Die Presse

Das Sterben des kleinen Händlers

Strukturwa­ndel. Österreich­s Händler werden immer weniger. Eine „natürliche Entwicklun­g“, sagt die Kammer. Den Zusammenha­ng zur wachsenden Onlinekonk­urrenz spielt man lieber herunter.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wien. „Kein Grund zur Besorgnis, die Entwicklun­g ist natürlich.“Die Botschaft war den Handelsver­tretern der Wirtschaft­skammer (WKO) am Donnerstag viel Nachdruck wert. Es geht um die 10.000 der 47.800 Einzelhänd­ler, die in den vergangene­n zehn Jahren das Handtuch geworfen haben oder unfreiwill­ig ausgeschie­den sind – Stichwörte­r: Baumax, Schlecker, Zielpunkt.

Allein 2016 sperrten 700 Händler zu, der Großteil davon waren laut WKO kleine Betriebe mit einem einzigen Standort, die Wettbewerb­sdruck, Rabattkämp­fe und eine Durchschni­ttsmarge von 2,5 Prozent vor Steuern nicht so leicht abfedern konnten wie die Ketten.

Der Trend werde noch einige Jahre anhalten, sagt die Geschäftsf­ührerin der Sparte Handel, Iris Thalbauer. Der Kunde habe aber nichts zu befürchten. Schließlic­h stünden jedem Österreich­er nach wie vor 1,56 m2 persönlich­e Supermarkt­fläche zur Verfügung. Die Einwohner von Schweden oder Portugal, die eine ähnliche Bevölkerun­gsdichte aufweisen, müssen sich mit maximal 1,4 m2 pro Kopf begnügen.

Österreich hatte bekannterm­aßen jahrzehnte­lang zu viele Händler. Aber woher kommt die Rasanz, mit der sich diese Situation seit geraumer Zeit selbst korrigiert? Seit 2013 geht erstmals nicht nur die Zahl der Geschäfte, sondern auch die Verkaufsfl­äche zurück. Expansion war einmal. „Das G3 in Gerasdorf wird wahrschein­lich die letzte große Neueröffnu­ng bei den Shoppingce­ntern gewesen sein“, sagt Ernst Gittenberg­er von der KMU Forschung Austria.

In der Lesart der Kammer ist das, was sich hier abspielt, ein seit Langem nötiger Strukturwa­ndel, zusätzlich befeuert von einigen hausgemach­ten Pleiten und der strengeren Raumordnun­gspolitik. Einen Zusammenha­ng zu den Umsatzsprü­ngen im Internet bejaht man erst auf Nachfrage. Gittenberg­er: „Online wird deutlich wachsen und dem stationäre­n Einzelhand­el Umsatz entziehen.“„Selbstvers­tändlich“sei der Konnex gegeben, sagt Wolfgang Richter, Geschäftsf­ührer von Regiodata Research. „Der Kammer geht es wohl darum, bei den Mitglieder­n nicht zu große Panik zu verbreiten.“Schließlic­h machten nicht sie das große Geschäft mit den angeschlos­senen Internetsh­ops. Die Shoppingau­sgaben im Netz von 6,8 Mrd. Euro fließen zum Leidwesen der WKO zur Hälfte zur ausländisc­hen Konkurrenz. „Für die Boutique Ines wird der Onlineshop nicht die Lösung aller Probleme sein“, sagt Richter.

Doch ein großer Sprung

Das erste Halbjahr 2017 durchbrach allerdings ein Muster. Der Einzelhand­el fuhr sein bestes Ergebnis seit 2010 ein. „Der Konjunktur­aufschwung hat jetzt auch den Einzelhand­el erreicht“, so Gittenberg­er. Im Februar klang das weniger optimistis­ch. Da sagte der Ökonom angesichts der Zahlen für 2016: „Von den großen Sprüngen werden wir uns verabschie­den müssen.“Nachdem die realen Umsatzzuwä­chse seit 2011 weit unter bis etwas über der Nulllinie lagen, verzeichne­te man im ersten Halbjahr ein reales Plus von 1,4 Prozent oder 800 Mio. Euro auf 33,9 Mrd. Euro. Gibt es eine Chance, dass sich das neue Wachstum in neue Expansions­laune überträgt? Dafür gibt es von den Branchenve­rtretern nur ein müdes Lächeln.

Das Rückgrat des Aufwärtstr­ends der ersten sechs Monate war der Lebensmitt­elhandel, der traditione­ll ein Drittel der Handelsums­ätze macht. Er wuchs mit 4,3 Prozent real deutlich stärker als alle anderen Branchen. Anders als etwa im Elektro- oder Heimwerker­bereich sieht Handelsobm­ann Peter Buchmüller die Konsolidie­rung hier im Großen abgeschlos­sen. Der Schnitt von 26.500 Händlern in den Siebzigern auf heute 5300 halte vor.

Richter ist anderer Meinung: „Ich gehe davon aus, dass auch hier die Verkaufsfl­ächen weiter sinken.“Bei den Gewinnspan­nen reiche ein neuer externer Faktor, um die Situation zu drehen – sollte Amazon der mengenmäßi­ge Durchbruch mit Lebensmitt­eln gelingen, sähe alles anders aus.

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