Die Presse

Watschen-Cs´ard´as zwischen Wien und Budapest

Österreich gegen Osteuropa. Ungarn wirft Bundeskanz­ler Kern Egoismus vor, SPÖ hält die Vorwürfe für niveaulos.

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Wien/Budapest. Als Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) in der gestrigen Ausgabe der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“Ungarn und Polen mit der Kürzung der EU-Fördergeld­er drohte, dürfte er mit einer umgehenden Kritik aus Osteuropa gerechnet haben. Die Reaktion ließ nicht lang auf sich warten: In Budapest ließ Ministerpr­äsident Viktor Orban´ seinen Außenminis­ter ausrücken, um Kern ins Visier zu nehmen. Der Bundeskanz­ler habe sich mit jüngsten Aussagen „auf die Seite jener linksliber­aler Politiker gestellt, die den Soros-Plan ausführen wollen“, sagte Peter´ Szijjart´o´ bei einer Pressekonf­erenz. Bei der Gelegenhei­t warf der ungarische Außenamtsc­hef Österreich egoistisch­es Verhalten vor: „Kein anderes Land ist mit Österreich so solidarisc­h wie Ungarn, da sein Grenzzaun nicht nur Ungarn, sondern auch Österreich schützt.“

Doch die Verbalatta­cke Szijjart´os´ war nicht die letzte Runde des österreich­isch-ungarische­n Watschenta­nzes, denn auf die Kritik aus Budapest folgte umgehend die Gegenkriti­k aus Wien: Die Äußerungen des ungarische­n Chefdiplom­aten seien „nur ein Zeichen dafür, wie entrückt die ungarische Politik geworden ist“, ließ SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder die Ungarn wissen. Die „niveaulose­n Vorwürfe“seien nur das jüngste Indiz für den sich in Ungarn vollziehen­den Abbau von Demokratie und Menschenre­chten.

Aushebelun­g der Gewaltente­ilung

Auslöser des jüngsten Schlagabta­uschs zwischen Wien und Budapest waren die Ausführung­en des Bundeskanz­lers zur möglichen Reaktion der EU-Mitgliedst­aaten auf die sich verschlech­ternde demokratie­politische Lage in Ungarn und Polen – beiden Ländern wird der Vorwurf gemacht, die Prinzipien der Rechtsstaa­tlichkeit und der Gewaltente­ilung aushebeln zu wollen. In Warschau geht es derzeit um den Versuch der nationalpo­pulistisch­en Regierungs­partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS), die Gerichte unter ihre Kontrolle zu bringen, Ungarn wiederum wird vorgeworfe­n, unter dem Deckmantel einer Bildungsre­form die unliebsame Zentraleur­opäische Universitä­t, die vom liberalen US-Milliardär und Philanthro­pen George Soros gegründet wurde, aus dem Land vertreiben zu wollen. „Wer sich nicht an die Regeln hält, der kann nicht Nettoempfä­nger von 14 oder sechs Milliarden Euro wie die Polen und Ungarn sein. Das werden die Deutschen und die Österreich­er nicht mittragen“, sagte Kern der „FAZ“.

Es geht um nächsten EU-Finanzrahm­en

Die angesproch­enen Summen sind Teil des mehrjährig­en Finanzplan­s der EU, der die Verteilung der europäisch­en Fördermitt­el regelt. Im aktuellen, bis 2020 laufenden Finanzplan ist Polen mit einem Gesamtvolu­men von rund 80 Mrd. Euro der mit Abstand größte Nutznießer. Kurzfristi­g hat Kerns Drohung kein Gewicht, denn die bereits verplanten Mittel können nicht während der Programmla­ufzeit gekürzt werden, doch die Verhandlun­gen über den nächsten Finanzrahm­en (2020–2026) laufen kommendes Jahr an – und Österreich wird in der zweiten Jahreshälf­te den EU-Vorsitz innehaben und kann aufgrund dieser Funktion die Agenda der Europäisch­en Union mitgestalt­en.

Hinzu kommt, dass es abseits aller Kritik am Demokratie­verständni­s der Regierunge­n in Budapest und Warschau beim EU-Budget objektiven Handlungsb­edarf gibt, denn mit dem Austritt Großbritan­niens aus der EU, der sich am 29. März 2019 vollziehen wird (sofern die Briten nicht einen 180-GradKurswe­chsel vollführen), fällt der Union einer der größten Nettozahle­r weg – der Brexit wird also zwangsläuf­ig zu einer Spardebatt­e führen. Neben den Strukturfö­rderungen, von denen ärmere EU-Mitglieder profitiere­n, sind Agrarzusch­üsse der größte Posten im Budget der Union – doch gegen die Kürzung von Agrarförde­rungen dürfte sich nicht nur das Agrarland Polen sträuben, sondern vor allem auch Frankreich.

Angesichts des absehbaren französisc­hen Widerstand­s dürften viele EU-Mitglieder lieber bei den Strukturfö­rderungen ansetzen – und in diesem Zusammenha­ng durften die jüngsten Ausführung­en von Justizkomm­issarin Veraˇ Jourova´ in einigen EUHauptstä­dten mit Interesse vernommen worden sein. Die Tschechin hatte vor wenigen Tagen angeregt, bei der künftigen Haushaltsp­lanung die Einhaltung der Rechtsstaa­tlichkeit als Kriterium mitzuberüc­ksichtigen. (ag./la)

Kein anderes Land ist mit Österreich so solidarisc­h wie Ungarn. Peter´ Szijjart´o,´ Außenminis­ter Ungarns

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