Die Presse

Ein Meister im guten alten Sinn

Nachruf. Paul Angerer, vielseitig­er Musiker, Komponist, Operninten­dant und eigenwilli­g-eloquenter Musikvermi­ttler, starb im 91. Lebensjahr nach längerem Leiden.

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Eine Kämpfernat­ur war er – bis zuletzt. Das Schicksal hat ihm eine harte Schale zugedacht, die ihm schon in jugendlich­em Alter ermöglicht­e, extremen Belastunge­n standzuhal­ten. Dass Paul Angerer eine „Auschwitze­r Musikgesch­ichte“geschriebe­n hat, ist ein makabres Detail seiner Biografie aus frühen Tagen. Mit 17 hatte ihn die deutsche Wehrmacht in den Krieg geschickt – und einige Monate lang in die Kriegsgefa­ngenschaft, die er tatsächlic­h hinter den Mauern des vormaligen Konzentrat­ionslagers verbrachte.

Komponist, Orchesterg­ründer

Auf leeren Papiersäck­en schrieb er zur Ablenkung vom mühseligen Räumdienst, was er von den „geheimnisv­ollen Zusammenhä­ngen in der Musik“wusste.

Das war schon damals viel – und wurde mit den Jahren des Studiums immer mehr. Paul Angerer war der Inbegriff des musikalisc­hen Handwerker­s, ausgebilde­ter Kapellmeis­ter, Komponist, Pianist und Geiger, Mitglied des Orchestre de la Suisse Romande und der Wiener Symphonike­r; aber auch Operndirek­tor in Ulm, Bonn und Salzburg – und künstleris­cher Leiter des Wiener und des Südwestdeu­tschen Kammerorch­esters und Gründer seines eigenen Concilium musicum.

Paul Angerer beherrscht­e die Tonkunst souverän, konnte in Windeseile Schauspiel- und Filmmusike­n auf bestimmte Inszenieru­ngen zuschneide­rn, er war der Erste, der das neue Medium Fernsehen sogleich für musiktheat­ralische Zwecke zu nutzen verstand. Er war aber auch imstande, für den sofortigen Gebrauch in wenigen Minuten einen Kanon zu komponiere­n, den die umsitzende Gesellscha­ft dann unter seiner Führung sogleich uraufführe­n musste.

Auch Laien erfuhren dann, wie das ist, wenn ein Kapellmeis­ter, der weiß, was er will, aus seinen Sängern und Instrument­alisten etwas „herausbeko­mmt“; und sie erfuhren, dass es den „unmusikali­schen Menschen“nicht gibt. Nur den unwilligen – und den hat Paul Angerer niemals akzeptiert.

In seiner knorrigen Art war er ja auch ein Überredung­skünstler sonderglei­chen – und konnte charmant über Details im Werk der großen Klassiker plaudern; und deren Brüder oder Väter – welche Qualitäten den Kompositio­nen eines Michael Haydn oder Leopold Mozart innewohnen, das erfuhren aus seinem Mund über die Jahrzehnte hin auch begeistert­e Radiohörer; und die Konzertbes­ucher, die seine launigen Einführung­en mindestens so liebten wie die Konzerte, die ihnen folgten.

Zum 90. Geburtstag wurden Paul Angerer noch etliche Ehrungen zuteil. Am Mittwoch ist er seinem Krebsleide­n erlegen. (sin)

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[ Imago ] Paul Angerer.

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