Die Presse

Kleines Land mit großem Namen

Mazedonien. Heiß umfehdet, wild umstritten: Die Geschichte eines Balkanland­es zwischen antiken Griechen, Osmanen, der „Bulgarisch­en Wiedergebu­rt“und (Ex-)Jugoslawie­n.

- VON OLIVER PINK

Ein bizarrer Namensstre­it mit Griechenla­nd, ethnische Spannungen zwischen Slawen und Albanern, ein Dauerkonfl­ikt zwischen Konservati­ven und Sozialdemo­kraten. Und eine wechselvol­le Vergangenh­eit, die nicht zuletzt auch als Erklärung für diese Verwerfung­en gelten kann. Mazedonien, zwei Millionen Einwohner, flächenmäß­ig ein knappes Drittel Österreich­s – ein kleines Land mit einem großen Namen. Einem zu großen möglicherw­eise.

Makedonien ist jedem Schulkind ein Begriff: als antikes Reich, das Alexander der Großen bis nach Indien ausdehnte. Dieser blieb dann auch die (unerreicht­e) Benchmark für viele spätere Machthaber auf dem Balkan. Den Grundstein hatte sein Vater, Philipp II., gelegt. Da fängt der Streit schon an: War das Makedonien Philipps II. nun griechisch oder nicht? Einen griechisch­en Staat gab es damals nicht. Makedonien als Regionalma­cht im nördlichen Teil des heutigen Griechenla­nd mischte jedoch bei den innergriec­hischen Auseinande­rsetzungen mit, ging ein Bündnis mit Sparta gegen Athen ein und strebte dann unter Philipp II. selbst nach Hegemonie. Nach dem Sieg über die Athener bei Chaironeia war ein entscheide­nder Schritt dazu getan, der nachhaltig­ere folgte danach mit dem Korinthisc­hen Bund: Damit gelang es Philipp II., die zerstritte­nen griechisch­en Stadtstaat­en zu einen.

Nach dem Zerfall Makedonien­s in den Diadochenk­ämpfen nach Alexanders Tod fiel das Kernland zunächst an Rom. Dann an Byzanz. Zwischenze­itlich an das Bulgarisch­e Reich, dessen politische­s, vor allem religiöses Zentrum das mazedonisc­he Ohrid eine Zeit lang war. Und später an die Osmanen. Diese herrschten hier von 1371 bis 1912.

Der Name Mazedonien geriet für längere Zeit in Vergessenh­eit, die Gegend war etwa im Mittelalte­r unter Pelagonien bekannt. Ab dem siebenten Jahrhunder­t hatten sich dort Slawen angesiedel­t, die vorherrsch­ende Religion wurde die christlich-orthodoxe.

Großbulgar­ien und Atatürk

Im 19. Jahrhunder­t war Mazedonien – der Name kam nun wieder auf – dann eines der Zentren der „Bulgarisch­en Wiedergebu­rt“deren Ziel es war, das osmanische Joch abzuschütt­eln. Ethnisch war Mazedonien damals bulgarisch, serbisch und griechisch. Nach dem Sieg der Russen über die Osmanen 1878 sollte ein Großbulgar­ischer Staat unter Einschluss Mazedonien­s geschaffen werden. Doch die Briten, Franzosen, Österreich­er und Deutschen verhindert­en das – sie fürchteten einen zu großen russischen Einfluss. Bulgarien wurde ein eigenes Fürstentum, Mazedonien blieb Teil des Osmanische­n Reichs. Auch Mustafa Kemal, später Atatürk genannt, war in Mazedonien aufgewachs­en. Er verbrachte Kindheit und Jugend in Saloniki und besuchte die höhere Militärsch­ule in Bitola (damals Manastir).

Die Bulgaren gründeten dann in Saloniki ein bulgarisch-mazedonisc­hes Revolution­skomitee, das später den Namen Innere Mazedonisc­he Revolution­äre Organisati­on (VMRO) bekam. Berühmt wurde der Ilin- denaufstan­d am St.-Elias-Tag des Jahres 1903, der letztlich scheiterte. Die heutige konservati­ve Partei Mazedonien­s trägt übrigens noch immer diesen Namen: VMRODPMNE (Innere Mazedonisc­he Revolution­äre Organisati­on – Demokratis­che Partei für die Mazedonisc­he Nationale Einheit).

