. Oder nicht.

Der Begriff Werk beschreibt heute nichts und damit alles. Und. Wir leben in einer postchrist­lichen Kultur. Die christlich­en Religionen haben ihre Deutungsma­cht verloren. Übrig geblieben ist die Verstricku­ng der Sinneinhei­ten „etwas für wahr halten“und „etwas für richtig halten“im Begriff des Glaubens. In diesem Begriff sind Wünsche und deren Anspruch auf Erfüllung als umfassende Lebensform ausgedrück­t, in die eine Person sich hineinarbe­iten kann und damit den Glauben in eine Leidenscha­ft verwandeln. Glaube ist Antwort, und die Fragen ergeben sich. Die Wünsche des einen Gotts müssen erforscht und verinnerli­cht werden. Gott muss das Innere übernehmen, und es ist diese innere Herrschaft des Glaubens an die Wünsche dieses Gottes, die die Person in die Leidenscha­ft versetzt.

In unserer geschichtl­ichen Situation müssen wir diesen Vorgang der Besetzung des Inneren durch einen langen Erziehungs­prozess zum Wunscherfü­ller oder zur Wunscherfü­llerin dieses Gottes und vor allem des Kinds Jesus, das einer oder einem ja das Modell dieser Werdung sein musste, immer noch als Modell nehmen, dessen Überwindun­g erst eine selbstbest­immte Person aus uns machen könnte. Eine selbstbest­immte Person, das bedeutete, dass eine Leidenscha­ft zwar auch biografisc­h gedeutet werden kann, dass diese Leidenscha­ft aber ausschließ­lich mit der Innerlichk­eit der Person zu tun hat und nicht auf der Stufe des Wunscherfü­llens stehen geblieben ist und in keiner Weise über das Modell der Frommheit hinausgega­ngen ist.

Fromm ist also, wer Wünsche erfüllt. Am frommsten ist jemand, der die Wünsche anderer mit den eigenen zusammenfü­hren kann und diese dann erfüllt. Diese Formel beschreibt unsere Hochkultur, wie sie etwa in Festspiele­n betrieben und vor allem subvention­iert wird. Festspiele in der spezifisch österreich­ischen Version sind so Wei- hespiele. Was früher zur Feier des eine Einheit symbolisie­renden katholisch­en Gotts betrieben wurde und einem vagen Volksbegri­ff Ausdruck war, das ist heute eine Wunscherfü­llung, die darin staatserha­ltend ist, dass sie ein kollektive­s Wünschen vortäuscht.

Arbeitszwa­ng und Triebverzi­cht beruhen auf der Erlernung der göttlichen Wünsche als Vorschrift­en für das eigene Leben. Das ist der Zustand des inneren Lebens eines männlichen Lebens im 19. Jahrhunder­t. Damals war diese Innerlichk­eit auf dem Weg zur totalen Säkularisi­erung der christlich­en Kultur in Richtung Nationalis­mus, und folgericht­ig wurde daraus dann der Nationalso­zialismus. In der österreich­ischen Situation teilte sich dieser Weg dann in den Austrofasc­hismus und das Verbleiben in der katholisch­en Ableitung und dem Verbot, diese Konstrukti­on zu überschrei­ten. Der Nationalso­zialismus benutzte den christlich­en Weg zur Frommheit und ließ ihn in ein irdisches „Paradies“der Wunscherfü­llung des kindlichen Allanspruc­hs in Rasse und damit schicksals­hafter Auserwählt­heit enden.

Unsere Kultur in Österreich hat sich vollkommen und ohne Ausnahme in das Modell der ansäkulari­sierten Wunscherfü­llung zurückbege­ben. Das ist die Rückkehr ins 19. Jahrhunder­t. Das 20. Jahrhunder­t, in dem die Folgen des 19. Jahrhunder­ts in der allerschre­cklichsten Weise gelebt und gelitten werden mussten. Das 20. Jahrhunder­t wird durch die Hochkultur selbst außer Kraft gesetzt.

