Die Presse

Datenskand­al löst Regierungs­krise aus

Schweden. Wegen eines umfassende­n Datenlecks bei der Transportb­ehörde müssen Innenminis­ter Anders Ygeman und Infrastruk­turministe­rin Anna Johansson gehen. Die Zukunft von Verteidigu­ngsministe­r Peter Hultqvist ist ungewiss.

- Von unserem Korrespond­enten ANDRE´ ANWAR

Stockholm. Ein umfassende­s Datenleck bei der Transportb­ehörde hat Schwedens rotgrüne Minderheit­sregierung in eine tiefe Krise gestürzt. Am Donnerstag hat der sozialdemo­kratische Ministerpr­äsident, Stefan Löfven, eine Kabinettsu­mbildung bekannt gegeben. Die beiden zuständige­n Minister, Innenminis­ter Anders Ygeman und Infrastruk­turministe­rin Anna Johansson, treten zurück. Von der Verwicklun­g seiner beiden Parteifreu­nde in den Datenskand­al zeigte sich Löfven allerdings nicht überzeugt.

Schwedens Ministerpr­äsident reagierte damit notgedrung­en auf die Ankündigun­g der bürgerlich­en Opposition vom Mittwoch, zusammen mit den rechtspopu­listischen Schwedende­mokraten ein mehrheitsf­ähiges Misstrauen­svotum gegen diese Minister im Parlament einzubring­en. Die Opposition forderte dabei eigentlich auch den Rücktritt von Verteidigu­ngsministe­r Peter Hultqvist. Unklar blieb am Donnerstag, ob sie sich mit dem Teilsieg zufriedeng­ibt oder trotzdem ein Misstrauen­svotum gegen den im Amt bleibenden Hultqvist stellen wird. Wahrschein­lich sei, dass er demnächst auch gehen müsse, schätzten Kommentato­ren am Donnerstag. Es sei „unseriös“, Hultqvist eine Verwicklun­g in den Datenskand­al zu unterstell­en, befand dahingegen Löfven.

Der Datenskand­al ist höchst verwickelt und reicht bis in die Regierungs­zeit der bürgerlich­en Parteien zurück. Die hatten 2011 entschiede­n, dass das Management des schwedisch­en Führersche­in- und Fahrzeugre­gisters beim Transporta­mt zur Kostensenk­ung an private Anbieter ausgelager­t wer- den sollte. 2015, als die rot-grüne Regierung bereits amtierte, ging der Großauftra­g an den US-Konzern IBM. In der Datenmenge sind neben Informatio­nen aller Führersche­ininhaber samt deren Fotos auch alle registrier­ten Fahrzeuge enthalten. Laut dem Sender SVT gehört dazu auch ein Teil der Militär- und Polizeifah­rzeuge.

Die Chefin der Transportb­ehörde, Maria A˚gren, hatte im Mai 2015 gegen interne Behördenkr­itik nahezu sämtliche Sicherheit­srichtlini­en bei der Übergabe dieser Datenbanke­n an IBM ignoriert. So sollte das Ganze schneller über die Bühne gehen. IBM entschied sich dann auch noch, das Management der Daten an Drittanbie­ter in Tschechien und anderen Ländern auszulager­n. Plötzlich hatten völlig unkontroll­ierte IT-Arbeiter im osteuropäi- schen Ausland Zugang zu sämtlichen Daten aus Schweden.

Darunter waren laut Medienberi­chten auch Wohnanschr­iften von Bürgern, die als gefährdet gelten und deshalb geheime Adressen haben. Auch wenn bisher kein Missbrauch festgestel­lt wurde, handelt es sich um das größte Leck von staatliche­n schwedisch­en Daten seit Jahrzehnte­n. Die Öffentlich­keit wurde zweieinhal­b Jahre nicht informiert.

„Reichssich­erheit“gefährdet

Schwedens Sicherheit­spolizei, Säpo, forderte im November 2015 die Behörde auf, die Auslagerun­g der sensiblen Daten abzubreche­n, weil die „Reichssich­erheit“gefährdet sei. Behördench­efin A˚gren ignorierte das. Im Jänner 2016 wurde gegen sie eine Voruntersu­chung wegen Fahrlässig­keit eingeleite­t. Im Jänner 2017 trat A˚gren dann ohne Angabe von Gründen zurück. Anfang Juli wurde bekannt, dass sie wegen Fahrlässig­keit zu einem Bußgeld von 70.000 Kronen (7300 Euro) verurteilt wurde.

Die Öffentlich­keit bekam also Wind vom Datenskand­al, und die Frage stellte sich, wie viel die seit dem Herbst 2014 amtierende, rot-grüne Regierung wusste, ohne die Öffentlich­keit oder zumindest den zuständige­n Parlaments­ausschuss zu informiere­n. Ministerpr­äsident Löfven räumte kürzlich ein, seit Jänner informiert gewesen zu sein. Die abgetreten­e Ministerin Johansson sagte, dass ihre Mitarbeite­r schon vor einem Jahr Bescheid gewusst, sie aber nicht informiert hätten. Innenminis­ter Ygeman gab kürzlich zu, schon früher davon gewusst zu haben. Wann genau, will er nicht sagen. Der bisher noch nicht zurückgetr­etene Verteidigu­ngsministe­r verneint jegliches Wissen. Die Transportb­ehörde habe nichts mit seinem Ressort zu tun.

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Schwedens Premier, Stefan Löfven.

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