Kleines Land mit großem Namen
Mazedonien. Heiß umfehdet, wild umstritten: Die Geschichte eines Balkanlandes zwischen antiken Griechen, Osmanen, der „Bulgarischen Wiedergeburt“und (Ex-)Jugoslawien.
Ein bizarrer Namensstreit mit Griechenland, ethnische Spannungen zwischen Slawen und Albanern, ein Dauerkonflikt zwischen Konservativen und Sozialdemokraten. Und eine wechselvolle Vergangenheit, die nicht zuletzt auch als Erklärung für diese Verwerfungen gelten kann. Mazedonien, zwei Millionen Einwohner, flächenmäßig ein knappes Drittel Österreichs – ein kleines Land mit einem großen Namen. Einem zu großen möglicherweise.
Makedonien ist jedem Schulkind ein Begriff: als antikes Reich, das Alexander der Großen bis nach Indien ausdehnte. Dieser blieb dann auch die (unerreichte) Benchmark für viele spätere Machthaber auf dem Balkan. Den Grundstein hatte sein Vater, Philipp II., gelegt. Da fängt der Streit schon an: War das Makedonien Philipps II. nun griechisch oder nicht? Einen griechischen Staat gab es damals nicht. Makedonien als Regionalmacht im nördlichen Teil des heutigen Griechenland mischte jedoch bei den innergriechischen Auseinandersetzungen mit, ging ein Bündnis mit Sparta gegen Athen ein und strebte dann unter Philipp II. selbst nach Hegemonie. Nach dem Sieg über die Athener bei Chaironeia war ein entscheidender Schritt dazu getan, der nachhaltigere folgte danach mit dem Korinthischen Bund: Damit gelang es Philipp II., die zerstrittenen griechischen Stadtstaaten zu einen.
Nach dem Zerfall Makedoniens in den Diadochenkämpfen nach Alexanders Tod fiel das Kernland zunächst an Rom. Dann an Byzanz. Zwischenzeitlich an das Bulgarische Reich, dessen politisches, vor allem religiöses Zentrum das mazedonische Ohrid eine Zeit lang war. Und später an die Osmanen. Diese herrschten hier von 1371 bis 1912.
Der Name Mazedonien geriet für längere Zeit in Vergessenheit, die Gegend war etwa im Mittelalter unter Pelagonien bekannt. Ab dem siebenten Jahrhundert hatten sich dort Slawen angesiedelt, die vorherrschende Religion wurde die christlich-orthodoxe.
Großbulgarien und Atatürk
Im 19. Jahrhundert war Mazedonien – der Name kam nun wieder auf – dann eines der Zentren der „Bulgarischen Wiedergeburt“deren Ziel es war, das osmanische Joch abzuschütteln. Ethnisch war Mazedonien damals bulgarisch, serbisch und griechisch. Nach dem Sieg der Russen über die Osmanen 1878 sollte ein Großbulgarischer Staat unter Einschluss Mazedoniens geschaffen werden. Doch die Briten, Franzosen, Österreicher und Deutschen verhinderten das – sie fürchteten einen zu großen russischen Einfluss. Bulgarien wurde ein eigenes Fürstentum, Mazedonien blieb Teil des Osmanischen Reichs. Auch Mustafa Kemal, später Atatürk genannt, war in Mazedonien aufgewachsen. Er verbrachte Kindheit und Jugend in Saloniki und besuchte die höhere Militärschule in Bitola (damals Manastir).
Die Bulgaren gründeten dann in Saloniki ein bulgarisch-mazedonisches Revolutionskomitee, das später den Namen Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation (VMRO) bekam. Berühmt wurde der Ilin- denaufstand am St.-Elias-Tag des Jahres 1903, der letztlich scheiterte. Die heutige konservative Partei Mazedoniens trägt übrigens noch immer diesen Namen: VMRODPMNE (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für die Mazedonische Nationale Einheit).
1912 kam es zum Ersten Balkankrieg. Eine Allianz aus Bulgaren, Griechen, Serben, Montenegrinern vertrieb die Osmanen. Doch dann konnten sich diese nicht über die eroberten Gebiete einigen. „Das mazedonische Problem erwies sich wiederum als Angelpunkt“, so der Historiker Edgar Hösch. Was 1913 zum Zweiten Balkankrieg geführt hat. An dessen Ende dann jene Grenzen gezogen wurden, die mehr oder weniger noch heute bestehen: Ägais-Mazedonien blieb bei Griechenland, Vardar-Mazedonien kam zu Serbien, Bulgarien blieb nur das kleine Pirin-Mazedonien. Die mazedonischen Bulgaren emigrierten nach Bulgarien.
Was wir heute unter dem Staat Mazedonien verstehen, ist also im Wesentlichen Vardar-Mazedonien. Dieses war nach der Gründung des königlichen Jugoslawiens 1918 eine serbische Provinz, die VMRO war weiter im Untergrund tätig und 1934 am Attentat auf König Alexander I. beteiligt. Im kommunistischen Jugoslawien wurde Mazedonien eine eigenständige Teilrepublik.
Nach einem Referendum erklärte Mazedonien 1991 seine Unabhängigkeit. Das erste Land, das den neuen Staat anerkannte, war Bulgarien. Doch nun machten die Griechen Schwierigkeiten. Sie stießen sich am Namen Mazedonien, den sie für sich beanspruchten, an der Umbenennung des Flughafens in Skopje in Alexander-der-GroßeAirport und am „Stern von Vergina“in der neuen Nationalflagge, einem Symbol der Königsfamilie Philipps II. Bei der Flagge gab der neue mazedonische Staat dann nach. Beim Namen musste man den Kompromiss der Former Yugoslav Republic of Macedonia eingehen. Griechenland blockierte Mazedonien, wo es nur konnte. Aber auch Mazedonien provozierte, gab Hunderte Millionen Euro für neoklassizistische Neubauten in Skopje aus und stellte demonstrativ eine riesige Statue von Alexander dem Großen ins Zentrum der Hauptstadt.
Slawen und Albaner
Diesen transnationalen Spannungen standen und stehen innere gegenüber: zwischen (orthodoxen) Slawen und (mehrheitlich muslimischen) Albanern. Im 19. Jahrhundert war die Trennlinie auch innerhalb der Orthodoxie verlaufen: zwischen jenen, die sich zur griechisch-orthodoxen Kirche unter dem Patriarchen von Konstantinopel bekannten, und jenen, die dem Exarchat der bulgarisch-orthodoxen Kirche beigetreten waren. Vor allem auf Schulebene wurde diese Art von Kulturkampf zwischen Griechen, Serben und Bulgaren dann ausgetragen.
Politisch stehen sich heute zwei Lager unversöhnlich gegenüber: die Konservativen von der VMRO-DPMNE und die aus den Kommunisten hervorgegangenen Sozialdemokraten, die beide abwechselnd Koalitionen mit Parteien der Albaner eingehen.
2011 boykottierten die Sozialdemokraten das Parlament, weil sie dem konservativen Ministerpräsidenten Korruption und Medienwillkür vorwarfen. Heuer war es der konservative Präsident, der die Sozialdemokraten am Regieren zu hindern versuchte. Hauptkonfliktpunkt war der Umgang mit den Albanern. Im Frühjahr stürmten Nationalisten sogar das Parlament und prügelten auf linke Abgeordnete ein. Seit 31. Mai regiert nun ein sozialdemokratischer Premier.