Christian Thielemann hält Wagners Musikdrama in sehrend-klangschönem Fluss, an Katharina Wagners Regie scheiden sich die Geister.
Bayreuther Festspiele.
Zum einen stören die diesseitig Abgestumpften: Die, die ihre Telefone nicht abdrehen können oder wollen; die, die in den ersten Takten des Vorspiels lärmen. Und dann gibt es noch die quasireligiösen Fanatiker. Bei „Tristan und Isolde“hat nun in Bayreuth ein solcher der versammelten Festspielgemeinde und via Radioübertragung der Welt seinen vermeintlich heiligen, rechtmäßigen Zorn kundgetan – mit einem brutalen Buh mitten hinein in die zartesten Klänge der letzten Spannungskurve, kurz bevor sich das schier immerwährende Sehnen unter Christian Thielemanns stringenter, klangschöner Leitung endlich in überirdisches H-Dur auflöst.
„Das sind Wagnerianer: Das versteht nichts von Musik“, ätzte einst Friedrich Nietzsche. Es muss ein Angehöriger einer besonders orthodoxen Sekte gewesen sein, ein „unbeschuhter Wagnerianer“, wie Herbert Rosendorfer das einmal genannt hat, dem Urenkelin und Festspielleiterin Katharina Wagner da mit der finalen Regieidee auf die Zehen gestiegen ist: In ihrer Inszenierung von 2015 sinkt Isolde nicht etwa über dem Leichnam Tristans zusammen oder schreitet, wie zum Beispiel bei David McVicar in Wien, ins Dunkel von dannen. Nein, sie wird von König Marke als Beute abgeführt, so rücksichtslos wie anderswo nur Brünnhilde von Gunther. Und das ärgert unsre Alten, macht jedoch herben, tiefen Eindruck.
Ist es eine Sünde wider den „Liebestod“? Der heißt doch nur von Verlegers Gnaden so. Wagner selbst sprach hingegen von „Isoldes Verklärung“– und dieser Begriff eröffnet einen noch größeren Deutungsspielraum. Für Katharina ist der „Tristan“eine in doppeltem Sinne dunkle, von Beginn an ausweglose Geschichte. Das zeigt schon das Labyrinth an Treppenfluchten im ersten Aufzug (Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Matthias Lippert), das an M. C. Escher und Piranesi ebenso erinnert wie an eine fabriksmäßige Variante der sich ständig umbauenden Stiegen in Harry Potters Zauberschule Hogwarts.
Petra Lang zürnt als Isolde jedenfalls zu ebener Erd’ und im ersten Stock, vokal ausgeglichener als zuletzt in Wien und darstellerisch nicht so überzeichnend. Freilich wirkt der dunkel fundierte Klang ständig etwas künstlich aufgeblasen und verbreitert; viele Töne schleift sie an, ohne allerdings in der Höhe Probleme zu bekommen, und manche Pianophrasen gelingen inmitten furiosen Loderns sogar schön. An den Text muss man sich freilich selbstständig erinnern, verstehen kann man ihn nicht.
Der Liebestrank wird verschüttet
Brangäne, die einem Nervenbündel gleicht, aber bewusst die Tränke vertauscht, und der simpler gestrickte Kurwenal, sie sind ihrer Herrschaft mehr als nur treusorgend ergeben – und haben Mühe, einen Skandal zu verhindern und Isolde und Tristan voneinander fernzuhalten: Christa Mayer trumpft mit mächtigen Mezzosoprantönen auf, Iain Paterson tönt etwas knorrig und rau. Schon bei erster Gelegenheit fällt Isolde Tristan küssend um den Hals. Der Liebestrank ist bereits bei Wagner pharmazeutisch überflüssig, da nur der Glaube ans nahe Ende durch Gift den Liebenden erlaubt, das Unerhörte einzugestehen. Hier muss er nicht einmal mehr als vermeintlicher Todestrank genossen werden, sondern wird nach längerem Hin und Her verschüttet: Die beiden wollen leben. In dem seltsamen Gefängnishof oder Versuchslabor unter Suchscheinwerfern und mit Stahlgerippen als Käfigen, wie sie der zweite Aufzug zeigt, ist das freilich nicht menschenund liebeswürdig möglich.
Hier und in den irrlichternden Fiebervisionen des dritten Aufzugs, wo ihm Puppen und ein Statistinnenoktett in magischen Dreiecken immer wieder Isolde vorgaukeln, die jedes Mal entschwindet, ist Stephen Gould als Tristan der gewohnte Fels in der Brandung: Seine Reserven scheinen unerschöpflich, sein Gesang erstaunlich differenziert. Wie sich Wort und Ton freilich noch besser, charakteristischer verbinden lassen, demonstriert Rene´ Pape als stets sonorer Marke, der Strenge und Unbeugsamkeit hinter der Maske des Grandseigneurs auf unheimliche Weise durchschimmern lässt.
Und unter Thielemann, der 2018 „Lohengrin“dirigieren wird (mit Roberto Alagna in der Titelrolle, Anja Harteros als Elsa, Waltraud Meier als Ortrud; Regie: Yuval Sharon), strömt das hingebungsvolle Festspielorchester bruchlos, detailreich und voll zärtlich modellierter Übergänge. Wunderbar etwa die Klangfülle im Vorspiel zum dritten Aufzug, wo die tiefen Streicher ohne Akzentuierung ihr sehrendes Potenzial entfalten. Großer Jubel für alle – nur bei Katharina Wagner kehrten jene Buhrufe zurück, die sich schon nach dem ersten Aufzug angekündigt hatten und zuletzt noch am nackten Vorhang abprallten. Aber die Hausherrin ist’s wohl gewöhnt – so wie die Nachbarn des Hans Sachs seinen nächtlichen Singsang . . .