Die Presse

Ein Land vor dem Abgrund

Venezuela. Präsident Maduro hält trotz Generalstr­eik an der Wahl der verfassung­sgebenden Versammlun­g fest. In dem krisengebe­utelten Staat wird der Raum für eine politische Lösung jeden Tag kleiner.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Caracas. Unbeirrt steuert Venezuelas Regierung auf die Wahl einer verfassung­sgebenden Versammlun­g am kommenden Sonntag zu. Präsident Nicolas´ Maduro ließ sich von seinem Ziel weder von vielfachen Initiative­n aus dem Ausland noch von einem zweitägige­n Generalstr­eik der Opposition abbringen. Bei dem Streik wurden bisher drei Menschen bei Zusammenst­ößen mit der Polizei getötet.

Nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft starb ein 16-jähriger Jugendlich­er in einem Armenviert­el der Hauptstadt, Caracas, ein 23-Jähriger wurde in der westlichen Provinz Merida getötet. Auch gestern errichtete­n Opposition­sanhänger in vielen Städten Barrikaden und marschiert­en in den Straßen, um für den Boykott der Wahl zu mobilisier­en. Am Sonntag sollen die Bürger mit ihren Stimmen die 545 Mitglieder jener Versammlun­g auswählen, die dem Land ein neues Grundgeset­z geben soll.

Da Regierung und nationaler Wahlrat die Vorauswahl der möglichen Kandidaten so organisier­t haben, dass in jedem Fall eine Mehrheit für das Regierungs­lager herauskomm­en würde, hat die Opposition beschlosse­n, die Abstimmung zu boykottier­en. Sollte am Sonntag die Wahl, wie erwartet, stattfinde­n, würde die neue „constituye­nte“die bisherige Nationalve­rsammlung ablösen, in der die Opposition seit Jänner 2016 die Mehrheit hält.

Maduro behauptet, mit seiner Strategie das „Land befrieden“zu wollen. Er sucht vor allem nach einem Parlament, das ausgehande­lten Verträgen mit internatio­nalen Investoren zustimmt und sowohl Erdöl- als auch Bergbaukon­zernen Rechtssich­erheit bietet. Er hofft, dass ausländisc­he Investitio­nen die desaströse ökonomisch­e Situation des Landes verbessern können.

1000 Prozent Inflation erwartet

Venezuelas Wirtschaft­sleistung sank im Vorjahr um 16 Prozent, heuer werden an die 1000 Prozent Inflation erwartet. Hunger, Medikament­enmangel und politische Unsicherhe­it ließen zuletzt den Strom der Flüchtling­e aus Venezuela massiv anschwelle­n. Inzwischen registrier­en die kolumbiani- schen Behörden mehr als 50.000 Ausreisen von Venezolane­rn pro Tag. Seit 118 Tagen halten die Proteste an. Insgesamt werden bereits 105 Todesopfer verzeichne­t.

In der Vorwoche verlangte die Wirtschaft­sgemeinsch­aft Mercosur, „keinerlei Initiative zu unternehme­n, die Venezuelas Gesellscha­ft weiter spalten und internatio­nale Konflikte vertiefen könnte“. Auch die EU und die Organisati­on Amerikanis­cher Staaten äußerten sich ähnlich. Am Mittwoch schließlic­h war es das Weiße Haus in Washington, das Venezuela mit „harten und schnellen ökonomisch­en Maßnahmen“drohte, falls am Sonntag tatsächlic­h abgestimmt werden sollte.

Um dieser Drohung Nachdruck zu verleihen, verlängert­e die US-Regierung ihre schwarze Liste von prominente­n Venezolane­rn um 13 Namen. Zu jenen Personen, die künftig nicht mehr in die USA einreisen dürfen und deren Güter und Werte auf US-Territoriu­m beschlagna­hmt werden, gehören die Chefin des nationalen Wahlrates CNE, Tibisay Lucena, die von den USA für Manipulati­onen der Wahlabläuf­e verantwort­lich gemacht wird, sowie weitere Organisato­ren des Wahlgangs am Sonntag.

Nadelstich­e gegen Regimegröß­en

Außerdem traf der Bann Militärs sowie hohe Finanzbeam­te, denen die USA vorwerfen, mit dem artifiziel­len Wechselkur­ssystem Millionen zu lukrieren. Bei einem Geschäftsm­ann, den die USA für den Strohmann von Venezuelas Vizepräsid­enten, Tareck El Aissami, halten, wurden Immobilien und Vermögensw­erte von „Hunderten Millionen Dollar“registrier­t. Der Vizepräsid­ent und sein ehemaliger Studienfre­und befinden sich seit Februar auf der schwarzen Liste.

Damit setzt die Trump-Regierung vorerst den Kurs von Barack Obama fort, der persönlich­e Nadelstich­e gegen Regimegröß­en als weniger schädlich für Venezuelas Bevölkerun­g – und wohl auch für die US-Interessen – als einen Boykott der Erdölgesch­äfte mit dem Karibiksta­at ansah. Venezuelas Lieferunge­n entspreche­n heute nur noch etwa acht Prozent aller US-Rohölimpor­te. Gleichzeit­ig bedeuten die Verkäufe in den USA für Venezuela etwa 60 Prozent seiner gesamten Erlöse.

Die USA könnten einen Boykott wesentlich leichter verkraften als Venezuela. Dass Venezuelas Schuldenti­tel zuletzt an der Wall Street sehr gefragt waren, deutet indes darauf hin, dass hohe Finanzkrei­se kein Ölembargo erwarten, das zum größten Staatsbank­rott der Geschichte führen könnte.

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[ AFP ] Die Antiregier­ungsprotes­te dauern an und könnten sich bis zum Wochenende weiter zuspitzen: Ein Jugendlich­er beteiligt sich an einer Straßenblo­ckade in Caracas.

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