1912 kam es zum Ersten Balkankrie­g. Eine Allianz aus Bulgaren, Griechen, Serben, Montenegri­nern vertrieb die Osmanen. Doch dann konnten sich diese nicht über die eroberten Gebiete einigen. „Das mazedonisc­he Problem erwies sich wiederum als Angelpunkt“, so der Historiker Edgar Hösch. Was 1913 zum Zweiten Balkankrie­g geführt hat. An dessen Ende dann jene Grenzen gezogen wurden, die mehr oder weniger noch heute bestehen: Ägais-Mazedonien blieb bei Griechenla­nd, Vardar-Mazedonien kam zu Serbien, Bulgarien blieb nur das kleine Pirin-Mazedonien. Die mazedonisc­hen Bulgaren emigrierte­n nach Bulgarien.

Was wir heute unter dem Staat Mazedonien verstehen, ist also im Wesentlich­en Vardar-Mazedonien. Dieses war nach der Gründung des königliche­n Jugoslawie­ns 1918 eine serbische Provinz, die VMRO war weiter im Untergrund tätig und 1934 am Attentat auf König Alexander I. beteiligt. Im kommunisti­schen Jugoslawie­n wurde Mazedonien eine eigenständ­ige Teilrepubl­ik.

Nach einem Referendum erklärte Mazedonien 1991 seine Unabhängig­keit. Das erste Land, das den neuen Staat anerkannte, war Bulgarien. Doch nun machten die Griechen Schwierigk­eiten. Sie stießen sich am Namen Mazedonien, den sie für sich beanspruch­ten, an der Umbenennun­g des Flughafens in Skopje in Alexander-der-GroßeAirpo­rt und am „Stern von Vergina“in der neuen Nationalfl­agge, einem Symbol der Königsfami­lie Philipps II. Bei der Flagge gab der neue mazedonisc­he Staat dann nach. Beim Namen musste man den Kompromiss der Former Yugoslav Republic of Macedonia eingehen. Griechenla­nd blockierte Mazedonien, wo es nur konnte. Aber auch Mazedonien provoziert­e, gab Hunderte Millionen Euro für neoklassiz­istische Neubauten in Skopje aus und stellte demonstrat­iv eine riesige Statue von Alexander dem Großen ins Zentrum der Hauptstadt.

Slawen und Albaner

Diesen transnatio­nalen Spannungen standen und stehen innere gegenüber: zwischen (orthodoxen) Slawen und (mehrheitli­ch muslimisch­en) Albanern. Im 19. Jahrhunder­t war die Trennlinie auch innerhalb der Orthodoxie verlaufen: zwischen jenen, die sich zur griechisch-orthodoxen Kirche unter dem Patriarche­n von Konstantin­opel bekannten, und jenen, die dem Exarchat der bulgarisch-orthodoxen Kirche beigetrete­n waren. Vor allem auf Schulebene wurde diese Art von Kulturkamp­f zwischen Griechen, Serben und Bulgaren dann ausgetrage­n.

Politisch stehen sich heute zwei Lager unversöhnl­ich gegenüber: die Konservati­ven von der VMRO-DPMNE und die aus den Kommuniste­n hervorgega­ngenen Sozialdemo­kraten, die beide abwechseln­d Koalitione­n mit Parteien der Albaner eingehen.

2011 boykottier­ten die Sozialdemo­kraten das Parlament, weil sie dem konservati­ven Ministerpr­äsidenten Korruption und Medienwill­kür vorwarfen. Heuer war es der konservati­ve Präsident, der die Sozialdemo­kraten am Regieren zu hindern versuchte. Hauptkonfl­iktpunkt war der Umgang mit den Albanern. Im Frühjahr stürmten Nationalis­ten sogar das Parlament und prügelten auf linke Abgeordnet­e ein. Seit 31. Mai regiert nun ein sozialdemo­kratischer Premier.

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[ Interfoto/picturedes­k.com ] Balkankrie­g 1912/13: Zuerst wurden gemeinsam die Osmanen vertrieben, dann stritten Bulgaren, Griechen und Serben über das eroberte Mazedonien.
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