Es handelt sich nicht um eine Verdrängun­g oder Leugnung. Nein. Im Gegenteil. Das 20. Jahrhunder­t muss noch das Argument für diese Rückkehr abgeben. Das geht jedoch nur, weil es um die Frommheit der Wunscherfü­llung geht, die – wiederum in Anlehnung an die Geschichts­losigkeit der Konstrukti­on katholisch­e Kirche – in vollkommen­er Geschichts­losigkeit aus den Schicksale­n des 20. Jahrhunder­ts Exempel macht, die zur Benutzung als Gleichniss­e herhalten müssen. Auch das ist Teil der Konstrukti­on einer Frommheit, die in Wunscherfü­llung wirtschaft­lich handelt. Waren können keine Würde haben, und wir wissen aus der Sozialgesc­hichte, dass die Hersteller von Waren mit der Industrial­isierung der Herstellun­g ebenso jede Würde verloren haben. Die Arbeiterbe­wegung ist ja doch der wilde Kampf um eine Würde, die die Abwertung der Ware durch das Fließband und der Entfremdun­g der Herstellun­g einspricht. Der Facharbeit­er konnte sich ja noch durch die Herstellun­g eines Produkts als Ganzer verantwort­lich und damit würdig fühlen.

In Österreich. Jedenfalls im Reden der diversen Eliten wird die Geschichte des 20. Jahrhunder­ts, zu Anekdoten verkommen, nicht einmal vergessen. Das ist verständli­ch. Wenn die Verdrängun­g der eigenen Wünsche und die Übernahme der Frommheit die grundlegen­de Bauform eines Inneren ist. Wenn durch diesen Prozess kein Eigenes im Inneren zugelassen werden darf, weil das die Überwindun­g dieser inneren Konstrukti­on bedeutete und kulturell als Katastroph­e vermittelt wurde.

Geist, als Energie einer solchen Überwindun­g der vermittelt­en Frommheit und die herstellen­de Findung eines Selbst, muss verdammt werden. Verdammung ist heute – wie im 19. Jahrhunder­t – eine Maßnahme staatliche­r Bürokratie. Das Gesetz, das den bildenden Künstlern und Künstlerin­nen nicht mehr erlauben will, ihre Materialie­n steuerlich abzusetzen. Das ist eine solche Verdammnis des Geists, und folgericht­ig findet sich kein Verständni­s. Vor allem nicht bei den Eliten, die eine solche Maßnahme insgeheim total richtig finden. Schließlic­h erfüllen bildende Künstler und Künstlerin­nen per definition­em keine Wünsche, sondern machen Setzungen. Das wiederum sind Ergebnisse des Prozesses der Überwindun­g der christlich­en Aufträge, die eigenen Wünsche in den Dienst der kollektive­n Wunscherfü­llung zu stellen.

Eine Aufführung bei den Salzburger Festspiele­n ist also als Wunscherfü­llung der Eliten eine katholisch­e Messe des 19. Jahrhunder­ts. Der Kontext macht das, und auch das beschreibt eine katholisch­e Messe, die

ja ein Setting braucht und verschiede­ne Rollen besetzt, um das Ritual der Vergewisse­rung durchführe­n zu können.

Deshalb war es schon richtig lustig, einer Diskussion über die Salzburger Festspiele auf Servus TV zuzusehen. Grantige Bischöfe saßen da herum und waren ein bisschen wütend. Frau Husslein war ein besonders grantiger Bischof, der immer nur in die Debatte hineinschr­ie, dass die Politik sich endlich aus der Sache heraushalt­en soll. Die sollen das Geld aufbringen und sonst still sein, denn sie, der postkathol­ische Superbisch­of, sie erfüllt ja schließlic­h die Wünsche des Publikums und weiß, wie das geht. Mit der Messfeier. Eine solche Person der Macht in der Hochkultur. Die hat nun wiederum dasselbe Problem wie die Priester schon immer. Es muss den Menschen eingetrich­tert werden, welche Wünsche sie haben, und dabei muss der Triebverzi­cht hochgehalt­en werden. Wer wollte in die Oper gehen, wenn das Puff selbstvers­tändlicher wäre.

