Wo blieben die Kanaaniter? Im Libanon!
Über 90 Prozent ihres Genoms haben die heutigen Libanesen von denen, die als Erste die Levante besiedelten.
„In den Städten dieser Völker, die dir der HERR, dein Gott, zum Erbe gegeben hat, sollst du nichts leben lassen, was Odem hat, nämlich die Hethiter, Amoriter, Kanaaniter, Pheresiter, Heviter und Jebusiter.“So steht es in 5. Mose 20, und zu Beginn des Buchs der Richter wird dann detailliert beschrieben, wie Juda den Befehl ausführte und vor allem die Kanaaniter in einer Stadt nach der nächsten niedermachte. Die waren die ersten Bewohner der Levante, sie lebten in Stadtstaaten und nannten sich nach der jeweiligen Stadt. Aber weil sie alle Händler waren, gaben ihnen die halbnomadischen Hebräer, die im Bergland siedelten, den Sammelnamen „qana“, Handel treiben (bei den Griechen hießen sie Phönizier). Dazu ist etwa die Schrift nützlich, die Kanaaniter erfanden das erste Alphabet.
3700 Jahre alte Gene im Felsenbein
Aber schriftlich überlieferten sie nichts, vermutlich weil sie auf Papyrus schrieben und der dem feuchtheißen Klima des Nahen Ostens nicht lange standhielt. Wie sollte sich da etwas auch Fragiles wie DNA erhalten? Skelette von Kanaanitern hat man zwar schon lange gefunden, aber eine Genanalyse hat erst jetzt eine Gruppe um Marc Haber (Wellcome Trust Sanger Institute, Hinxton) versucht: Sie nahm Proben aus dem Felsenbein – das sitzt nahe der Schläfe und ist der härteste Teil des Schädelknochens – von fünf Kanaanitern, die vor 3700 Jahren in der Stadt Sidon lebten. Und sie wurde fündig, konnte das gesamte Genom sequenzieren (American Journal of Human Genetics 27. 7.).
Das verglich sie mit ebenfalls sequenzierten Genomen von 99 heutigen Bewohnern der Region, Libanesen. Dabei zeigte sich, dass Juda mit all seinem Wüten doch keine ganze Arbeit getan hatte: Mehr als 90 Prozent ihres Genoms haben die Libanesen von den Kanaanitern, der Rest kam aus verschiedenen Regionen Eurasiens, Assyrien, Persien, Mazedonien, von dort drangen Eroberer vor 3800 bis 2200 Jahren in die Region.
„Im Licht der enorm komplexen Geschichte der Region war es wirklich überraschend, dass über 90 Prozent des genetischen Erbes der heutigen Libanesen von den Kanaanitern stammt“, erklärt einer der Koautoren, Chris Tyler-Smith (Wellcome Trust Sanger Institute). Und ein zweiter, Claude Doument-Serhal, der Leiter der Grabungen in Sidon, ergänzt: „Erstmals haben wir genetische Evidenz für eine substanzielle Kontinuität in der Region, von den bronzezeitlichen Kanaanitern bis heute.“