Drama um Obamacare am Kapitol
USA. Präsident Trump und die Republikaner wollten die Aufhebung der Gesundheitsreform im Senat durchpeitschen. Sie rangen um eine Mehrheit – und zählten auf die Stimme John McCains.
Wien/Washington. In Washington werden in diesen Hochsommertagen Erinnerungen an Edward Kennedy wach, den „Löwen“des Senats und Bruder John F. Kennedys, der vor bald acht Jahren einem Hirntumor erlag. Obamacare, die Gesundheitsreform Barack Obamas, erlebte der legendäre demokratische Senator nicht mehr – er starb sieben Monate vor dem Beschluss des Gesetzes, für das er sich zeit seines politischen Lebens so vehement eingesetzt hatte.
In der Nacht zum Mittwoch wollte John McCain, sein Freund und politischer Rivale, auf das Kapitol zurückkehren, um mitzuhelfen, das Ende von Obamcare zu besiegeln. Aufmunterungsrufe und Ovationen waren dem 80-jährigen republikanischen Veteranen aus Arizona sicher, der vor zehn Tagen dieselbe niederschmetternde Diagnose erhalten hatte wie Teddy Kennedy und sich vor einer Woche einer Krebsoperation unterzog.
Die Politik ist sein Lebenselixier, und schon kurz nach dem Eingriff in der Mayo-Klinik in Phoenix diskutierte er mit einem Freund, dem Senator Lindsey Graham, am Telefon bereits wieder über drängende außenpolitische Fragen und die Chancen für eine Aufhebung der Gesundheitsreform Obamas und den Spalt, der durch die Reihen der Republikaner geht; zwischen dem moderaten Flügel, der den Gesetzesentwurf als zu radikal ablehnt, und den Hardcore-Konservativen, denen die Einsparungen nicht weit genug gehen.
Skeptiker in „Grand Old Party“
John McCains Stimme ist möglicherweise entscheidend für einen Durchbruch im Senat. Die Republikaner verfügen in der zweiten Parlamentskammer mit 52 gegenüber 48 Sitzen aufseiten der Demokraten ohnehin nur über eine sehr knappe Mehrheit. Unter ihren Abgeordneten lehnen mehrere die ersatzlose Abschaffung von Obamacare weiterhin strikt ab – trotz der Pressionen und der öffentlichen Drohungen des Präsidenten.
„Susan Collins kommt ja aus Maine“, sagte Donald Trump in Anspielung auf den liberalen Neuenglandstaat über die entschie- denste Verfechterin von Obamacare unter den Republikanern. Trump nannte aber auch andere Skeptiker in der „Grand Old Party“beim Namen, um den Druck auf sie zu erhöhen. Auch Vizepräsident Mike Pence redete den Senatoren ins Gewissen. Die zeigten sich indes nur mäßig beeindruckt. Im Fall eines Patts würde die Stimme Pences den Ausschlag geben.
Der Präsident strich den Abgeordneten einstweilen sogar die Sommerpause, um so doch noch einen Erfolg zu erzwingen. Sieben Jahre hatten die Republikaner für eine Aufhebung der Gesundheitsreform gekämpft, im Wahlkampf war es ihr zentrales Versprechen. Einen überzeugenden Gegenentwurf haben sie indes nie vorgelegt.
Monatelang wogt die Debatte im Kongress, das Drama um Oba- macare, nun schon hin und her. Im Repräsentantenhaus errangen die Republikaner im zweiten Anlauf schließlich doch noch eine Mehrheit, was sie im Weißen Haus standesgemäß feierten.
Sessions im Visier Trumps
Im Senat ist die Mehrheitsfindung komplizierter. Wegen der Operation McCains hatte Mitch McConnell, der Fraktionschef der Republikaner, das Votum in der Vorwoche verschoben. Bis zuletzt herrschte aber Unklarheit über das Prozedere. Zunächst wollten die Senatoren nur debattieren, ob sie überhaupt eine Abstimmung ansetzen sollten – und danach, welche Gesetzesvorlage zur Abstimmung kommen sollte. Ein Minimalkompromiss sah eine Abschaffung vor, die erst in zwei Jahren in Kraft tre- ten sollte. Dagegen sperrten sich Collins und Konsorten.
Der Kongress war am Dienstag zwar der Hauptschauplatz, doch die Nebengeräusche aus dem Weißen Haus übertönten zunächst das Gemauschel hinter den Kulissen auf dem Kapitol. Die Aussagen des Trump-Schwiegersohns Jared Kushner über dessen RusslandConnection vor einem Untersuchungsausschuss des Senats blieben weiterhin Gesprächsthema in Washington. Noch brisanter waren freilich Gerüchte über eine Ablöse des Justizministers, Jeff Sessions, die der Präsident mit mehreren Tweets über den „angeschlagenen“Ressortchef befeuerte. Seine Tage scheinen gezählt. Als Ersatzkandidaten, hieß es, stünden TrumpFreund „Rudy“Giuliani und Senator Ted Cruz bereit.