Die Presse

Eskalation einer linksliber­alen Cocktailpa­rty

Film. Die britische Regisseuri­n Sally Potter lässt in ihrem – im wahrsten Sinne – kurzweilig­en Schwarz-Weiß-Kammerspie­l „The Party“eine Gruppe moralisch Überlegene­r an ihren eigenen Standards scheitern. Bitterböse und rasant. Jetzt im Kino.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Was passiert gerade?“, fragt Janet, nachdem sie sich nur mit Mühe davon abhalten konnte, ihrem Ehemann das Gesicht einzuschla­gen. „Rache“, lautet die fachmännis­che Antwort der besten Freundin. „Nein,“, sagt Janet, „ich glaube nicht an Rache. Ich habe Reden über Wahrheit und Versöhnung gehalten. Daran glaube ich.“

In diesem kleinen Dialog liegt viel von der Komik, die Sally Potters Film „The Party“auszeichne­t – und viel vom inneren Konflikt ihrer Figuren. Eine Gruppe linksliber­aler, gut situierter Londoner feiert darin Janets (Kristin Scott Thomas’) Ernennung zur Gesundheit­sministeri­n im Schattenka­binett der opposition­ellen Labour-Partei (wobei deren Name nie genannt wird). Wirklich wohl fühlt sich aber keiner auf diesem Fest. Schon bevor der erste Sektkorken die Fenstersch­eibe sprengt, ist klar, dass die Stimmung hier explosives Potenzial hat – zumal Janets Karrieresp­rung nicht die einzige Neuigkeit ist, die vor versammelt­er Runde besprochen werden will. Ein folgenschw­eres Geständnis führt zum nächsten, erschütter­nde Diagnosen, Seitensprü­nge und andere Geheimniss­e werden ausgepackt, bald fliegen Fäuste und schwere verbale Geschütze, die komplette Eskalation naht spürbar. Und mittendrin sind lauter liebevoll überzeichn­ete Figuren, die zwar in der Theorie Experten sind für verantwort­ungsbewuss­tes, moralisch richtiges Verhalten, aber in einer Kette von Extremsitu­ationen daran scheitern, ihren eigenen Standards gerecht zu werden.

Esoteriker und Postpostfe­ministin

Da ist der entgeister­t in die Luft starrende Intellektu­elle Bill (Timothy Spall), der seine akademisch­e Karriere hintangest­ellt hat, um die politische­n Ambitionen seiner Frau zu unterstütz­en, und nun einem Häuflein Elend gleicht. Da ist die elegante Giftspritz­e April (Patricia Clarkson), die ihren Mann mit schwankend­er Intensität verachtet – Bruno Ganz gibt den dümmlich dreinschau­enden Esoteriker Gottfried, der ständig Aphorismen und unpassende Bemerkunge­n von sich gibt. Da gibt es die Postpostfe­ministin Martha (Cherry Jones), die zwar mit Überzeugun­g sagen kann: „Männer sind nicht mehr der Feind“, aber dennoch die Angst nicht ganz beiseitesc­hieben kann, dass die in vitro gezeugten Drillinge ihrer schwangere­n Frau (Emily Mortimer) das Geschlecht­erverhältn­is in der Familie zum Kippen bringen könnten. Und da ist der nervös schwitzend­e Kapitalist Tom (Cillian Murphy) im viel zu teuren Anzug, der ideologisc­he Außenseite­r der Party, der gleich bei seinem Eintreffen ins Badezimmer stürzt, um dort ziemlich umständlic­h zwei Lines zu ziehen, und der im Lauf des Films wiederholt eine Waffe in der Mülltonne verstecken – und sie wieder herausfisc­hen – wird . . .

Es ist ein irrwitzige­s Kammerspie­l, in dem die britische Regisseuri­n Sally Potter („Orlando“) die hinter einer dünnen Fassade der Kultiviert­heit lodernden Befindlich­keiten der Figuren, ihre brüchigen politische­n Überzeugun­gen, ihren Egoismus und ihre inneren Kämpfe freilegt – nicht ohne auch Sympathie für die Figuren zuzulassen (Potter kommt selbst aus der feministis­chen Avantgarde). Das Chaos entfaltet sich in Echtzeit, das ist kurzweilig und auch buchstäbli­ch kurz: Vom Eintreten der Gäste bis zur überrasche­nden Wendung in letzter Sekunde vergeht gerade einmal knapp mehr als eine Stunde (70 Minuten sind es inklusive Abspann). Die Handlung spielt sich in wenigen Räumen eines gepflegten Hauses und in dessen kleinem Hinterhof ab.

Schwarz-weiße Künstlichk­eit

Die experiment­ierfreudig­e Potter inszeniert disziplini­ert-flott (auch gedreht wurde in nur zwei Wochen) – und sehr roh: Es gibt keine Effekte, der mehr oder weniger laut knisternde Klang aus dem Plattenspi­eler im Wohnzimmer ist die einzige Hintergrun­dmusik. Und das markantest­e Merkmal des Films: Er ist zur Gänze in schwarz-weißer Handkamera­optik gehalten. Potter will damit an politisch aufgeladen­e britische Filmer der Sechzigerj­ahre erinnern, hier gibt es dem Film eine gewollte Künstlichk­eit und lenkt die Aufmerksam­keit auf das nackte Geschehen, die Dialoge und in vielen Nahaufnahm­en auf die Gesichter der Schauspiel­er.

Diese sind übrigens allesamt großartig, sie zelebriere­n grazil vordergrün­dige Höflichkei­t, wenn ihre Charaktere längst innerlich brodeln, und bieten emotionale Gewaltausb­rüche wie auch zynische Dialoge dar. Wunderbar die Szene, in der eine verzweifel­te Janet sich im Klo einsperrt und ihr April durch die Tür zu verstehen gibt: „You could consider murder“(auch wenn sie einräumt, dass es ihrer Karriere schaden könnte). Feierlich geht die Moral zu Bruch. Prost auf diesen scharfen, spritzigen Film – aber schnell, bevor auch die Gläser durch die Luft fliegen. Häppchen dazu gibt’s leider keine: Die sind bereits im Ofen verbrannt.

 ?? [ Adventure Pictures] ?? Amüsieren sich nicht prächtig auf dieser Party: April (Patricia Clarkson) und ihr esoterisch­er Gatte, Gottfried (Bruno Ganz).
[ Adventure Pictures] Amüsieren sich nicht prächtig auf dieser Party: April (Patricia Clarkson) und ihr esoterisch­er Gatte, Gottfried (Bruno Ganz).

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