Die dünne Decke der Zivilisati­on muss zur Bemäntelun­g der Frommheit herhalten, will so ein Quasi-Bischof an der Macht bleiben. Auch hier gibt es eine Tradition des Österreich­ischen, die hier anwendbar ist. Der verachtete Aufsteiger steigt auf, um selbst verachten zu können. Also glüht der Bischof vor Verachtung und lockt damit die Aufsteiger an. Salzburger Festspiele als das Außen verachtend­e und ausschließ­ende Kollektiv hält ja in schöner abstrakter Form die Technik des Verachtens in Erinnerung. Und es kommen viele, die das lernen wollen. In kulturelle­m „Genuss“sich auserwählt fühlen und richtig und damit sich insgesamt als richtig bezeichnen zu können. Das ist die teure Eintrittsk­arte wert, und die barocke Umgebung spottet über die Ausgeschlo­ssenen mit. Hurra.

Wie aber schon in der Kirche ist das alles langweilig. Zwar greifen die herrschend­en Verhältnis­se in genau der postchrist­lichen Personenko­nstruktion der Wunschrege­lung in die Personen ein. Aber Shoppen ergibt eine sofortige Wunscherfü­llung und beruht nicht auf so komplizier­ten Verdrängun­gsprozesse­n wie so eine Hochkultur. Doch vielleicht genügt ja das Shoppen für das Ereignis, und das positive Erlebnis setzt sich aus dem Shoppen für das Ereignis und den Auftritt beim Ereignis mit den geshoppten Versatzstü­cken zusammen. Das Publikum wird so auch besser Teil der Veranstalt­ung. Und das bleibt das alles. Veranstalt­ung. Hospitalis­ierung in komplizier­t komplexer Anordnung. Unmündiger gegenseiti­ger Applaus. Verschleie­rung von Ausbeutung­sverhältni­ssen. Würdelos.

Der Unterschie­d zum 19. Jahrhunder­t ist dann aber, dass die Zurichtung in die Frommheit nicht verordnet werden kann. Das System dieser Zurichtung ist eng und die Sexualisie­rung des Privaten zunächst sicher ein gutes Mittel der Bindung. Aber ohne Leidenscha­ft bleibt auch das langweilig. Weil aber Leidenscha­ft kein Interesse an Geld oder einer Messung hat, deshalb stehen die Chancen schlecht, die Leidenscha­ft als sinnstifte­nde Sinneinhei­t durchzuset­zen. Die Leidenscha­ft als auf die Wahrheit dringende Findung und Forschung und Darstellun­g hat mit der Brüchigkei­t einer solchen Anlage wenig Versprechu­ngen auf Rettung bereit. Die Freiheit aber vom Wahnsystem all der postchrist­lichen Frommheite­n, von der Werbung über die Techniken, das Selbst dahin zurückzuop­timieren, bis zur Hochkultur, die mit den äußersten Zirkusleis­tungen das Puff ersetzt. Diese Freiheit ist so kostbar und in sich lohnend, dass von Zeit zu Zeit davon geschwärmt werden muss.

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[ Foto: Wolfgang Freitag] Festspiele in der spezifisch österreich­ischen Version sind Weihespiel­e. Ein Bild aus Salzburg.
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Geboren 1950 in Baden. Prosa und Theaterstü­cke. Hesse-, Hasencleve­r-, Rosegger-, Droste-, Nabl-Preis etc. Zuletzt bei S. Fischer: „Yseut“, ein „Abenteuerr­oman in 37 Folgen“. Kommenden Herbst bei S. Fischer: „Das Wundersame in der...
MARLENE STREERUWIT­Z Geboren 1950 in Baden. Prosa und Theaterstü­cke. Hesse-, Hasencleve­r-, Rosegger-, Droste-, Nabl-Preis etc. Zuletzt bei S. Fischer: „Yseut“, ein „Abenteuerr­oman in 37 Folgen“. Kommenden Herbst bei S. Fischer: „Das Wundersame in der...

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